Journalismus: Ein Beruf, viele Legenden

Journalismus: Ein Beruf, viele Legenden

Ein bekanntes Zitat sagt, man solle für sich selbst einen Beruf wählen, den man liebt. Denn dann brauche man keinen Tag in seinem Leben mehr zu arbeiten.

Wer im Journalismus tätig ist, für den scheint der Beruf ohnehin mehr zu sein, als „nur“ eine Arbeit – so ist jedenfalls der Eindruck nach mehreren Interviews mit Journalist:innen. Einige haben ihre Branche besonders geprägt, oder tuen es heute noch. SUMO hat sich auf die Suche nach Jour­nalist:innen-Legenden gemacht – und große Persönlichkeiten gefunden.

Wenn sich Heinz Nussbaumer an sein erstes Zusammentreffen mit Hugo Portisch erinnert, dann ist es eine Er­innerung an den „unendlich Großen“. „Aus dem Versuch ihn nachzuahmen, haben wir uns angezogen wie er, mit denselben hellblauen Hemden und einem Trenchcoat. Wir wollten alle Portisch sein“, sagt er. Nussbaumer ist selbst Journalist, der im April 2021 ver­storbene Hugo Portisch war sein Weg­begleiter. Dass der Name Portisch nicht fehlen darf, wenn es um Journalist:in­nen-Legenden geht, scheint außer Fra­ge zu stehen. Für Heinz Nussbaumer war Hugo Portisch schon zu Lebzeiten eine Legende: „Als ich noch Student war, haben Freunde von mir meine Beiträge aus einer Salzburger Zeitung immer wieder an Hugo Portisch ge­schickt“, erzählt Nussbaumer. Eines Tages folgte die Einladung, schließlich kam er als 23-Jähriger zur Außenpoli­tik bei der Tageszeitung Kurier. Portisch wurde sein Vorgesetzter – und Leh­rer: „Er hat mich in die Welt hinausge­schickt.“

Die drei Ratschläge des Hugo Portisch

Journalist zu sein, sei Portischs Le­bens- und Berufswunsch gewesen, habe ihm eine Freiheit wie kein ande­rer Beruf gegeben, sagt Nussbaumer. Welches Verständnis des Berufes Portisch hatte, verdeutlicht ein Zitat von ihm: „Ein Privileg, als Chronist mitzu­erleben, wenn der erste Rohentwurf der Zeitgeschichte geschrieben wurde.“ Dazu komme Ernsthaftigkeit, ein hoher ethischer Anspruch, positive Neugier­de und Unbestechlichkeit, erinnert sich Heinz Nussbaumer: „Er war frei von Besserwisserei und Vorurteilen, war enorm tolerant.“ Was Portischs Arbeit geprägt habe, sei auch die Ansicht ge­wesen, dass man die Zukunft nur be­wältigen könne, wenn man die Ver­gangenheit verstehe: „Das war der Kern seiner ORF-Dokumentationsserien.“ Dazu kamen freilich die persönlichen Erfahrungen aus dem Aufwachsen während des Zweiten Weltkrieges, in der Nachkriegszeit und das Miterleben des Wiederaufbaus Österreichs. Aber: „Er war eine stille Autorität hinter den Kulissen. Ich glaube, bis heute könnte niemand sagen, welcher Parteigänger er war.“ Hugo Portisch habe seinen Kol­leg:innen gerne drei Ratschläge mit auf den Weg gegeben. „Sage nie jemandem ungefragt, welchen Beruf du hast – so angesehen ist er nicht. Wer immer dich hofiert, merke dir: Er meint nie dich, er meint immer nur das Medium. Vergiss nie, Journalismus ist immer nur geborg­te Macht“, sagt Nussbaumer. Dass sich das Berufsbild von Journalist:innen – und damit auch die Aufgaben – verändert haben, sei allerdings auch Hugo Portisch bewusst geworden: „Er hat zu mir gesagt: „Ich kann nicht über etwas reden, das für junge Journalisten irrele­vant geworden ist. Zeitungen werden anders gemacht, das ist nun einmal so.“

