Ein Leben nach Anleitung

Henne oder Ei: War es erst der Bedarf nach Ratgebern oder deren Publizitätsdruck? Autor Thomas Schröck sowie Martina Schertler, Leiterin einer Selbsthilfegruppe, berichten.

Die meisten Ratgeber im deutschsprachigen Raum befassen sich mit Ernährung, an zweiter Stelle stehen die Themengebiete Gesundheit und Lebensstil. Was steckt hinter der Branche, was motiviert AutorInnen, was bewegt Leidende zu Ratgebern zu greifen?

Der Ratgeberautor Thomas Schröck bewertet die Ratgeberbranche in Österreich enger als jene anderer Segmente des Buchmarktes, die Situation für neue AutorInnen sei nicht sonderlich einladend.  Denn Ratgeber dienen größtenteils dem Eigen-Marketing der AutorInnen. Um durch Ratgeber ein Einkommen bestreiten zu können, müsste man zwei bis drei Bücher pro Jahr veröffentlichen, die sich gut verkaufen. Dies ist für den Großteil der AutorInnen utopisch. „Liegt der Verkaufspreis eines Ratgebers in Buchform bei 20 Euro pro Buch, so erhalten die VerfasserInnen an die 1,50 Euro pro verkauftem Exemplar.“ Die Vergütung von etablierten Verlagen erfolgt für unbekannte AutorInnen auf niedrigem Niveau. „Um einen Vorschuss von Verlagen zu bekommen, hat man auch außerhalb der Branche in der Bevölkerung bekannt zu sein“, so Schröck. Neben der Unabhängigkeit, die mit sich bringt Dinge freier gestalten zu können als bei großen Verlagen, war dies der Beweggrund, weshalb er sich dazu entschieden hatte, seinen eigenen Verlag zu gründen.

Rolle der Massenmedien

Doch weshalb boomt der Ratgebermarkt? Sind es die Medien, die Probleme oder Missstände in der Gesellschaft „erschaffen“, die keine sind? Diese Annahme lehnt Schröck ab, er glaubt nicht an Verschwörungstheorien, die besagen, dass die reichweitenstarken Medienhäuser durch gezielte Problempropaganda weitläufig an allem Leid der Menschen Schuld hätten. Dadurch, dass sich Ratgeber auf die Tiefenberichterstattung eines Gebiets konzentrieren, suchen viele Menschen Rettung in der Literatur. „Diabetiker beispielsweise wissen oftmals aufgrund spärlicher Arztauskunft noch nicht genau über ihr Krankheitsbild Bescheid, bis sie mittels Ratgeber in die Materie eintauchen können“, betont Schröck.

Gruppendynamik anstatt Hilflosigkeit

Neben den verschriftlichten Ratgebern, die Statistiken zufolge eher von älteren Menschen präferiert werden, suchen zusehends besonders die Jungen Rat in Selbsthilfegruppen. Martina Schertler, Leiterin einer Selbsthilfegruppe in Wien, blickt zurück: Die intensive Beschäftigung mit Essstörungen und ihre Wahrnehmung, dazu keine geeigneten Selbsthilfegruppen zu finden, veranlassten sie, eine solche zu gründen. Die durch Fachkurse ausgebildete Selbsthilfegruppen-Leiterin, die mittlerweile mit über 150 Betroffenen gesprochen hat, betont, dass die Teilnahme an den regelmäßigen Terminen der eingetragenen Selbsthilfegruppe kostenlos und unverbindlich ist. Mitglieder nicken beim Erzählen verstehend, was ihnen, den Betroffenen, enorm helfe. Media Literacy hält auch im Bereich personeller Hilfe Einzug, da es dank ihrer heutzutage viel einfacher ist, Websites zu recherchieren und auch kritisch zu bewerten, Hilfe zu suchen und mit Betroffenen Netzwerke zu bilden.

Sinn von Selbsthilfegruppen

Auf die Frage, ob Selbsthilfegruppen allen Betroffenen helfen könnten, entgegnet Schertler, dass es prinzipiell vom leidenden Mensch abhänge. Manche bevorzugen Selbsthilfegruppen, in denen Gruppendynamik im Vordergrund steht, andere beschäftigen sich im Selbststudium mit dem Krankheitsbild, weitere Betroffene bevorzugen eine hybride Therapieform. „Eine perfekte, universell anwendbare Therapieform gibt es nicht.“. Sie ist froh, dass es gedruckte Ratgeber gibt, auch schätzt sie deren AutorInnen. Sie selbst würde in naher Zukunft kein Buch mit Tipps bezüglich Essstörungen verfassen. „In der Gruppe ist alles bunt, viele Menschen präferieren sie aufgrund der Dynamik, die oftmals zu Lösungsansätzen führt, zu welchen Individuen aufgrund ihrer Gedankenmuster nie gekommen wären.“

Triggern

Ganz egal, ob bei Ratgebern in Buchform oder bei Selbsthilfegruppen, die Kombination diverser Therapieformen ist heute mittels Media Literacy leichter geworden. All jene, die ernsthaft an der Bewältigung einer psychischen Krankheit arbeiten wollen, haben sich zu Beginn der Therapie dem „Triggern“ auszusetzen. Unter diesem Begriff versteht man das Lösen tief verborgener seelischer Blockaden – ein Prozess mit starken negativen Gefühlsausbrüchen. „Anfangs geht es einem schlechter, doch das ‚Triggern’ hilft zum langfristigen Wohlbefinden der Leidenden beizutragen und in weiterer Folge, die Krankheit zu besiegen.“ Denn nur, wer sich mit den alteingesessenen Zwängen beschäftigt, wird auf lange Sicht frei.

Autor: Lukas Snizek
Bildquelle: Pixabay