Beziehungsstatus: parasozial?! Was nach einem etwas komplizierten Verhältnis klingt, ist in der Medienwelt eine sehr weit verbreitete Beziehungsart.
Um eine solche Beziehung besser verstehen zu können und beide Seiten dieser Verbindung zu beleuchten, sprach SUMO mit der Radiomoderatorin Stephanie Sperr („Life Radio“) und einer betroffenen Rezipientin, die in diesem Artikel den Namen Silvia trägt.
Im Buch „Parasoziale Interaktionen und Beziehungen“ (2010) erläutert Tilo Hartmann, dass eine parasoziale Beziehung aus einer parasozialen Interaktion hervorgeht. Als soziale Interaktion führt Hartmann das Beispiel einer Kontaktknüpfung zweier Menschen auf der Straße an. Sie beschreibt eine wechselseitige Interaktion: Beide InteraktionspartnerInnen wissen voneinander und können einander beobachten, auf den anderen reagieren und aufeinander eingehen. Bei einer parasozialen Interaktion wissen meist auch beide Parteien voneinander, jedoch fehlt hierbei der Aspekt der Beobachtung. „Eine parasoziale Interaktion stellt lediglich die Illusion einer normalen sozialen Interaktion dar“, so Hartmann. In Bezug auf die Umstände der medialen Erscheinung merkt er an, dass sich beide Parteien, sprich Medienfigur und RezipientIn, dieser parasozialen Interaktion bewusst sind, jedoch meist der oder die RezipientIn diesen Umstand verdrängt. Diese Interaktion ist Grundbaustein für eine parasoziale Beziehung, welche dann aus einer solchen Interaktion hervorgeht.
Die eine Seite der Beziehung
Um Einblick in diese beiden Seiten der Beziehung zu bekommen, führte SUMO Interviews mit den entsprechenden Parteien. Einerseits berichtet Stephanie Sperr von ihrem Agieren als Medienfigur und mit dem Umgang von parasozialen Beziehungen. Anderseits erläutert eine Rezipientin ihre Sichtweise auf die Situation der „irrealen“ Beziehung.
Die Linzerin Stephanie Sperr ist Moderatorin bei dem Radiosender „Life Radio“. Ihr Talent frei zu sprechen und sich mit Menschen zu unterhalten, zeigte sie auch schon bei ihrem eigenen Maturaball. Sie führte Interviews mit Politikern und wichtigen Gästen. Nach einem Jahr als Flugbegleiterin bewarb sie sich 2007 für ein Praktikum bei „Life Radio“. Sperr wurde dann für ein Volontariat begrenzt auf ein Jahr eingestellt, hierbei durchlief sie jede Stufe im Sender: angefangen bei der Redaktion, den Nachrichten, der Service-Redaktion über Marketing bis hin zur Moderation. Nach diesem Jahr als Volontärin wurde sie fest angestellt. Derzeit moderiert sie gemeinsam mit Christian Zöttl die Morgenshow „Perfekt geweckt“. Sie übernimmt in dieser Show die Position der Co-Moderatorin, sprich des Side-Kicks. Das bedeutet, dass es zwar zwei gleichwertige Moderatoren sind, jedoch sie selbst nicht bei den Reglern steht. Sie erläutert, dass sie hierbei den weiblichen Part und das Gegenstück zum Mann übernehme, um möglichst viele ZuhörerInnen zu erreichen. Doch nicht nur das sei wichtig, um die RezipientInnen zu unterhalten. Auch eine aktive Sprache sei essenziell, also den oder die HörerIn direkt anzusprechen. Um dies umzusetzen sei es möglich, sich eine Gruppe Menschen im Studio vorzustellen und diese direkt anzusprechen. Außerdem werde auch viel mit Tönen gearbeitet: Diese Melodien oder Geräusche sollten zur jeweiligen Situation passen und helfen, die Stimmung einer Nachricht besser zu übermitteln. Mittels dieser Methode wolle man Earcatcher erzeugen, um die Aufmerksamkeit der HörerInnen zu bekommen.
Zur Frage was denn die größte Herausförderung bei der Kontaktknüpfung mit den RezipientInnen ist, erklärt Sperr, dass vor allem die Kürze der Zeit, in welcher Nachrichten oder Gags übermittelt werden sollen eine Herausforderung darstelle. Denn diese Einstiege dauern meist nur 1:30 min, da die durchschnittliche Hördauer bei rund 15 Minuten liegt. Sie muss es also schaffen, innerhalb dieser 15 Minuten sehr viel Information zu vermitteln. Das Schwierigste sei von Anfang an, kurz, knackig und interessant, mithilfe von Earcatchern die HörerInnen zum Dranbleiben zu bringen. Ein weiterer Punkt, der ihr bei dieser Aufgabe hilft, sei es, dass sie mit den RezipientInnen so spricht, als spreche sie mit der eigenen besten Freundin. Das bedeutet unter anderem auch eine Mischung aus Hochdeutsch und Dialekt zu verwenden, da die Zielgruppe von „Life Radio“ überwiegend OberösterreicherInnen sind und diese den Dialekt sehr schätzen. Außerdem erwähnt sie, dass ein kurzer und schlagwortartiger Satzbau von großer Bedeutung sei.