Wenn der Beruf zur Lebensge­fahr wird

Zugegeben: Die Suche nach Journa­list:innen-Legenden ist keine einfache. Wer gehört unbedingt dazu? Welchen Namen darf man keinesfalls verges­sen? Wie definiert man „Legenden“ überhaupt? Alleine im deutschsprachi­gen Raum wäre die Liste lang. Mit Blick auf Europa, die USA oder gar global noch um einiges länger. Darunter auch Journalist:innen, die für ihren Beruf das Leben lassen mussten. Der Slowake Ján Kuciak ist einer von ihnen. Er war Re­dakteur der Nachrichtenplattform ak­tuality.sk und beschäftigte sich im Zuge dessen hauptsächlich mit Korruption in der slowakischen Politik und Wirt­schaft. Nachdem Kuciak bereits mehr­mals Drohungen erhalten hatte, wurde er gemeinsam mit seiner Verlobten Martina Kušnírová im Februar 2018 tatsächlich ermordet aufgefunden. Erst danach wurden weitere Recherchen Kuciaks veröffentlicht, in denen es um Verbindungen zwischen slowakischen Politikern zu organisierter Kriminali­tät ging. Diese Berichte sorgten für große Bestürzung in der Bevölkerung – mit dem Ergebnis, dass Politiker bis hin zum damaligen Ministerpräsiden­ten Robert Fico zurückgetreten sind. Fast drei Jahre später wurde Miroslav Marcek für den Mord an den beiden zu 25 Jahren Haft verurteilt. Seit dem Be­kanntwerden des Todes von Ján Kuciak stand die Vermutung eines Auftrags­mordes im Raum.

Im Film „Die Unbestechlichen“ aus dem Jahr 1976 geht es um zwei Journalisten, die ebenfalls einen Legendenstatus er­reicht haben: Carl Bernstein und Bob Woodward. Ihre Recherchen führten zur Aufdeckung der „Watergate-Affä­re“ und in der Folge zum Rücktritt von Richard Nixon, damals Präsident der USA. Bernstein wurde 1944 geboren und wuchs in Washington D. C. auf. Seine journalistische Laufbahn hat im Alter von 16 Jahren begonnen, mit 19 war er bereits Reporter. Woodward stammt aus Illinois und wurde 1943 geboren. In den 1960er Jahren hat er Geschichte und englische Literatur an der Yale University studiert. Nach eini­gen Jahren bei der US-Navy kam er An­fang der 1970er Jahre zur Washington Post. Bernstein und Woodward berich­teten ab 1972 über den US-Wahlkampf – und über missbräuchliche Vorgänge in der Amtszeit von Richard Nixon. Im Sommer 1974 erklärte er seinen Rück­tritt. Für ihre investigativen Recherchen wurden Carl Bernstein und Bob Wood­ward gemeinsam mit der Washington Post mit dem Pulitzer-Preis ausge­zeichnet.

Anneliese Rohrer: Eine Legende als Vorbild

Zurück nach Österreich. Weiter auf der Suche nach Journalist:innen-Legenden. Anneliese Rohrer – auch sie darf nicht fehlen. „Ich bin zu zwei Überzeugungen gelangt. Für den Beruf des Journalis­ten brauchen Sie unglaubliche Leiden­schaft, sonst zahlt es sich nicht aus. Und Sie brauchen ein Motiv, warum Sie es machen. Das kann alles Mög­liche sein: Bekanntheit, Ruhm, Leute kennenzulernen, Schreiben. Mein Motiv war immer zu verhindern, dass die Leu­te von der Politik hinters Licht geführt werden“, sagt sie. Das helfe auch, mit Kritik umzugehen. Oder mit Anfeindun­gen, die im Internet geäußert werden. „Am besten für die eigene psychische Hygiene ist, man liest das gar nicht erst.

Vor allem wenn der Tonfall nicht konst­ruktiv ist“, sagt Rohrer. Sie hat jahrzehn­telange Erfahrung im Journalismus, war unter anderem bei den Tageszeitungen Kurier und Presse – für die schreibt sie auch heute noch – tätig. Ein journalis­tisches Vorbild hatte auch sie: „Erreicht habe ich es nie: die legendäre Chef­redakteurin von ‚Die Zeit‘, Marion Grä­fin Dönhoff.“ Die Frage liegt nahe, wie Anneliese Rohrers Einstieg in den Beruf ausgesehen hat. Wieder schwingt in der Antwort mit, dass sich die Branche verändert habe, ihre Anfangszeit mit der heutigen Situation schwer zu ver­gleichen sei. „Es gab überhaupt keine Journalistenausbildung in Österreich“, erinnert sie sich. „Völlig unerfahren“ habe sie die Chance bekommen, bei der „Presse“ zu arbeiten. Heute sei ein Studium oft sogar eine Voraussetzung für einen Job in der Branche. Nicht die beste Entwicklung, findet Anneliese Rohrer: „Durch diese Formalisierung verliert man Menschen, die etwas Be­sonderes für den Beruf mitbringen. Das wird sich nicht mehr zurückdrehen las­sen.“

