Oppositionelle Gender-Darstellung in Musikvideos

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Frauen in Hoodies, Jeans und ungeschminkt? Männer in Hotpants an der Strip-Stange? Zielgruppenbefriedigung oder Gesellschaftssatire? In Musikvideos sind Gender-Darstellungen oft Mittel zum monetären Zweck, gebunden an gesellschaftlich binäre Vorstellungen.

 

Männer räkeln ihre freien Oberkörper an einer Stange oder verwenden Staubsauger als Instrumente. Frauen tanzen spärlich bekleidet im Rhythmus, mit der Kamera im Fokus auf ihre …. nein, nicht Gesichter. Diese Bilder sind Teile zweier Musikvideos, die unterschiedlicher nicht sein könnten: „Bungalow“ von „Bilderbuch“ und „Anaconda“ von Nicki Minaj. Explizite Gender-Darstellung existiert nicht erst seit dem Aufkommen serieller Musikvideoproduktion. Im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie scheint die Industrie jedoch immer stärker bemüßigt, KünstlerInnen explizit visuell zu sexualisieren. Die Grenze zum Sexismus ist rasch überschritten, die künstlerische Freiheit der Darstellung im Sinne eines Widerstands gegen Sexismus beengt. Doch ist dies nicht alleine der Grund, warum sich eine oppositionelle Darstellung breitflächig nicht durchsetzt.

 

Vorgaben und Spielraum

Bei vielen Musikvideos ist durch das Lied selbst ein gewisser Rahmen vorgegeben. Der/Die Künstler/in bzw. das Label haben die Möglichkeit, eine Idee für ein passendes Musikvideo zu erstellen, die mit der jeweiligen Videoproduktionsfirma vor dem Dreh besprochen wird. Es kann aber auch vorkommen, dass die Ideenfindung ebenfalls an die Produktionsfirma übergeben wird. Hierbei hat die Produktionsfirma mehr künstlerische Freiheiten. „Man muss zwischen Auftragsproduktionen, die für eine spezielle Zielgruppe produziert werden, und Musikvideos mit Message unterscheiden“, erklärt Ramon Rigoni, seit 1996 im Geschäft. „Speziell im Bereich des Hip-Hop, vor allem Gangsta-Rap sind die Themen Frauen, Waffen und Drogen von RezipientInnen gefragte Themen.“ Jedoch gebe es die Möglichkeit, sich für eine oppositionelle Darstellung zu entscheiden, diese müsse aber kontextuell sinnvoll zum Song passen und das Label bzw. der/die Künstler/in müsse hierfür zustimmen. „Es ist wichtig zu verstehen, dass die jeweilige Darstellung keine Vermittlung der Realität sein soll, sondern eben das Thema des jeweiligen Videos visualisiert.“

Jemand der sich zwar Gedanken darüber macht, wie StatistInnen in einem Video dargestellt werden, sich aber über die Akzeptanz der ZuseherInnen wenig den Kopf zerbricht, ist Fabian Unger alias „Der traurige Gärtner“. Er selbst schreibt die Songs, überlegt sich wie die Videos gestaltet werden sollen und schneidet diese dann auch selbst. „Warum muss alles immer auf dem weiblichen Geschlecht basieren? Wieso nicht auf dem männlichen?“, startete er das Interview mit SUMO, „ich versuche die Dinge immer anders darzustellen als die restliche Musikwelt“. Unger betont auch, dass die Stärke der Message gegen Sexismus sehr davon abhänge, wer diese an seine Fans trage. „Wenn Andreas Gabalier zwei eingeölte Männer in Lederhotpants neben sich tanzen hätte, dann würde ich das sehr feiern.“ Aufgrund der Zielgruppe fände dies wohl nie statt.

 

Der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, aber mit Humor

Oppositionelle Gender-Darstellung wurde in den 1970ern mainstream-tauglich. Bands bzw. Künstler wie „Kiss“ oder David Bowie traten geschminkt bzw. in Kostümen auf. Einer der bekanntesten Künstler war Freddy Mercury mit „Queen“. Das 1984 veröffentlichte Musikvideo zu „I want to break free“ lies damals die Wogen hochgehen: geschminkt als Hausfrauen (Mercury mit Schnauzer), bestückt mit Staubsaugern und Hüfte wackelnd in der Küche als Verhöhnung der Normen und Parodie der TV-Serie „Coronation Street“.
2014 sorgten „Maddie & Tae“, ein weibliches US-Star-Duo in der dort Markt führenden Country Szene mit ihrem Musikvideo zu „Girl in a Country Song“ für Aufsehen. In den USA ein Musikvideo für einen Counrtysong zu produzieren, in dem statt halbnackter Frauen halbnackte Männer in engen Hotpants tanzen ist für die eigene Karriere gewagt. Die beiden wollten damit auf den Sexismus dieser Branche hinweisen. 2014 wurde „Girl in a Country Song“ von der „Recording Industry Association of America mit der Goldenen Schallplatte ausgezeichnet und bis zum Januar 2015 verkaufte sich das Lied 516.000 Mal.

In Österreich sind für humorvolle Darstellungen etwa „Bilderbuch“ bekannt. In ihrem Musikvideo zu „Bungalow“ sieht man der Sänger Maurice Ernst an der Stripstange oder beim instrumentalen Verwenden eines Staubsaugers, alles verbunden mit sexuell anregenden Bewegungen und oberkörperfrei. (Parallelen siehe oben)  Ihre Fans sind mit ähnlichen Bildern seit deren Album „Schick Schock“ vertraut und lieben „Bilderbuch“ offenbar (auch) hierfür. Es geht jedoch auch dezenter. Die US-Amerikanerin Maggie Rogers schaffte mit ihrem Lied „Alaska“, das Pharrell Williams während seiner Masterclass in Ekstase brachte (das Video davon verbreitete sich rasant im Internet), einen Karriereschub. Sexistische Darstellung im zugehörigen Musikvideo – Fehlanzeige.

