Kommunikationsbarrieren in der Asylsituation

Welche Kommunikationsbarrieren zwischen Flüchtlingen und ÖsterreicherInnen gibt es und welche Rolle kommt den Medien zu? Eine Reportage und ein Gespräch mit Nertila Furriku, Teamleiterin des Caritas-Asylzentrums in Wien.

8 Uhr, das Asylzentrum öffnet seine Pforten. Die KlientInnen des Asylzentrums stehen Schlange auf der Spitalgasse vor dem Gebäude der Caritas Wien. Um an die Reihe zu kommen, wird eine Nummer gezogen, Sicherheitskräfte sind für den reibungsvollen Ablauf verantwortlich. Dieses Bild, das jedem Passanten geboten wird, beschreibt treffend die derzeitige Flüchtlingssituation in Österreich. Menschen haben das Gefühl die Politik hat keine Lösungen für die Massen an Leuten die zu uns kommen.

Das Asylzentrum

Als Servicestelle des Fonds Soziales Wien (FSW) ist das Asylzentrum der Caritas für die Grundversorgung in Wien lebender anspruchsberechtigter Flüchtlinge zuständig. Zielgruppen sind alle privat wohnenden AsylwerberInnen, Konventionsflüchtlinge und Subsidiärschutzberechtigte, sowie Personen die eine Duldung oder Rot Weiß Rot- Karte Plus besitzen. Personen mit Duldung dürfen sich im Bundesgebiet aufhalten, werden aus verschiedensten Gründen nicht abgeschoben und haben sehr eingeschränkte Rechte, wie zum Beispiel keine Rechte auf Sozialleistungen. Die Rot Weiß Rot- Karte Plus ist ein Aufenthaltstitel mit freiem Arbeitsmarktzugang.

Personen, die Anspruch auf monetäre Leistungen in ihrem Asylverfahren haben, bekommen hier also ihr Geld ausbezahlt. Die Richtsätze sind klar vorgegeben, für Erwachsene 200 € und für Minderjährige 90 € pro Monat. Darüber hinaus wird Beratung und Perspektivenabklärung angeboten, um den Menschen in ihrer oftmals schwierigen Lage zu helfen.

Im letzten Jahr sei der Arbeitsaufwand massiv angestiegen, sagt Nertila Furriku, langjährige Beraterin und jetzige Teamleiterin des Asylzentrums. „ Unser Team hat sich personell verdreifacht, wir sind von einem Standort auf drei angewachsen.“ Den ersten Anstieg an Flüchtlingszahlen habe man im Sommer des vergangenen Jahres gespürt. Auch mit Massenentlassungen von Flüchtlingen des Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen hatte man in der letzten Zeit sehr zu kämpfen, zumal im Asylzentrum danach getrachtet wird, dass diese Leute dort wieder aufgenommen werden. Dass dieses hin und her Geschiebe der Leute niemandem etwas bringt ist auch klar, ist jedoch einzig und allein der Tatsachte geschuldet, dass in der Vergangenheit für die Anzahl an Flüchtlingen die nach Österreich kommen zu wenig Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen wurden.

Probleme der Interaktion und Bildung

Am Beispiel des Asylzentrums lässt sich gut erkennen, welche Dimensionen das Flüchtlingsthema im zurückliegenden Jahr generiert hat. Für aufgekommene Probleme, deren Ursache aus der Vergangenheit resultieren, wird vor allem aufseiten der Politik ein Sündenbock ausfindig gemacht: die Flüchtlinge selbst. Die Gesamtschuld der Aufnahmegesellschaft zuzuschieben wäre, laut Furriku, auch der falsche, weil nicht lösungsorientierte Ansatz. Zum Großteil habe die Politik dahingehend versagt, als dass eine Ghettoisierung nicht erkannt und gestoppt wurde. „Durch diese Ghettoisierung sind Gruppierungen entstanden, die dann ungern verlassen werden. Keiner verlässt gerne seine Komfortzone.“

Darüner hinaus wurde in der Vergangenheit nicht genug getan, MigrantInnen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Die Bildungsmöglichkeiten seien auch nicht ausreichend, führt die Teamleiterin aus. Das Jugendcollege von Interface Wien bietet Basisbildungssprachkurse für zugewanderte Jugendliche im Alter von 15 bis unter 21 Jahren mit A2-Sprachniveau und freiem Zugang zum Arbeitsmarkt, ist aber dennoch nur eine von wenigen Gelegenheiten, um sich weiterzubilden.

