Österreichs Privatsender sind nicht barrierefrei genug

Die österreichischen privat-kommerzielle Sender haben in Sachen Barrierefreiheit Aufholbedarf. | Copyright: Tanja Holzer

Rund 375.000 Menschen in Österreich haben Einschränkungen beim Hören und Sehen. Der Österreichische Gehörlosenbund und der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich verlangen von der österreichischen Politik finanzielle Unterstützung, um Sendungen für dieses Publikum zugänglich zu machen. Privatsender in den USA sind ihnen bereits 420 Sendeminuten pro Woche voraus.

Sucht man im Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz (AMD-G) nach dem Wort barrierefrei wird man lediglich im Abschnitt 7, §30, bei den Allgemeinen Anforderungen an audiovisuelle Mediendienste, fündig. Dort heißt es, dass audiovisuelle Mediendienste schrittweise für hör- und sehbehinderte Personen barrierefrei zugänglich gemacht werden sollen. Von dieser Umsetzung ist bei den privat-kommerziellen Sendern in Österreich online kein Hinweis zu finden.

Aufholbedarf bei den Privatsendern

Drei Prozent der österreichischen Bevölkerung über 15 Jahren wiesen im Jahr 2015 Einschränkungen beim Sehen, 2,1 Prozent beim Hören auf, heißt es laut Statistik Austria. Zusammengerechnet sind das rund 375.000 Menschen in Österreich. Dennoch haben Sie die Sätze aus dem ORF-Fernsehprogramm „Die folgende Sendung wird für blinde und sehbehinderte Menschen im Zweikanalton audiokommentiert. Auf Tonspur 1 hören sie den Originalton, auf Tonspur 2 die akustische Bildbeschreibung“ im privat-kommerziellen Fernsehen möglicherweise vermisst. Das könnte daran liegen, dass die österreichischen privat-kommerziellen Sender im Gegensatz zum ORF in Sachen Barrierefreiheit unterentwickelt, wie der Österreichische Gehörlosenbund (ÖGLB) und der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich finden. Kritik wird jedoch ebenso am ORF geübt:  die Audiodeskription sei mit rund 8 Prozent aller Sendungen zu wenig. Die BBC beispielsweise schaffe 20 Prozent. Betrachtet man die Entwicklung in den vergangenen Jahren, sind beim ORF Verbesserungen feststellbar. Diese Verbesserungen stellen sich in der kontinuierlichen Steigerung des Anteils von Untertitelung, Gebärdensprache und Audiodeskription dar. Während der Corona-Pandemie, als die Mediennutzung explosiv anstieg, hat der ORF computergesteuerte Spracherkennung zur Untertitelung getestet.

Corinna Drumm, Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Privatsender, betonte gegenüber dem Horizont, dass es ein hochrangiges Ziel sei, Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Das ziehe jedoch zu hohe Kosten mit sich. Privatsender bräuchten dahingehend ähnlich hohe finanzielle Unterstützung wie der ORF, ansonsten sei Barrierefreiheit nicht umsetzbar.

Die US-amerikanischen Privatsender sind den österreichischen in Sachen Barrierefreiheit überlegen. | Copyright: Tanja Holzer

Die USA stellen Österreich in den Schatten

Anders als in Österreich und anderen europäischen Ländern, dominieren in den USA die privat-kommerziellen Sender. Der nicht-kommerzielle Rundfunk ist in den Vereinigten Staaten auf eine spitze Zielgruppe und nicht auf breite Masse ausgerichtet, weshalb er für Werbetreibende wenig attraktiv ist. Die Big Player auf dem US-amerikanischen Fernsehmarkt, ABC, CBS, CNN, Fox und NBC, sind allesamt kommerzielle Medienunternehmen. Wer sich via TV informieren möchte, ist auf diese Sender angewiesen und kann nicht – wie in Österreich – zu öffentlich-rechtlichen Angeboten wechseln. Barrierefreiheit müsste daher bei den kommerziellen Sendern eine größere Rolle spielen. Lassen sich barrierefreie Sendungen in den Vereinigten Staaten umsetzen?

Yes, we can heißt es in den USA üblicherweise – auch bei der Barrierefreiheit. Im Oktober 2010 unterschrieb der damalige Präsident Barack Obama den Communications and Video Accessibility Act (CVAA). Mit diesem Gesetz hat die Federal Communications Commission (FCC) die Befugnis, Audiokommentare zu regulieren. In Kraft trat die Befugnis Mitte 2012 und legt fest, dass die 25 meistgesehenen Sender der USA, sprich Tochterunternehmen der major networks (ABC, CBS, Fox und NBC), einen gewissen Anteil an Sendezeit im Quartal audiokommentieren müssen. Darüber hinaus gilt das für Pay TV-Anbieter mit über 50.000 Abonnenten und die Top 5 der non-broadcast networks USA, HGTV, TBS, Discovery und History. Das sind jene Sender, die nur über Kabel empfangbar sind. Der audiokommentierte Anteil betrug zu Beginn 50 Stunden pro Quartal, also rund vier Stunden des wöchentlichen Programms, sollte im Laufe der Zeit jedoch erhöht werden. Der Audiokommentar durfte ferner nicht willkürlich platziert werden. Er musste entweder während Kindersendungen oder im Primetime-Programm verfügbar sein. Unter Kindern versteht man in diesem Zusammenhang Zuseherinnen und Zuseher bis 16 Jahre.

Mit Juli 2018 wurde der Beschluss auf die 60 wichtigsten Sender und 87,5 Stunden pro Quartal erweitert, also rund sieben Stunden bzw. 420 Minuten pro Woche. Die Vorgaben mit Kindersendung und Primetime gelten hingegen nicht mehr. Nun kann jederzeit zwischen 6 Uhr früh und Mitternacht audiokommentiert werden.

Rund 375.000 Menschen in Österreich haben Einschränkungen beim Sehen und Hören. | Copyright: Tanja Holzer

Ein günstiger Zeitpunkt für Veränderung

Im öffentlichen Gesundheitswesen flop, in Barrierefreiheit top. Die vollkommene Barrierefreiheit kann und muss nicht innerhalb kurzer Zeit umgesetzt werden. Dennoch liegt es an der österreichischen Regierung, das Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz (AMD-G) zu präzisieren und auszuweiten um privates Fernsehen, so wie in den USA, barrierefreier zu machen. Derzeit werden die Novellen des ORF-Gesetzes, des AMD-Gesetzes und des KommAustria-Gesetzes im  parlamentarischen Prozess verhandelt, um der Umsetzungspflicht der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD-RL) der EU bis Ende 2020 nachzukommen. Eine günstige Gelegenheit, um auch das Thema Barrierefreiheit in die Überarbeitung einfließen zu lassen. Möglicherweise ließe sich die Barrierefreiheit zudem grundsätzlich im Mediengesetz der Republik Österreich verankern.

 

Über die Autorin

Copyright: Tanja Holzer

Tanja Holzer studiert Medienmanagement mit Schwerpunkt Online an der Fachhochschule St. Pölten. Chancengleichheit und Nachhaltigkeit sind ihr große Anliegen.
Kontakt: tanjaholzer@outlook.com