Der Wandel medialer Unterhaltungsbedürfnisse 

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Wandel. Medien. Unterhaltung. Um den Wandel der Unterhaltungsbedürfnisse zu beleuchten, hat SUMO Interviews mit den Kommunikations- und MedienwissenschaftlerInnen Peter Vorderer (Univ. Mannheim) und Katrin Döveling (h_da Hochschule Darmstadt) geführt.  

6.50 Uhr morgens, der Wecker am neu gekauften Handy klingelt. Markus R., Rechtsanwalt an einer großen Firma in Wien, schaltet den Wecker ab, bleibt aber noch im Bett liegen. Er checkt die sozialen Netzwerke. Er hätte zehn Minuten später aufstehen können, dennoch bevorzugt R. den Tag mit der Durchsicht einer neuen „Instagram“-Story zu beginnen. Ist es eine neue Art von Unterhaltung? Was bedeutet das für die Medienrezeption generell? Und ist der Wert der Medien in der Gesellschaft heute so groß? 

Rezeption und Unterhaltung 

Beginnen wir mit dem Begriff „Rezeption“. Katrin Döveling, habilitierte Professorin an der Hochschule, University of Applied Sciences Darmstadt , definiert ihn so: „Das sind alle Prozesse, die wir in den Medien wahrnehmen und empfangen“.  Die Wissenschaftlerin hebt hervor, dass die Medienrezeption heute extrem angestiegen sei. Wir befinden uns jetzt in einer digitalen Filterblase, so Döveling, die hervorhebt: Wir sollten auch das wahre Leben genießen. Der Prozess der Rezeption laufe bei jedem anders ab, besonders die neuen Medienangebote betreffend. Sie sei von verschiedenen Faktoren abhängig, die oft gleichzeitig zusammenwirken. Zu diesen könnten etwa das Alter, das Geschlecht, persönliche oder gemeinsame Erfahrungen, berufliche Tätigkeit oder Familienstand gezählt werden. Das alles beeinflusst auch den Unterhaltungsbedarf. Peter Vorderer, Professor an der Universität Mannheim und Medienwirkungsforscher, erläutert, was hinter dem Begriff „Unterhaltung“ steckt. „Die Unterhaltung ist ein Prozess, bei dem MediennutzerInnen für einen begrenzten Zeitraum in eine Situation kommen, in der sie sich gut fühlen, in der sie belustigt, aber auch beeindruckt werden, durch das, was sie in den Medien wahrnehmen.“ Er konstatiert, dass der Bedarf an Unterhaltung immer sehr ausgeprägt war, jedoch existieren in der modernen Welt viele verschiedene Lebensbereiche mit der Möglichkeit, sich zu unterhalten, und das Angebot war nie so groß wie heute. Der Anspruch an Unterhaltung sei aber auch höher geworden, er sei immer und überall vorhanden. Auf den Punkt gebracht: „Das Bedürfnis an Unterhaltung war immer da, die Nutzung sowie Nutzungszeit sind gewachsen“. Trotzdem kann man behaupten, dass je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto mehr will sie konsumieren. Die Menschen kennen oft aber selbst nicht, was sie brauchen. In diesem Fall bietet die Unterhaltungsbranche die Angebote für jeden Geschmack. 

Bleiben wir beim Beispiel von Markus R. In seinem Haus sind ein TV-Gerät, vier Handys, zwei Laptops, eine PlayStation und ein Radiogerät zu finden. Wie kann das Leben von Herrn R. ohne Medien vorstellbar sein, wenn so viele verschiedene Geräte seine Familie im Alltag begleiten? Kaum, könnte man vermuten.    

Die moderne Mediennutzung kann sowohl Vorteile als auch Nachteile bringen. „Ich sehe zwei Seiten der Medaille“, so Döveling. Einerseits böten die Medien viele Freiheiten. Jede/r kann beginnen, online Fremdsprachen zu lernen oder auf eine virtuelle Reise gehen. Die Serien auf „Netflix“ lassen viele Menschen von den alltäglichen Problemen abschalten. Mit Hilfe der Podcasts kann man eine neue Welt der Kunst oder Literatur für sich öffnen. Man kann mit dem Handy ins Internet gehen und „Grenzen überwinden, Nationen überwinden, kulturelle Grenzen überwinden, Zeithorizonte überwinden“, meint die Medienwissenschaftlerin. Andererseits entstünde das Problem des „Overloads“. Katrin Döveling unterstützt hierbei die Idee von Digital Detox: Manchmal muss man das Handy zur Seite schieben und mal „abschalten“ (im wahrsten Sinne). 