Das Verständnis, welches notwendig wäre, um ein Aufeinander zugehen zu erleichtern fehle grundsätzlich. Der Grund dafür liege laut Furriku daran, dass Hierlebende mit der Problematik Flucht nie in Berührung gekommen sind. Sie, die selbst als Flüchtling nach Österreich gekommen war, kann die Reaktionen vieler ÖsterreicherInnen, die sich von MigrantInnen bedrängt fühlen, nicht verstehen. „Wenn so eine Masse an Menschen zu uns kommt, dann können das nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge sein, sondern es muss etwas Verheerendes vorgefallen sein, dass Menschen alles aufgeben und oftmals mehrmonatige Reisen auf sich nehmen.“

Die Folgen von Unwissenheit und Unverständnis können verbale Attacken bis hin zu Mobbing sein.  Die langjährige Caritas-Mitarbeiterin hat das in ihrer Kindheit und Jugend oft erlebt. Bereits mit elf Jahren sei sie mit „Tschusch“ tituliert worden. Mohammad Ayan Horan, der als gebürtiger Syrer und ehemaliger Klient des Asylzentrums seit zwei Jahren in Österreich lebt, spürt die Abneigung durch Blicke, die ihm oftmals zugeworfen werden. Jedoch sei es in Wien besser als am Land.

Die Rolle der Medien

Auch Medien haben einen Anteil daran, dass Menschen der österreichischen Gesellschaft mit der derzeitigen Flüchtlingssituation unzufrieden sind. Furriku sieht das Problem dahingehend, dass keine objektive und auf Fakten basierende Berichterstattung über Flüchtlinge stattfindet und so der österreichischen Bevölkerung ein verzerrtes Bild geboten wird. Hier spricht die langjährige Mitarbeiterin der Caritas sicherlich einen Punkt an, der nicht nur in der Flüchtlingsfrage eine Kritik vor allem an den Boulevardjournalismus ist. In diesem Fall wirken die Medien divergierend und nicht verbindend zwischen MigrantInnen und ÖsterreicherInnen und erschweren den Prozess der Integration.

Kommunikationswissenschafter Hausjell, Professor am Publizistik Institut in Wien hingegen will die andere Seite der Medaille herausstreichen und stellt den Medien ein überwiegend positives Zeugnis für ihre Berichterstattung aus: „Das ist in Summe eine gewaltige journalistische Leistung, die man da beobachten kann.“ (APA, 8.10.2015) Das öffentlich- rechtliche Fernsehen in Österreich hat laut des ÖVP nahen Publikumsrats Kratschmareine „erhebliche Glaubwürdigkeitslücke“, wenn es um die Flüchtlingsberichterstattung geht. „Laut einer SORA Studie aus dem Oktober 2015 wird die Berichterstattung des ORF zur Flüchtlingssituation von 8 Prozent sehr gut und von 40 Prozent als eher gut bewertet – zusammen sind das 48 Prozent. Mit der allgemeinen Informationsversorgung des ORF sind laut Overall Befragung 40 Prozent sehr zufrieden und 35 Prozent eher zufrieden – zusammen also 75 Prozent. Geht es um die Flüchtlingsberichterstattung, ist die Zufriedenheit um ein Drittel niedriger- laut Kratschmar ein Alarmsignal.