 

Explizite Gender-Darstellung

Künstlerische Freiheit oder Zielgruppenbefriedigung, Sexismus ist in beiden Varianten vorhanden und die zu überschreitende Grenze, welche dabei immer im Auge des Betrachters bzw. der Betrachterin liegt ist oft schnell überschritten. Dennoch gibt es Genres, welche diese Grenze ausreizen – insbesondere der US-amerikanische Hip-Hop.

Explizite sexistische Gender Darstellungen sind hier seit den 80er/90er Jahren vorhanden. Durch, am Ende der 90er, aufblühenden Künstler wie z.B. 50 Cent, Rihanna oder Nelly und deren chartstürmenden Hits (inkl. Musikvideos) wird die explizit sexistische Darstellung der Frau bis heute mit Selbstverständlichkeit verwendet. Die des Mannes war lange Zeit eine Rarität. Durch das starke Wirtschaftswachstum Ende der 90er bis zur Finanzkrise ab 2007, verbunden mit einer sehr niedrigen Arbeitslosen- und Inflationsrate ging es den US Amerikanischen BügerInnen sehr gut. Durch diese positive wirtschaftliche Entwicklung und dem damit verbundenen Wohlstand wurden die Themen breiter selektiert und neu Gewichtet. Die Beats sowie deren Liedtexte wurden mehr auf Feiern und gute Laune zugeschnitzt. Es ging nicht mehr nur um West- & East- Coast, die Härte der Straße oder des Lebens. Sex, Liebe, Club und Crewzugehörigkeit wurden stärker betont, vor allem Letzters wurde als Marke etabliert (z.B. G-Unit von 50Cent).

Ein weiteres Genre in dem die sexistische Darstellung der Frau häufig als Mittel zum Kaufzweck dient, ist der klassische Pop. „Es gibt verschiedene Tendenzen, in gewissen Bereichen wurde das Publikum über die Jahre abgestumpfter. Daher muss man provokanter sein, um aufzufallen. Miley Cyrus hat mit dem nackten Posieren auf der Abrissbirne in ‚Wrecking Ball’ für reichlich Aufsehen gesorgt und auch gleichzeitig die Grenzen der sexistischen Darstellung ausgeweitet“, konstatiert Rigoni. „Aber wo ist das Verantwortungsbewusstsein dieser KünstlerInnen geblieben? Vor allem, weil diese genau wissen, wie jung deren Zielgruppe ist. Sich dann so ihren Teenage-Fans zu präsentieren, ist fragwürdig. Gut, dass ‚YouTube’ hierfür eine ab Altersbeschränkung eingebaut hat.“

 

Im deutschsprachigen Raum zählt das Genre Pop-Schlager neben Hip-Hop zu einem der auffälligeren. Explizite Genderdarstellung ist aufgrund geschichtlicher und gesellschaftlich vorhanden Normen erwünschter. Basierend auf Alkohol, Sex und Feiern wird hier eine Zielgruppe befriedigt, bei der es scheint als hätte diese es nie anderes kennen gelernt. „Abriss Austria“ von Wendja (Lukas Plöchel) ist ein Paradebeispiel dafür: Halbnackte Frauen reiten auf Bierfässern und der einleitende Teil ist der Refrain von „Haus am See“ (Peter Fox), lediglich so simpel umgeschrieben, damit die Fans nicht nach dem dritten Maß Bier überfordert sind und für eine ausgelassene Stimmung im Bierzelt gesorgt wird. „Im Hinblick auf erwachsene Zielgruppen kann man viel mehr experimentieren und ist nicht gezwungen zu überlegen, ob die ZuseherInnen dies nicht zu ernst nehmen bzw. den Kontext verstehen. Für mich ist es witzig, gerade weil mir diese Welt desAprès-Skiso fremd ist“, sagt Rigoni. Er erklärt auch, dass Lukas Plöchel mit dem Album das reifere Schlagerpublikum ansprechen wollte und nicht Jugendliche, die das erste Mal ausgehen.

 

Warum nicht mehr Opposition?

„Für mich ist ein Mann an der Strip-Stange etwas ganz Normales. Ich sehe hier nichts, das einen anderen Mann in seinem Ego beleidigen könnte. Leider trifft dies nicht für einen großen Teil unserer Gesellschaft zu und man neigt auch oft dazu, dies zu vergessen“, meint Fabian Unger. „Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Teil unserer Gesellschaft nicht gleich ‚weit’ ist wie jene, die oppositionelle Darstellung feiern. Es hat einen guten Grund, wieso Gangsta-Rap so ist wie er ist und es hierfür KonsumentInnen gibt.“ Jedoch könne bereits ein Video mit alternativer Visualisierung ein Anstoß für ein Umdenken sein. „Ich versuche anders zu gestalten. Die Tatsache, dass man mit oppositioneller Gender-Darstellung noch immer für Aufsehen sorgt schockiert mich“, so Unger.

Laut Rigoni dagegen seien die Pfade festgefahren. Jedoch: „Die Zeiten, in denen sich hauptsächlich Künstlerinnen mit viel Haut präsentierten, neigt sich dem Ende zu. Es gibt hier einen Trend im männlichen Sektor, sei es in einem Musikvideo, bei Konzerten oder auf ‚Instagram’. Dies wird immer mehr als Bonuspunkt genutzt“ so Rigoni.

„Ich würde mir wünschen, dass dies – sofern vonnöten – sich in Waage hält.“

Oder wie es der traurige Gärtner sagen würde: „Im Zweifelsfall anders machen“.

 

Von Lukas Pleyer