Interaktives Storytelling – Ein Blick zurück nach vorn

Netflix macht jetzt auch eigene interaktive TV-Shows! (1) Was für viele vor einigen Monaten noch spannend und berauschend klang, stellte sich sehr schnell als Falschmeldung des Boulevardblatts DailyMail (2) heraus. Wie polygon.com (3) schon Tage später veröffentlichte, hatte Netflix nie geplant die volle Mitbestimmung des Handlungsverlaufs zuzulassen. Allerdings ist das Konzept des interaktiven Storytelling nicht ganz realitätsfern und könnte in Zukunft durchaus Einzug im Fernsehmarkt finden.

Neue Formate, neue Möglichkeiten, neue Geschichten

Andere große Player am Markt experimentieren mit interaktiven Formaten, die an die „Choose-Your-Own-Adventure“ Spielbücher aus den 1980er erinnern. So auch der US-amerikanische Filmregisseur Steven Soderbergh (4). In Kooperation mit HBO ist laut variety.com (5) derzeit eine interaktive Serie mit dem passenden Titel „Mosaic“ in Planung. „Mosaic“ soll dem Rezipienten die Möglichkeit geben per App verschiedene Szenarien einer Geschichte auszuwählen und somit autonom über den Handlungsverlauf zu bestimmen. Auch das Tech-Unternehmen Apple.Inc, hat die Möglichkeiten der Interaktivität erkannt und startet mit kleinen Schritten in eine ähnliche Richtung.  „Planet of the Apps“ (6) soll, im Stil von „2 Minuten 2 Millionen“, App-Entwicklern die Chance bieten Investoren im Laufe eines TV Pitches für sich zu gewinnen. Den ZuschauerInnen werden parallel zur Show interaktive Komponenten zur Verfügung gestellt. Beispielsweise kann das Programm angehalten und einzelne Informationen zu den EntwicklerInnen oder der App selbst abgerufen werden.

Wie man sieht, und auch wenn es nicht unbedingt Netflix ist, so beschäftigt sich ein Teil der internationalen Film- und Fernsehproduktion bereits mit Interaktivität und der Einbindung des Publikums.

An dem Punkt muss erklärt werden…

Womit wir es zu tun haben

Vor diesem Hintergrund stellt sich jedoch nun die Frage, ob interaktives Storytelling überhaupt Erfolg haben kann und in der Zielgruppe wie gewünscht aufgenommen wird. Dazu muss erörtert werden, woher der Wunsch nach Interaktivität rührt. Angefangen bei frühen Formen der Unterhaltung, von Theateraufführungen bis Sportveranstaltungen, war der Rezipient involviert. Das Publikum und die Darsteller sind in einem Raum aufeinandergestoßen und waren somit zusammen Teil einer Darstellung. Die Unterhaltung an sich konnte nur durch die aktive Präsenz des Publikums stattfinden. Benjamin Hoguet, Autor und Produzent im Bereich neue Narrationen und Transmedia, führt die Lust auf interaktive Formate darauf zurück, dass sich das 21 Jahrhundert der passiven Mediennutzung unterworfen hat. Auf seinem Blog benhoguet.com (7) stellt er das Publikum wie folgt dar: „Audiences turned into listeners and viewers. (…)These timeless forms of entertainment will never disappear and keep being enjoyed by those looking for moments of “shaping” human-interaction.“ Aus diesem Grund erscheint es ihm notwendig, dem Publikum die Möglichkeit zur Interaktion zurückzugeben. Der Überfluss an passiven Medienformaten lässt den Rezipienten nach Möglichkeiten suchen mit einem Medium oder einer Geschichte tiefer und aktiver zu interagieren.

Auch der Schauspieler Kevin Spacey beschreibt in seiner Rede am Edinburgh International Television Festival (8) 2013, die Notwendigkeit der Kontrolle durch den Rezipienten mit folgenden Worten: “People want the control. They want the freedom. […] Give them what they want, when they want it, in the form they want it in, at a reasonable price.” Aufwendig produzierte Serien, wie House of Cards, sollen gezeigt haben, dass sich die Zuschauer schon allein durch einen Schwenk zur Kamera involviert fühlten. Ein Format dem sich viele andere Produzenten nicht annehmen wollten, bis Netflix den ersten Schritt gewagt hatte. Weshalb sind frühere Formate  gescheitert? Dazu wirft man…

