Klimajournalismus auf dem Prüfstand: Zwischen Neutralität und Dringlichkeit

Die globale Klimakrise stellt die klassische Vorstellung des Journalismus als neutralen Berichterstatter auf den Prüfstand. Es entsteht eine Spannung zwischen Neutralitätsideal und der Notwendigkeit, die Dringlichkeit der Klimakrise aufzuzeigen. Sind journalistische Ideale und Leitbilder im Klimajournalismus überholt?

von MARLENE DÖLLER

„Die Hauptverantwortung der Journalist:innen ist, vernünftigen Journalismus zu machen“, erklärt Dominic Egizzi. Er ist Autor, Regisseur und Producer von Reportagen und Dokumentationen. Außerdem arbeitet er als Dozent im Forum Journalismus und Medien in Wien. Unter vernünftigem Journalismus in der Klimaberichterstattung sei zu verstehen, dass weder Alarmismus noch Aktivismus betrieben wird. Bei Ersterem bestehe die Gefahr, den Klimawandel zu drastisch darzustellen, was zur Abstumpfung bei den Rezipient:innen führen kann. Ein permanenter Alarmismus könne auf Dauer zu Skepsis, also zu einer Abwehrhaltung gegenüber dem Thema führen. Wenn Journalismus jedoch eine aktivistische Rolle einnimmt, verliere dieser seine Glaubwürdigkeit. Es bestehe die Gefahr zu belehren, anstatt aufzuklären. Journalist:innen sind Berichterstatter:innen und keine Aktivist:innen. Für ihn ist es wichtig, die Klimaberichterstattung vielschichtiger zu betrachten: „Mit dem Begriff Klimajournalismus tue ich mir ohnehin etwas schwer, weil ich glaube, eine gute Art sich mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen, ist das journalistisch so vielfältig wie möglich zu tun.“ Es sollte eine Vielfalt in der Kommunikation bestehen. Die Klimaberichterstattung sollte auch ressortübergreifend passieren. Dies ermögliche es, aus der Nische „Klima“ auszubrechen und breiter wahrgenommen zu werden. Susan Jörges wiederum sieht im Klimajournalismus ein Bindeglied zwischen Politik und Gesellschaft. Sie hat bereits ihre Masterarbeit im Bereich der Klimakommunikation verfasst. Als freie Journalistin sind für sie Themen wie Umwelt, Naturschutz, Klima- und Bildungspolitik und Gesundheit von besonderem Interesse. Politik könne nur funktionieren, wenn die Gesellschaft die Maßnahmen mitträgt. „Damit wir Klimaziele erreichen, muss je- der gesellschaftliche Teilbereich seinen Beitrag leisten.“ Der Beitrag der Journalist:innen sei es, konstruktiv Bericht zu erstatten. Das passiere unter dem Wissen, damit öffentliches Bewusstsein zu prägen. Da durch Berichterstattung die Meinung der Leser:innen geprägt wird, müsse darauf geachtet werden, was geschrieben und wie berichtet wird. Was Journalismus also tun kann, sei berichterstatten und aufzuklären. Wahr und aus verschiedenen Sichtweisen. Gut recherchiert und faktentreu. Aber funktioniert das auch neutral und objektiv?

Ende des Neutralitätsideals

Genau diese Frage steht immer öfter zur Diskussion. „Neutralität ist ein Idealbild. In der journalistischen Praxis ist Neutralität nicht möglich,“sagt Jörges. Wir alle seien sozialisiert, hätten facettenreiche Ansichten, eigene Meinungen und würden über verschiedene Wissensstände verfügen. All diese Faktoren machen laut der freien Journalistin neutrale Berichterstattung bei der journalistischen Arbeitsweise nahezu unmöglich und mit dieser Ansicht ist sie nicht allein. So spricht auch Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in einem Interview mit der „FAZ“ über „ein dümmliches Neutralitätsideal, das noch nie besonders sinnvoll war, aber das in Zeiten einer solchen Krise ganz und gar falsch wäre“.

Dominic Egizzi fordert statt des Begriffs Neutralität eher Faktentreue und Wahrhaftigkeit ein: „Die Dinge müssen stimmen. Man muss einen journalistischen Zugang haben. Das muss nicht immer ausgewogen sein, da die Gefahr der False Balance besteht.“ Dabei sollte jedoch klar kommuniziert werden aus welcher Perspektive die Geschichte erzählt wird. „Man sollte“, so Egizzi, „keinem falsch verstandenen Neutralitätsfetisch anhängen“ und trotzdem das journalistische Handwerk ernst nehmen. Es dürfe nichts verzerrt dargestellt werden. „Diese Vielschichtigkeit der Klimakommunikation basierend auf einem soliden Journalismus finde ich ganz wichtig.“

Die Begriffe Neutralität und Objektivität werden in der Praxis oft miteinander vermischt. Neutralität besagt, die eigene Haltung komplett außen vor zu lassen. Bei objektiver Berichterstattung geht es hingegen darum, unabhängig und verständlich Informationen aufzubereiten sowie eine verantwortungsvolle und umsichtige Auswahl verschiedener Blickwinkel zu schaffen. Es geht darum, Gleiches gleich zu behandeln, trotz einer gewissen Haltung zu verschiedenen Themen. Wir können laut Jörges zwar nicht neutral berichten, jedoch objektiv: „Objektivität bedeutet, dass man verschiedene Stimmen zu Wort kommen lässt, dass man sich möglichst seiner Rolle bewusst ist, seine eigenen Ansichten hinterfragt und wenn nötig ablegt und dass man sich auf die aktuellsten Erkenntnisse der Wissenschaft bezieht.“

Objektivität und keine False Balance

Meinungen von Klimaleugnern werden wissenschaftlichen Fakten als gleichwertig gegenübergestellt. Diese Vorgehensweise wird unter dem Begriff False Balance zusammengefasst. Ein Phänomen, welches vor allem aus dem Wissenschaftsjournalismus bekannt ist. Dies sorgt für mediale Verzerrung und eine falsche Gewichtung der Positionen. „Der Klimawandel ist hier. Der Klimawandel ist menschengemacht.“ Obwohl hier keine andere Meinung entgegengestellt wird, sind diese Aussagen legitim. Sie sind legitim, weil sie stimmen. Das ist wissenschaftlich belegt. In der Klimaberichterstattung, vor allem in den USA, wurden derlei Gegenüberstellungen aber lange praktiziert.
„Objektivität bedeutet nicht, dass wir deswegen False Ba- lance eingehen müssen,“ betont Jörges. Natürlich dürfe darüber diskutiert werden, ob man ein Tempolimit brauche, um den CO2-Austoß zu reduzieren. Auch könne man Überlegungen anstellen, welche Klimaziele realistisch sind oder ob und wie lange man Atomkraft noch brauche. Hier müsse man das Für und Wider abwägen, aber es komme nicht zu False Balance. Laut Jörges fehle es in der Klimaberichterstattung momentan noch an Lösungsvorschlägen: „Lösungen müssen nicht immer einen langen Absatz im Artikel einnehmen, schon ein kurzer Hinweis auf Maßnahmen, Gesetze oder Veränderungsmöglichkeiten ist sinnvoll.“ Auch deutlich zu machen, was man selbst im Sinne des Klimaschutzes verändern kann, sei wichtig und motiviere. „Wo kann ich mich in diesem Gefüge verorten und wo kann ich den Unterschied machen für den Klimawandel? – das sind Fragen, die sich Leser:innen stellen.“

Marlene Döller | Copyright: Julius Nagel