Ein Leben lang mit dem Beruf verbun­den. So soll das sein, meint Anneliese Rohrer: „Man muss nicht unbedingt so politiksüchtig sein wie ich. Aber man muss die Neugierde und das Interesse behalten. Und dazu die Quintessenz des Journalismus, der Wahrheit – was auch immer das ist – ein Stück weit nä­her zu kommen.“ Man müsse sich die Vertrauenswürdigkeit behalten, sagt sie. Denn: „Ein Journalist hat kein ande­res Kapital als seine Glaubwürdigkeit, das kann man nicht aufs Spiel setzen. Nicht alle sehen das so, aber dann geht es meistens auch nicht gut aus.“ Der Blick auf die Zukunft der Branche fällt auch der erfahrenen Journalistin nicht leicht. „Sie wird davon abhängen, ob die Medienhäuser eine Antwort darauf fin­den, wie man guten Journalismus wirk­lich finanzieren kann. Das wird das Um und Auf sein“, betont Rohrer. Einsparen könne auf Dauer jedenfalls nicht der richtige Weg sein. Für junge Kolleg:innen hat sie – auch abseits des Findens eines richtigen Motives – einen wichti­gen Rat: „Man muss sich Gedanken da­rüber machen, in welcher Mediensparte man sich am wohlsten fühlt. Weil dann kann man die nötige Leidenschaft und Energie entwickeln.“ Anneliese Rohrer lehrte an der Fachhochschule Wien, die Weitergabe des Wissens per se sei da­bei aber nicht das Ausschlaggebende. Vielmehr gehe es darum, Studierenden vor Augen zu führen, unter welchen Rahmenbedingungen Journalismus als Beruf funktionieren könne.

Kritischer Blick auf die journa­listische Persönlichkeit

Wer als Journalist:in tätig ist, dem kom­men im Rahmen des Berufes mehrere Funktionen zu: Informationsvermitt­lung, Aufklärung, Kritik und Kontrolle. Vor allem in den drei Letztgenannten sei das Bedürfnis, sich einzubringen, bei vielen auch im journalistischen Ru­hestand groß, sagt Kommunikations­wissenschaftler Markus Behmer von der Universität Bamberg. Der Beruf endet eben nicht zwingend mit der Pension. Es kommt vor, dass Journa­list:innen noch vor dem Ruhestand in Talkrunden zu Gast sind. Das sei auch kritisch zu sehen, meint Behmer: „Oft – vielleicht sogar zu oft – erlebt man dann, dass Journalist:innen Journa­list:innen befragen. Eigentlich sollten sie aber mit Expert:innen sprechen und Journalist:innen nicht den Anspruch ha­ben, Expert:innenwissen zu ersetzen.“ Spätestens an diesem Punkt stellt sich auf der Suche nach Journalist:innen- Legenden die Frage, wie wichtig die einzelnen Persönlichkeiten eigentlich sein dürfen. Schließlich hat Hugo Por­tisch gesagt, man hofiere keine Person, sondern ein Medium. „In der Journalis­musforschung war die Systemtheo­rie sehr lange en vogue. Die einzelne journalistische Persönlichkeit ist eher vernachlässigt worden – und das auch völlig zurecht. Denn das redaktionelle System innerhalb eines Mediums be­stimmt viel stärker als einzelne Per­sonen, wie und was berichtet wird“, erklärt Behmer. Was nicht heißen soll, dass es keine Vorbilder geben darf. „Hier wäre es wichtig, ein diverses Bild zu zeichnen. Zum Beispiel mit Journa­listinnen, die dann wiederum Vorbild für junge Frauen sein können“, sagt er. Was Journalist:innen zur Legende macht, muss übrigens nicht unbedingt ein großer Name sein: „Es können auch die Leute sein, die zum Beispiel in den Lokalredaktionen ihre tägliche Arbeit machen. Es müssen nicht unbedingt die großen aufklärerischen Leistungen sein – sondern auch die Personen, die ganz einfach Informationen vermitteln“, betont Markus Behmer.

Noch einmal zurück zu Hugo Portisch, der Mitte Februar 95 Jahre alt gewor­den wäre. Sein Wissen hat er unter anderem auch an Heinz Nussbaumer weitergegeben. Naheliegend also, dass Nussbaumer etliche Laudationes auf Portisch gehalten hat. Trotz des Legen­denstatus: Die posthume Erinnerung von Heinz Nussbaumer an den „unend­lich Großen“ ist letztlich doch eine ganz persönliche: „Wir hatten eine Lebens­freundschaft – die manchmal etwas näher, manchmal etwas entfernter war.“

Von Anna Hohenbichler

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