Einen Blick zurück

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Ist interaktives Fernsehen nur die Auswahl zwischen Handlungsoptionen? Oh nein. (Bildquelle: Pixabay)

Interaktives Fernsehen (9) ist an sich nichts Neues. Verschiedene Formen dieser Erzählform haben schon früher Einzug in die Medienlandschaft gefunden. So sprechen wir traditionell von insgesamt sechs Stufen des interaktiven Fernsehens, die unterschieden werden müssen. Die erste Stufe, die lokale Interaktion, ist wohl am meisten geläufig. Mittels Fernbedienung kann das Fernsehgerät ein- und ausgeschalten werden. Auch das Wechseln von Kanälen fällt darunter. Die zweite Stufe ruft schon zu mehr Interaktivität auf. Hier können die Zuschauer über einen Rückkanal mit dem Medium kommunizieren. Beispielsweise durch Votingfunktionen in Quizshows. Auch so genannte Call-Ins, ein bestimmter Zuschauer wird durch einen Telefonanruf Teil des Programms, werden bei Formaten wie „Die Millionenshow“ verwendet und sind Teil der zweiten Stufe. Die dritte Stufe wird paralleles Fernsehen genannt. Hierbei können MediennutzerInnen eine zeitliche Auswahl einer Sendung treffen, oder eine synchrone Ausstrahlung eines Programmes mit unterschiedlichen Übertragungsmodalitäten auswählen. Als Beispiel hierfür gelten verschiedene Synchronisationen eines Spielfilms. Das additive Fernsehen, also die vierte Stufe, beschreibt die Möglichkeit von Zusatzinformationen. Damit ist der Teletext, oder die Einbindung des Internets auf zB.: Smart-TV’s gemeint. Die fünfte und letzte Stufe, Media-on-Demand, ist durch Netflix und Amazon Prime immer stärker präsent geworden. Auf dem Fernsehgerät können ZuschauerInnen individuell digital gespeicherte Medieninhalte abrufen, bzw. diese streamen. Die sechste, und am wenigsten ausgereifte, Stufe ist die des Kommunikations TV. NutzerInnen können den Handlungsverlauf aktiv beeinflussen und darüber hinaus mit anderen RezipientInnen kommunizieren und Programme senden. (10) (11)

Interaktive Erzählformate mit (in)direkter Einbindung der ZuschauerInnen sind größtenteils in Stufe Zwei angesiedelt. In dieser Stufe ist die größtmögliche Interaktivität bei kleinstmöglicher aktiver Teilnahme zu finden. Während Formate der zweiten Stufe sich noch immer großer Beliebtheit erfreuen, haben vergangene Sendungsformate wie „Wenn du dich traust“ (12) gewagt einen Schritt weiter Richtung Stufe Sechs zu gehen.

Mit „Wenn du dich traust“ ging 2011 die erste interaktive Serie online. Die User konnten vorab durch einen virtuellen Raum die Serie mitgestalten und währenddessen den Handlungsverlauf mitbestimmen. Auch außerhalb der Serie wurde dem Publikum auf der Website ein Blick hinter die Kulissen geboten, um noch mehr Interaktivität zu den Zuschauern aufzubauen. Das Ziel war es Jugendliche auf die Auswirkungen ihrer Entscheidungen aufmerksam zu machen. Die Reichweite der Serie belief sich auf 65.000 Views mit einer aktiven Teilnahme von 300 Kommentaren auf den Plattformen YouTube, Studi-VZ und der dazugehörigen Homepage (13). Man sieht, dass im Gegensatz zu heutigen Klickzahlen und Views die Reichweite eher gering war. Zu damaligen Zeiten waren sie vielleicht noch minimal relevant, jedoch schlugen sie nie durch die Decke oder generierten einen signifikanten Trend. Die Serie lief nach acht Episoden aus. Ein Fehlschlag, der möglicherweise auf einen schlecht gewählten Zeitpunkt zurückzuführen ist. In Zeiten von Studi-VZ war die Partizipation in sozialen Netzwerken noch sehr gering, Streaming Plattformen waren in Europa kaum verbreitet und passive Mediennutzung audiovisueller Inhalte präsent.