„Standard“-Chefredakteurin Alexandra Föderl- Schmidt sieht ein Problem dahingehend, dass die Behörden Recherchen nicht leichter machen, weil unterschiedliche Zahlen angegeben werden oder erst gar keine Informationen offiziell preisgegeben werden. Dieser Faktor erschwert die objektive Berichterstattung der Medien erheblich. Noch dazu kommt, laut Gerold Riedmann, Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten, dass viele sich durch selektive Auswahl von Nachrichtenquellen in Zusammenwirkung mit Facebook ihre eigene Wirklichkeit schaffen. Das Sichtfeld der Menschen werde durch die Scheuklappen des Newsfeed-Algorithmus nicht größer, sondern im Gegenteil immer enger. Der Wohlfühlfaktor sei höher, wenn alle, die man selber kennt, derselben Meinung sind.

Wagt man einen Blick nach Deutschland so wurde zur Frage, ob denn die Medien objektiv berichten, eine Studie an der Hamburg Media School (HMS) durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie, betreffend der Objektivität in der Berichterstattung, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Insgesamt nahm die Berichterstattung zwischen 2009 und 2014 enorm zu. 82 % der Artikel seien positiv konnotiert gewesen. Problematisiert hätten das Thema 6 % und lediglich 12% hätten sich neutral gehalten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Trennung zwischen Meinung und Information in den deutschen Medien kräftig verschwommen ist. Das Formulieren von Meinungen ist nicht in gesonderten meinungsbetonten journalistischen Darstellungsformen erfolgt.

Was wäre die objektivere Alternative. Klarerweise die Tugend der Trennung von nachrichtlichen, also informierenden und meinungsorientierten Darstellungsformen wieder strikter einführen. Allein mit dieser Maßnahme wäre es allerdings nicht getan. In weiterer Überlegung sei als Beispiel zu klären, wann erwähnt werden darf oder soll, welcher Nationalität oder Abstammung eine betroffene Person ist, ohne unbillig zu färben.

Die soeben genannten Tatsachen und Meinungen zeigen die Probleme auf, mit denen Medien konfrontiert sind und zu kämpfen haben, in Bezug auf die Flüchtlingsberichterstattung. Das dies jedoch keine Ausrede sein darf, um objektiv zu berichten ist auch klar. Dennoch können diese Komponenten das Bewusstsein des Lesers stärken, um die Situation besser zu verstehen.

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Integration durch Kommunikation

All diese Komponenten in Bezug auf die Berichterstattung über die Flüchtlingssituation erleichtern Integration nicht und laut Furriku hat es auch in der Vergangenheit nicht funktioniert. Noch dazu kommt, den meisten Menschen sei nicht bewusst, was Integration wirklich bedeute. „Integration meint ein Zueinander finden, ein Aufeinander zugehen, sich in der Mitte treffen, einen Kompromiss finden. ‚Wir waren zuerst hier und ihr müsst euch anpassen’, damit wird es nicht funktionieren.“ Wo fängt Integration an und wo hört sie auf? Was kann von der österreichischen Gesellschaft verlangt werden und ab wann gibt der bzw. die „Fremde“ einen großen Teil seiner bzw. ihrer Identität auf, bis es ethisch nicht mehr vertretbar istDas gilt es sich als Staat Österreich zu überlegen und den Menschen die nach Österreich bzw. nach Europa kommen klar zu vermitteln.

Fremdes zu verstehen und zu integrieren, ist eine genuine Aufgabe psychoanalytischer Tätigkeit, schreibt Prof. Dr. med. Annette Streeck-Fischer, Chefärztin der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen am Akademischen Lehrkrankenhaus Asklepios Fachklinikum Tiefenbrunn im Juni 2016 in der Zeitschrift Forum der Psychoanalyse. Sie meint Psychoanalytiker können dazu beitragen das Fremde, denen sich unsere Gesellschaft gegenüber sieht zu verstehen und zu integrieren. Was aber bedeutet das konkret. Es meint vor allem die grundsätzliche Offenheit für Menschen aus anderen Kulturen ohne Vorbehalt zu begegnen und klischeehaftes Denkverhalten zu verlassen.

