Wenn Kreativät Gesetze bricht

Neben seiner Bedeutung in der Statistik spielt auch im Kosmos der Musik das „Sample“ eine große Rolle. Dort gilt es als eine Sequenz aus einem Song, die von MusikerInnen in einen neuen musikalischen Kontext gebracht wird. Die einen sagen, dass das Sample den kreativen Prozess fördert; die anderen sehen es schlichtweg als Raub.

„Es gibt kaum etwas Komplizierteres als Musikrecht“, sagt der Urheberrechts-Anwalt Wolfgang Renzl im Gespräch mit SUMO. Was das Ganze so kompliziert macht, sind die verschiedenen Auffassungen und die Ambiguitäten zwischen Begriffen wie Musik, Zitat, Aufnahme, Werk, UrheberIn, KomponistIn, KünstlerIn. Renzl ist seit 2012 Partner in der Anwaltskanzlei Pfletschinger & Renzl und Experte im Bereich Musik-Urheberrecht. „Wenn man Sampling auf die frühe Musikgeschichte umlegt, dann war es immer eine große Ehre für MusikerInnen, wenn sie zitiert wurden. Daher kommt das Zitatrecht.“ Dieses sogenannte „Zitatrecht“ (§ 46 des Urheberrechtsgesetzes) ist laut Renzl „ethisch sehr positiv zu sehen“, da es der „Form eines künstlerischen Ausdrucks entspricht“. Jedoch wird beim konkreten Fall des Sampling rechtlich gesehen kein Zitat produziert, sondern eine Aufnahme verwendet. Und genau hier liegt der Hund begraben: Denn mit der Entstehung der verschiedenen Tonträger, durch die es möglich wurde Musik zu speichern und zu vervielfältigen, mussten Regeln definiert werden. So liegen auf jeder Musikaufnahme verschiedene Rechte: z.B. die Rechte an der Aufnahme und die Rechte am Werk. Bei einer Aufnahme sind diese beiden Rechte nicht zu trennen. „Jetzt ist es so, dass ich zwar das Werk zitieren darf, die Aufnahme sieht jedoch kein Zitatrecht vor.“ Die einzige den MusikerInnen verbleibende Möglichkeit ist es, das Werk nachzuspielen.

„Die Aufnahme ist ein Industrieprodukt“

Medienethisch betrachtet soll die Aufnahme geschützt werden, weil sie ein „Industrieprodukt“ ist, welches dadurch entstanden ist, dass jemand Geld dafür ausgegeben hat um es zu finanzieren. Deshalb tritt hier das Leistungsschutzrecht in Kraft. Denn das Aufnehmen an sich gilt nicht als kreatives Schaffen. Auch in einer vor Kurzem stattgefundenen Novellierung ist das Zitatrecht explizit ausgenommen. „Ich darf nicht die Aufnahme eines Werkes zitieren, sondern bloß das Werk.“

Wer soll sich da noch auskennen? Kein Wunder, dass es in den letzten Jahren viele Streitigkeiten um Samples gab. Während es in Österreich verhältnismäßig zu wenigen Gerichtsverfahren zum Sampling kommt, werden sie international von Labels mit Eifer bestritten. Einer der berühmtesten Fälle aus den letzten Jahren ist der Prozess zwischen Robin Thicke und den Nachfahren bzw. der Tochter von Marvin Gaye. Thicke (und dem Produzenten Pharrell Williams) wurde vorgeworfen, dass der Mega-Hit „Blurred Lines“ dem Song „Got to give it up“ von Marvin Gaye zu sehr ähnelt. Daraufhin wurden Thicke und Pharrell zu 7,4 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt. Und dabei ging es noch nicht mal um die Samples, sondern um das „allgemeine Feeling des Songs“, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Die Diskrepanz zwischen Recht und Realität

Ein etwas aktuellerer Fall der in Deutschland diese Diskussion wieder anheizt und mit dem sich sogar das Bundesverfassungsgericht in einer seiner seltenen mündlichen Verhandlungen auseinandergesetzt hat, ist der Prozess zwischen dem Produzenten Moses Pelham und der Band „Kraftwerk“. Pelham wird vorgeworfen einen Teil – genauer gesagt eine Zwei-Sekunden-Tonsequenz am Anfang – deren „Kraftwerk“-Stücks „Metall auf Metall“ für den Song „Nur Mir“ von der Rapperin bzw. Sängerin Sabrina Setlur benutzt zu haben. Dabei argumentiert der Kläger Ralf Hütter, Mitglied der Band „Kraftwerk“, damit, dass das Aufnehmen des Stückes harte Arbeit war und sich niemand einfach so daran bedienen sollte – vor allem ohne bei der Band um Erlaubnis gebeten zu haben. Für Pelham steht jedoch der künstlerische Mehrwert des Samplings – der vor allem im Hip-Hop weit verbreitet ist – im Vordergrund. Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb das so: „Der Geist dieser Kultur, die das auf Tonträger gebannte musikalische Gedächtnis als Steinbruch für das Sampling neuer Stücke nutzt, steht im diametralen Gegensatz zu einem Urheberrecht, dessen zentraler Begriff der Schutz des geistigen Eigentums ist.“ Und auch Renzl sieht eine große Diskrepanz zwischen dem Recht und dem Gelebten: „Wie weit hier das Recht vom tatsächlich Erlebten entfernt ist, sieht man wohl am Besten im Jazz. Denn Jazz zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass ich existierende Stücke anders gestalte, z.B. mit Soli.“ Theoretisch bräuchte man für dieses Unterfangen eine Bearbeitungslizenz, oder man spielt die Sequenz selbst ein. Doch in einigen Fällen ist das für die KünstlerInnen keine Lösung. Pelham meint, er wollte unbedingt das „Original“ benutzen: „Es werden hier alte Herren vorgespannt, die eigentlich nur für ein paar arrivierte KünstlerInnen sprechen und nicht wahrnehmen, dass sich in Wirklichkeit die Stilrichtungen und die Ausdrucksvielfalt so verbreitet haben, dass das Urheberrecht komplett neu zu überdenken ist“, pointiert Renzl.

Diebstahl oder Inspiration?

So scheint es, als ob es in puncto Sampling zwei schwer zu vereinbarende Meinungen gibt. Während die einen es als kreativen Verarbeitungsprozess sehen, ein Zitat einer inspirierenden Quelle, finden die anderen, dass es das Urheberrecht verletzt und einem Diebstahl gleichkommt. Tatsächlich sind es aber selten die KünstlerInnen selbst, die sich darum streiten, sondern ManagerInnen, Labels und andere Interessensgruppen. Der Urheberrechtsanwalt Renzl meint, es gebe zwar immer wieder Novellen, doch „meist nicht zum Wohle der KünstlerInnen, sondern zum Wohle der Industrie und des Kapitals“. So müssen sich viele KünstlerInnen weiterhin in Acht nehmen wenn sie samplen, denn bei Überschreitung des Gesetzes drohen hohe Geld- und gar Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zwei Jahre. Ein Produzent (der anonym bleiben wollte) kann dem Ganzen jedoch auch etwas Positives abgewinnen: „Die rechtlichen Begrenzungen zwingen einen zu mehr Kreativität, wenn man z.B. die Samples so verändert, dass man sie unkenntlich macht, oder sie überhaupt selbst einspielt.“