Blogging – der andere Journalismus?

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Soziale Medien sind längst nicht mehr bloß Plattformen zum Austausch privater Informationen. BloggerInnen scheinen die neuen Massenmedien zu dominieren. SUMO sprach mit „Fakt ist Fakt“-Gründer Philip Pramer, Social Media-Managerin Lisa Stadler und Userblog-Manager Kevin Recher beim „STANDARD“, um dem Einfluss von Blogging auf Information und Rezeption nachzuspüren. 

Als Philip Pramer 2016 zusammen mit zwei ehemaligen Mitstudierenden den Fact-Checking-Blog „Fakt ist Fakt“ gründet, befindet er sich noch in den Startlöchern seiner redaktionellen Karriere. Als damaliger Politikwissenschaftsabsolvent wünscht er sich konsequentere Überprüfung politischer Aussagen und somit durchgehende Konfrontation der PolitikerInnen. Seiner Meinung nach sei dies bei vielen Medien bis heute nicht ausreichend gegeben. Laut Pramer ist „Fact-Checking“ zwar „eine klassische journalistische Arbeitstechnik, die idealerweise jedes Medium betreibt“, die Schwierigkeit als klassisches Medium liege jedoch vor allem darin, permanentes Fact-Checking zu betreiben. „Dafür bräuchte es vermutlich eigene Ressorts oder eigene Fernsehsendungen“. Dennoch hat der „STANDARD“-Medienredakteur das Gefühl, dass sich die Situation verbessert habe.  

Blogging – ein Schrei nach mehr Information? 
Philip Pramer scheint mit seinem Wunsch nach mehr Fakten nicht allein zu sein. Die vom deutschen Fachjournalisten-Verband in Auftrag gegebene Studie „Blogger 2014 – Das Selbstverständnis von Themenbloggern und ihr Verhältnis zum Journalismus“ stellte fest, dass das Hauptmotiv der BloggerInnen in der Vermittlung von Informationen liegt. An zweiter Stelle folgt Unterhaltung. Auch die 2018 durchgeführte Studie „Deutschlands Blogger – Die unterschätzten Journalisten“ kam zu einem sehr ähnlichen Ergebnis. Fast die Hälfte der befragten BloggerInnen gab an, vorwiegend über bestimmte Themen informieren zu wollen. Nur für rund ein Drittel der Befragten steht Unterhaltung und Service im Vordergrund. Die restlichen zehn Prozent sehen ihre Funktion in Kritik und Kontrolle. Verglichen mit den Motiven der JournalistInnen ist der Unterhaltungsfaktor im Blogging dennoch wesentlich bedeutsamer. Nur ein Zehntel aller befragten JournalistInnen gab an, hauptsächlich unterhalten zu wollen, während 70 Prozent Information und Vermittlung als wichtigstes Motiv angaben. Die Bereitstellung von Fakten scheint somit zwar auch im Blogging eine wichtige Rolle zu spielen, der Journalismus ist hier jedoch weiterhin der Vorreiter. Dass zwischen dem reinen Wunsch nach der Gestaltung von informativen Beiträgen und der tatsächlichen Qualität der Blogs unterschieden werden muss, zeigen weitere Ergebnisse der Studie „Deutschlands Blogger – Die unterschätzten Journalisten“. So würden BloggerInnen im Gegensatz zu den großteils besser ausgebildeten, professionellen JournalistInnen hauptsächlich Onlinerecherche betreiben. Eine Tatsache, welche die journalistischen Qualitäten der Blogs wiederum in Frage stellt. 