In ihrer Arbeit „Borderland-Jugendliche – Identitätssuche in verschiedenen Welten“ beschäftigt sich die Ärztin mit dem Problem der Identitätsfindung, welches bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen erschwerten Prozess darstellt. Wenn Jugendliche keinen Ort der Zugehörigkeit hier in Europa finden und ihnen Anerkennung versagt bleibt, orientieren sie sich stärker an der Herkunftsfamilie. Die Versuchung ist dann groß sich in Parallelwelten mit verschiedenen Inhalten einbinden zu lassen.

Auch sprachliche Barrieren sind anfangs vorhanden, aber auch dieses Problem lässt sich mit ein wenig Geduld lösen. Der österreichischen Gesellschaft darf klar gemacht werden, das Fremd nicht gleich böse oder gefährlich ist, sondern eine enorme Chance für das Land Österreich und ganz Europa sein kann, sofern den Menschen die zu uns kommen eine Chance gegeben wird, sagt Furriku. Sie meint, dass ein großer Teil der kommenden Syrer hochgebildet ist und für Österreich eine Bereicherung darstellen kann.

Allerdings gibt es zu diesem Thema nur wenige wissenschaftliche Daten. Die beiden ForscherInnen Marie-Claire von Radetzky und Kristina Stoewe des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln untersuchten dieses Thema. Mehrere Aspekte des Bildungsniveaus wurden ausgewertet: Unter anderem die Analphabetenquote, die Schulbildung in Syrien vor dem Krieg, außerdem das Hochschulsystem und die Frage, ob ein Unterschied in der Bildung zwischen Frauen und Männern in dem arabischen Land besteht. Laut den beiden ForscherInnen waren im Jahr 2011-vor dem Krieg, 15 Prozent der Syrer sogenannte funktionale Analphabeten gewesen, die nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, bei den 15-25 Jährigen lag die Analphabetenrate bei 3,5 Prozent. 97 Prozent der potentiellen Erstklässler wurden im Jahr 2011 tatsächlich eingeschult.

Im Jahr 2011 nahm Syrien an der TIMSS- Trends in International Mathematics and Science Study- teil. Eine Studie die im Abstand von vier Jahren die Mathematik- und Naturwissenschaftskompetenz von Schülerinnen und Schülern in der 4. und 8. Schulstufe (deutsches Schulsystem) testet. Syrien schnitt damals schlecht ab und landete auf dem 39. von 42. Plätzen. Syrische Schüler würden somit laut Ludiger Wößmann vom Münchner Ifo Institut den deutschen Schülern um fünf Klassen hinten nach seien. Laut der IW- Studie geht aus den Regeln der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen trotzdem hervor, dass die Bildung syrischer Flüchtlinge als vergleichsweise hoch angesehen wird.

2011 besuchten ungefähr 15-20 Prozent der Schüler eines Jahrgangs eine Hochschule. Der Anteil der Mediziner war unter den Syrern vergleichsweise hoch. Frauen sind auf keiner Bildungsebene unterrepräsentiert. 48,8 Prozent der Studierenden waren 2011 weiblich. Das Ergebnis der IW- Studie lässt sich dahingehend interpretieren, dass viele Annahmen über die Bildung in Syrien nicht oder nur teilweise der Realität entsprechen.

Fazit

In der Berichterstattung über das Flüchtlingsthema stoßen die Medien auf eine Reihe von Problemen. In der Vergangenheit wurde das Thema von der Medienlandschaft nicht objektiv behandelt wie die Studie aus Hamburg zeigt. Die Entwicklungen in den letzten Jahren und die aktuelle Situation im Asylzentrum verdeutlicht welche Ausmaße dieses Thema in Österreich angenommen hat und das in einigen Bereichen seitens der Politik Handlungsbedarf besteht, um den Prozess der viel diskutierten Integration zu ermöglichen.

 

 

 

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