SUMO hat Peter Vorderer gefragt, ob man also sagen kann: „Wir rezipieren Medien, Medien rezipieren uns“?  Vorderer meint hierzu: „Die Medien können selbst gar nichts machen“. Von den Medien selbst könne es nicht verlangt werden, sondern von den Menschen, die die Inhalte konsumieren. Uns wird ein Gefühl verliehen, dass wir mit Medien ständig umgehen müssen. Döveling stimmt dem zu: „It is fear of missing out. Wir haben das Gefühl, wir müssen immer online sein, müssen immer mithalten“. Besonders betreffe Mediensucht die jüngere Generation, die sich immer häufiger in der digitalen Filterblase befinde, hebt die Medienforscherin hervor. Peter Vorderer betont aber das Bewusstsein der meisten von uns, dass die Mediennutzung sowohl viel Negatives als auch viel Positives evoziere. Das Positive sei jedoch so attraktiv, dass viele Menschen die negativen Effekte in Kauf nähmen, auch da ihnen das Gefühl verliehen wird, ein Teil von etwas Großartigem und Wichtigem zu sein.  

Der Wandel der Massenkommunikation 

Es veränderten sich sowohl die Formen der Kommunikation als auch das Publikum selbst, wie im Übrigen auch die Betrachtungsweise der Medienwirkungsforschung. Aus passiven RezipientInnen, die nur Unterhaltungsangebote auf Distanz konsumierten, wurden aktive UserInnen, die Information wahrnehmen, selbst schaffen und diese mit anderen tauschen. Vorderer betont, dass unterschiedliche Medien in unterschiedlichen Situationen auf die gleiche Person unterschiedlich wirken. Die Menschen können ihre Einstellung zum Inhalt oder Situation ändern oder zur Unterhaltung aufgefordert werden. Döveling erwähnt hierzu die These der Wissenskluft. „Je nachdem welchen Wissensvorrat ich bereits habe, nehme ich die Information anders wahr“. Für bestimmte Informationen in der zunehmend komplexer werdenden Welt sind gewisse Kenntnisse notwendig.  

Mediale Unterhaltung und deren Rezeption führen zu individualisierten Erfahrungen. Von Neil Postman stammt das Diktum „Wir amüsieren uns zu Tode“, bereits 1985 in Buchform ausgebreitet. Bekommen Menschen heute bei der Mediennutzung mehr Spaß? „Nein, mehr Spaß kann sicherlich nicht gehen“, so Vorderer. Medien machen die Kommunikation nur komplexer. Ihre hohe Attraktivität wird so eine Art von Ersatzerfahrung, die Medien künstlich schaffen.    

„Entertain us!“ 

SUMO fragte Katrin Döveling, wie ihre Kindheit aussah. „Es besteht ein riesengroßer Unterschied zu heute. Wir waren viel mehr draußen, haben viel mehr mit den FreundInnen gespielt“. Sie erinnert sich auch an andere Medien wie Hörspiele und Kassetten, aber auch an viele Emotionen und Erlebnisse, die mit Familie oder Freundeskreis „außerhalb der Medien“ geteilt wurden. Wie konnten sich nun aber die Kinder unterhalten, die vor 100 Jahren gelebt haben? Anstatt Medien haben sie vielleicht einen Ball gehabt oder waren glücklich, wenn sie mit schmutzigen Gesichtern vom Spaziergang nach Hause kamen. Und jetzt? Die Kinder träumen von einem neuen Handy und warten darauf, eine neue Story auf „Instagram“ zu posten. Döveling spricht auch vom Verlust an sozialer Integration oder von Eltern, die sich mehr soziale Interaktion für ihre Kinder wünschen. 

Je interaktiver, desto unterhaltsamer, darum versucht die moderne Unterhaltungsindustrie immer mehr Angebote zu finden, die das Gefühl verlorener Realität beheben. Medienschaffende entwickeln Technologien auf eine Weise, die den Realitätstausch gewährleistet, hebt Katrin Döveling hervor und erwähnt als Beispiel Augmented Reality. Man kreiert eine neue Welt, in der die NutzerInnen so emotional stark den Prozess der Unterhaltung fokussieren, dass sie die Aufmerksamkeit verlieren und die mediatisierte Welt von der realen kaum unterscheiden können. UserInnen bekommen Erfahrungen, die sie nie selbst direkt erlebt haben. Der Spaziergang im Wald voller Wundertiere, das Fliegen wie ein Vogel oder das Schwimmen am Boden des Ozeans – nicht nur das können moderne Virtual sowie Mixed Reality-Technologien uns vorschlagen. Die MediennutzerInnen werden immer stärker in den Prozess des Erschaffens von Unterhaltungsinhalten involviert, etwa im Bereich Tangible User Interfaces – also buchstäblich „begreifbare Interaktionen“ etwa im Musikbereich. Spezielle interaktive Geräte helfen, die Musik für das Publikum sichtbar zu machen. Es besteht eine Möglichkeit für Improvisation durch Interaktion und es geht hierbei nicht darum, ein hochwertiges Musikstück zu erstellen, sondern um Spaß zu haben. Es lässt sich kaum voraussagen, ob diese neuen Technologien im Weiteren auch populär werden. Oder ob es heißen wird: „Pop will eat itself“. 

von Elizaveta Egorova