Doch…

Nichts bleibt unversucht

Doch damit ist es nicht getan. Interaktives Storytelling ist nicht passe`. Im Gegenteil, es steckt noch in den Kinderschuhen. In den letzten Jahren ist, wie schon oben erwähnt, mit „Planet of the Apps“ oder „Mosaic“ ein weiterer Schritt in Richtung Interaktivität getan. Projekte im „Open Space“ wie „The Runner“ (14) von Ben Affleck und Matt Damon oder kleinere Ideen in einzelne Folgen verpackt, wie bei der kommenden Folge von Doctor Who (15), zeugen davon, dass Interaktivität immer weiter Einzug in die Fernsehlandschaft hält. Eine neues Projekt sticht heraus:

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Das Instagram Profil der fiktiven Eva Mohn aus der Fernsehserie SKAM mit 689.000 Abonnenten. (Quelle: Instagram: evamohn2)

Skam

Die norwegische Fernseh- und Webserie berichtet über den Alltag von SchülerInnen der Hartvig-Nissen-Schule in Oslo (16). Die Produktionsforma NRK P3 hat sich die vermehrte Social Media Nutzung der Jugend zu Nutze gemacht und eine Serie entwickelt, die parallel zu jeder Episode die Social Media Aktivitäten der Protagonisten live auf Instagram, Facebook, Youtube und auf skam.p3.no (17) online anbietet. Somit haben die RezipientInnen die Möglichkeit die ProtagonistInnen der Multi-Media Show in ihren eigenen Alltag zu integrieren. Skam hat einen Weg gefunden die ZuschauerInnen bei kleinstmöglicher aktiver Teilnahme zur größtmöglichen Interaktivität zu bringen und es hat funktioniert. Die norwegische Fernsehserie ging am 22. September 2015 online und gewann ab der dritten Staffel auch an internationaler Bekanntheit. Laut Meedia (18) kann Skam mittlerweile 1,2 Millionen Web- und eine Millionen TV-ZuschauerInnen verzeichnen und ist somit die erfolgreichste Webserie des Landes. Kein Wunder also, dass sich der US-amerikanische Regisseur Simon Fuller die Rechte zum Konzept gesichert hat um in Zukunft die gleichnamige Serie „Shame“ zu produzieren.

Somit werfen wir schon…

Einen Blick nach vorn

Wie schon vorher erwähnt wurde ist in Stufe Zwei des interaktiven Fernsehens die größtmögliche Interaktivität bei kleinstmöglicher aktiver Teilnahme zu finden. Skam entspricht diesem Prinzip. Es gibt den ZuschauerInnen die Möglichkeit sowohl passiv als auch aktiv an der Webserie teilzunehmen, ohne dabei die Aktivität als Voraussetzung für das Weiterbestehen der Serie zu definieren. Anders als bei „Wenn du dich traust“, bei der die ZuschauerInnen über den Verlauf der Geschichte abstimmen mussten damit die Geschichte fortgesetzt wird, ist der Handlungsverlauf von Skam vorbestimmt. Die ZuschauerInnen können an der Geschichte auf verschiedene Plattformen, also transmedial, teilhaben. Doch genau diese Art von interaktiven Konzepten könnten in Zukunft nachgefragt werden. Dadurch wird den ZuschauerInnen die Möglichkeit zwischen aktiver und passiver Rezeption offengelassen und jeder Charakter kann den Wünschen entsprechend an der Geschichte teilhaben.

Der Blick zurück nach vorn zeigt, dass interaktive Serienformate probiert, gescheitert und wiederaufgenommen wurden. Die ProduzentInnen sind noch lange nicht am Ende mit ihren Ideen und mit Skam am richtigen Weg. Sobald die englische Version Shame zugänglich wird, wird man sehen ob das interaktive Konzept auch international Erfolg hat oder ob sich Skam als große norwegische Ausnahme herausstellt.

 
 

ÜBER DIE AUTORIN

Tretter

 

Larissa Tretter wurde 1996 in Wien geboren. Sie studiert seit 2015 „Medienmanagement“ auf der FH. St Pölten. Die Affinität zu Medien, Kultur und der Welt des Films war schon früh vorhanden. Sie interessiert sich stark für kulturelle und sozial umfassende Themen und strebt es in Zukunft an im Bereich der Filmproduktion zu arbeiten.

 

Bildquelle: Larissa Tretter

Quelle Titelbild: Larissa Tretter