Ein weiterer Aspekt, der HörInnen das Gefühl gibt den oder die ModeratorIn zu kennen ist die Präsenz in sozialen Medien. Sperr erklärt, dass sie und ihre Kollegen sich nicht nur im Radio „mit“ den Menschen unterhalten, sondern auch via „Facebook“, „Instagram oder „TikTok“. Auch durch Podcasts erlangen ZuhörerInnen das Gefühl, die ModeratorInnen gut zu kennen. Hat sie persönlich schon einmal von einer parasozialen Beziehung etwas mitbekommen? Ja, so gab es einen Hörer, der genau wusste, wie viel Dioptrien sie hatte. Sie dachte dann: „Woher weiß der das? Ich kenne den Menschen gar nicht.“ Doch diese Dinge passieren deshalb, da man als ModeratorIn auch viel Privates preisgibt. „Je offener man erzählt aus seinem Leben, desto mehr können sich die Leute auch mit dem identifizieren“. Stephanie Sperr betont außerdem, dass wenn die HörerInnen einen wie einen Freund, Nachbarn oder Bekannten empfänden, man diese als treue RezipientInnen gewonnen hätte.
Die andere Seite der Beziehung
Silvia ist Teil einer solchen parasozialen Beziehung. Sie bezeichnet sich selbst als gute Freundin von so mancher Medienfigur. Vor dem Interview merkte sie an, dass es sehr schwierig für sie sei, dieses Interview zu führen. Außerdem erwähnte sie, dass sie sich selbst als ein Extrembeispiel für eine parasoziale Beziehung sehe. Silvia ist momentan in therapeutischer Behandlung, zwar nicht wegen der parasozialen Beziehungen, sondern ob anderer psychischer Probleme. Sie mache große Fortschritte und konnte sich unter anderem schon von vielen dieser Beziehungen lösen. Silvia betont, dass sie schon in ihrer Kindheit immer wieder parasoziale Beziehungen führte. Sie wisse nicht mehr genau, wann das anfing, jedoch sei sie bereits im Kindergarten mit einer fiktiven Figur befreundet gewesen: „Der Wauga“ aus dem gleichnamigen Buch von Christine Nöstlinger und Axel Scheffler war einer ihrer besten Freunde im Kindergarten. Ihre Mutter las ihr abends daraus vor und so fühlte sie sich sehr nah mit ihm verbunden. Solche Beziehungen zogen sich bis ins Teenageralter. Silvia erzählt, dass sie in der Hauptschule oft wegen ihres Aussehens gemobbt wurde und sich fast gänzlich in ihr Zimmer verkroch und dort die Beziehungen mit Stars aus Jugendzeitschriften pflegte. Die äußere Welt sei ihr oft grausam erschienen, bei ihren parasozialen Kontakten dagegen hätte sie immer wieder Geborgenheit gefunden. Das Mobbing wurde nicht nur verbal an ihr ausgeübt, sondern auch vermehrt handgreiflich. Sie erklärt, dass sie dadurch an Suizidgedanken litt und mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte. „Hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht meine FreundInnen aus Zeitschriften, Büchern und Co. gehabt, könntest du heute nur ein Interview mit meinem Grabstein führen“, so Silvia. Mit diesem Satz wurde das Interview vorerst abgebrochen. Silvia betonte jedoch, dass das Thema extrem wichtig für sie sei und weitere Einblicke sehr gerne an einem anderen Tag geben möchte.
Im zweiten Interview wurde der Fokus daher weniger auf vergangene parasoziale Beziehungen gerichtet, sondern vielmehr auf ihren derzeitigen Umgang mit Medienfiguren. Silvia erläutert, dass ihre Tiefpunkte auch jetzt noch immer wieder auftauchten. Vor allem die Situation der Corona-Pandemie würde immer wieder Tiefs begünstigen. Sie erwähnt, dass sie weder einen Mann noch Kinder hat, ihre Eltern hätten sich nach ihrem Aufenthalt in einer Anstalt von ihr abgewandt. Auch jetzt seien parasoziale Beziehungen Zufluchtspunkte. Auf die Frage nach ihrem Tagesablauf erklärt sie, dass sie jeden Morgen mittels Radiowecker geweckt werde. Danach frühstücke sie gemeinsam mit dem Moderator oder der Moderatorin. Silvia betont, dass sie zwar weiß, dass die ModeratorInnen sie nicht hören oder sehen können, jedoch unterhalte sie sich immer wieder mit ihnen. In der Arbeit dann pflege sie soziale Kontakte und esse gemeinsam mit ihrer Arbeitskollegin zu Mittag. Am Nachmittag oder am Abend widme sie sich der Belletristik und stelle sich vor, selbst im Liebesroman zu sein. Abends habe sie dann eine Verabredung mit den Fernsehmoderatoren, um die neuesten Nachrichten zu erfahren.
Silvia selbst sieht parasoziale Beziehungen als Zuflucht an. „Andere haben eine Katze, mit der sie sich unterhalten oder sprechen zu Gott. Bei mir sind es nun einmal die Personen aus der Medienwelt, die mich mental unterstützen.“
von Jennifer Binder