 So scheint es im ersten Augenblick nicht verwunderlich, dass der Begriff „Fake News“ im Zusammenhang mit Blogging und Social Media nicht selten aufkommt. „Facebook“ spielt bei der Verbreitung von Fake News in Deutschland die bedeutendste Rolle, so die Studie „Fakten statt Fakes – Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017“. Während unter anderem „rechte Blogs“ ebenfalls zur Falschinformation beitragen, sind die Hauptverdächtigten die ohnehin reichweitenstarken Medien, Parteien und PolitikerInnen via „Facebook“. „Eine reine Frage der Reichweite“, so auch Lisa Stadler. Ihrer Meinung nach bräuchte es grundsätzlich keinen Blog, um zur Meinungsbildung beizutragen. „Wenn jemand in Österreich 400.000 Follower auf ‚Instagram’ hat und sich politisch äußert, dann kann derjenige bereits Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen.“ In der Realität würden das jedoch nicht viele schaffen. Und die es schaffen? Die deutsche Studie „Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung“ (2017) bestätigt, dass aufgrund diverser Social Media-Kanäle sowohl unser Blick auf das allgemeine Meinungsklima als auch unsere Anfälligkeit für Fake News stark beeinflusst wird.  
Die Inhalte auf Social Media müssen aber natürlich nicht unbedingt von BloggerInnen stammen. Philip Pramer, der sowohl mit den Arbeitsweisen traditioneller Medien als auch mit jenen des Bloggings vertraut ist, würde BloggerInnen in diesem Kontext nicht als Gefahr betrachten, da auch sie einen Ruf zu verlieren hätten. Er selbst habe zusammen mit seinen Mitbegründern außerdem auch die Beiträge der GastautorInnen ihres Fact-Checking-Blogs auf Richtigkeit überprüft. Ebenso haben sie ihre Fact-Checks auch untereinander gegengelesen, um das Posten von zu wenig recherchierten Beiträgen zu vermeiden. Ein Vorgang, der auch für „STANDARD“-Userblog-Manager Kevin Recher selbstverständlich ist. Das Redigieren der Blogs ist Teil seines Jobs, was jedoch nicht bei allen VerfasserInnen auf Verständnis stoße. Dennoch wäre der Großteil der Community dankbar für die professionelle Unterstützung.  

Partizipativer Journalismus – Freund oder Feind? 
Die Userblogs des „STANDARD“ sind neben den Foren unter anderem eine Möglichkeit, sich am Geschehen zu beteiligen. Vom Archäologie-Blog bis zu Rezepten findet man hier alle möglichen Beiträge. Weder Alter noch Beruf spielen bei den Teilhabenden hier eine Rolle. Als Userblog-Manager ist Recher vor allem dafür verantwortlich, die Blogs zu betreuen und mit den VerfasserInnen zu kommunizieren. Eine Aufgabe, die nicht immer leicht sei: „Mit externen Leuten zu arbeiten hat viele positive, aber auch negative Seiten“. Nicht alle sind mit den Änderungen, die Recher an den Beiträgen vornimmt, einverstanden. Völlig abgelehnt würden die Blogbeiträge grundsätzlich nicht, aber immer wieder müsse auf unpassende Formulierungen oder unzureichende Recherche hingewiesen werden. Dennoch habe er den Eindruck, dass ihnen die Qualität und Richtigkeit ihrer Arbeit wichtig seien. Die Schwierigkeit liege eher darin, BloggerInnen zu finden, die neben Studium, Beruf und Privatleben auch noch die Zeit finden, regelmäßig und außerdem unentgeltlich Userblogs zu schreiben. Als Dank gebe es jedoch Goodies für die AutorInnen.  

Auch andere Medienhäuser legen heute mehr Wert auf die Community-Einbindung, etwa die „Krone“ (LeserreporterInnen und Forum) oder der ORF („debatte.orf.at“). Eine Maßnahme, die partizipativen Journalismus aus Sicht der Medienhäuser in ein positives Licht rückt. Bedeuten medienunabhängige Blogs und Plattformen eine Konkurrenz für die traditionellen Medienhäuser? 
Abgesehen von den Userblogs, die „derStandard“ selbst betreut, sieht Lisa Stadler auch andere Blogs in Österreich nicht unbedingt als Konkurrenz für den Journalismus: „Im besten Fall wäre das so“. Vor ungefähr zehn Jahren hätte man damit gerechnet, dass sich Blogs stärker am Markt etablieren würden, was jedoch nicht eingetreten sei. Als Social Media-Managerin hätte sich Stadler gewünscht, dass sich etwas am Markt verändert, da dadurch auch der Ansporn der Medien, etwas zu verändern, größer wäre. Eine Veränderung gab es beim „STANDARD“ vor zwei Jahren mit der Einführung des sogenannten „Newsdesk“: Hier sitzt Stadler unter anderem mit einer Chefin vom Dienst und einem Redakteur, der sich nicht nur mit einem, sondern mehreren Ressorts auseinandersetzt. Aufgrund dessen, dass die verschiedenen Abteilungen am Newsdesk in einem Raum versammelt sind, erhält die Social Media-Managerin Informationen über aktuelle Ereignisse früher und kann somit auch schneller handeln. Beiträge können früher vorbereitet und folglich auch schneller gepostet werden. „DER STANDARD“ versuche laut Stadler also zwar auch auf Social Media-Plattformen wie „Instagram“ präsent zu sein, doch um auch die jüngere Zielgruppe noch besser über derartige Plattformen erreichen zu können, würden die notwendigen Ressourcen fehlen.  
Abgesehen davon sei es auch schwierig, die richtige Social Media-Strategie für ein Medium zu definieren. Als sich „DER STANDARD“ 2014 erstmals auf „Instagram“ präsentierte, ging man davon aus, dass die Plattform ein reiner Lifestyle-Channel sei: „Wir haben alle geglaubt, da muss man immer schöne Bilder posten“. Im Endeffekt stellte sich jedoch heraus, dass die LeserInnen die Beiträge vor allem deswegen verfolgen, weil sie News wollten. „Im Grunde genommen logisch“, aber in diesem Fall dennoch ein Problem, das eine Umstellung des Auftritts erforderte. Heute liege der Fokus zwar auf aktuellen Neuigkeiten, um über ausreichend Content zu verfügen und die Stimmung mit positiven Beiträgen aufzulockern, werden jedoch auch Lifestyle-Themen in den Feed aufgenommen. Reisefotos und diverse Rezeptvorschläge sind unter anderem ein Teil davon. Dennoch geht Lisa Stadler davon aus, dass von Seiten der Medien nicht unbedingt der Wunsch bestehe, so zu sein wie Blogging.  
Auch Philip Pramer ist der Meinung, dass auf Grund der behandelten Themen kein direkter Konkurrenzkampf zwischen Journalismus und Blogging bestehe. Grundsätzlich könne Blogging dem Journalismus zwar in gewissen Bereichen, wie beispielsweise der persönlichen Annäherung an bestimmte Themen, überlegen sein, aber um den Medien LeserInnen abzuwerben, würde dies nicht ausreichen. „Blogs sind kein Ersatz für Nachrichten.“ Für die Nachrichtenproduktion brauche es dauerhafte Strukturen mit fixen Abläufen, Experten und Agenturanbindung. „Kein Blogger würde auf eine langweilige Pressekonferenz gehen“, sagt Pramer. Genau das sei aber oft notwendig, um die Grundversorgung mit Nachrichten sicherzustellen, die oft nur wenige Likes abwirft. Abgesehen davon gibt es in Österreich nur wenige Blogs, die sich mit politischen Themen beschäftigen.  

JournalistIn oder nicht – eine Frage der (Selbst-)Wahrnehmung  
Einer der bekanntesten Politikblogger in Österreich ist wohl Markus Wilhelm. Seinen Blog „dietiwag.at“ beziehungsweise „dietiwag.org“ bezeichnet er im Impressum als die „politischste Internetseite Österreichs“. Ausschlaggebend für die Entwicklung der Website war ursprünglich eine Konfrontation mit der im Ötztal beheimateten Stromerzeugungsgesellschaft „Tiwag“ im Jahr 2004. Im Zuge seiner Recherchen konnte Wilhelm nicht nur das für Aufruhr sorgende Kraftwerksprojekt verhindern, sondern auch noch zahlreiche weitere Skandale des Energieversorgers aufdecken. Seitdem enthüllt der Tiroler auf seinem Blog laufend politische Skandale und versorgt seine Leserschaft mit Informationen und Neuigkeiten. In den Kreisen des Österreichischen Journalisten-Clubs schätzte man Wilhelms Beitrag zum politischen Diskurs in Österreich sogar so sehr, dass man ihm 2019 den renommierten „Prof. Claus Gatterer-Preis“ verleihen wollte. Dieses Angebot lehnte Wilhelm jedoch vehement ab. In einem Blogbeitrag erläuterte er neben weiteren Begründungen sein Verhalten unter anderem mit den Worten: „Ich sehe mich nicht als Journalisten, schon gar nicht als ‚investigativen Journalisten’, wie es in der Begründung der Jury heißt, sondern als politischen Aktivisten, der halt schreibt.“ Eine Aussage, die wohl den einen oder die andere überraschte. Außerdem wirft die Aussage eine besonders heikle Frage auf: Wer sind denn überhaupt JournalistInnen? 

 „Eine Frage der Selbstwahrnehmung“, meint Lisa Stadler. Es gebe BloggerInnen wie Markus Wilhelm, die gründlich recherchieren und journalistische Arbeitstechniken anwenden und sich trotzdem nicht mit Journalismus identifizieren würden. Umgekehrt wundere sie sich immer wieder über BloggerInnen, die sich selbst die Funktion einer/s Journalistin/en zuschreiben, ihrer Einschätzung nach jedoch überhaupt nicht dementsprechend handeln und schreiben. Doch auch hier sieht sie Probleme bei der Differenzierung. „Was unterscheidet dann zum Beispiel wieder eine Lifestyle-Bloggerin von einer Lifestyle-Journalistin bei ‚Woman’?“ Auch Philip Pramer, der selbst angibt, für seinen Blog nicht weniger intensiv recherchiert zu haben als für seine Artikel beim „STANDARD“, hätte sich bei der Gründung von „Fakt ist Fakt“ niemals als Journalist bezeichnet. Seine persönliche Auffassung eines/r Journalisten/in ist: „Jemand, der bereits viel in diesem Bereich gemacht hat und dafür auch viel Zuspruch erhalten hat.“ Eine genaue Definition des Begriffs „JournalistIn“ scheint es in Österreich nicht zu geben. Zwar richtet sich das österreichische Journalistengesetz an jene, die diese Arbeit hauptberuflich betreiben und von ihrem Verdienst leben können, in der Realität werden, wie im Falle von Markus Wilhelm, jedoch auch andere Personen als JournalistInnen angesehen. Die Unterscheidung zwischen Journalismus und Blogging fällt also selbst ExpertInnen schwer. Das spricht ebenfalls dafür, dass Journalismus tatsächlich eine Frage der Wahrnehmung ist.  

 „Kritik ist gut, ohne Kritik hätten wir Stillstand.“ 
Betrachtet man Österreichs Blogging-Landschaft, so findet man Beiträge zu allen möglichen Themen. Die Reichweite der Blogs ist jedoch meist eher gering. Nur die wenigsten schaffen es, von ihren Tätigkeiten als BloggerIn zu leben. Die wahrscheinlich größte Gefahr besteht darin, dass die VerfasserInnen sich durch bezahlte Werbung beeinflussen lassen und sich die Auswahl der Themen und die Sichtweise auf bestimmte Inhalte dadurch verändert. Aber: Wer kann uns versichern, dass traditionelle Medien das nicht auch machen? Durch das Auftreten des Phänomens „Blogging“ kann grundsätzlich angenommen werden, dass die Bevölkerung das Gefühl hat, die traditionellen Medien würden sich mit gewissen Themenbereichen noch nicht optimal auseinandersetzen. Dennoch scheint es bisher nicht so, als würde der Journalismus dadurch verdrängt werden. Ganz im Gegenteil meint Lisa Stadler, dass diese Kritik an den Medien sogar gut ist. „Ohne Kritik hätten wir Stillstand.“ Und Stillstand ist schließlich nie gut. 

Von Katharina Samsula