„Spiele sollten nicht einfach nur Spaß machen. Sie sollten uns etwas beibringen oder Interesse an anderen Dingen wecken.“ Diese Worte stammen von jemandem, der es geschafft hat, sich im Gaming-Olymp zu verewigen. Hideo Kojima, Ex-Vizepräsident des Videospielherstellers Konami und Schöpfer der beliebten Spieleserie „Metal Gear Solid“. Ein Mann, der seine Fußspuren in der Gaming Branche hinterlassen hat, ist der Meinung, dass Computerspiele ein viel größeres Potenzial haben als bisher angenommen. Um herauszufinden, welche konkreten Benefits sich hinter dem Gaming verstecken, hat sich SUMO mit dem Spieleentwickler und CEO von „Purple Lamp“ Andrew Hance und mit Björn Bredow, Mitarbeiter des Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen, unterhalten.
von Nico Andraschko
Laut der Studie „Gaming in Austria 2021“ verbringen allein in Österreich 5,3 Millionen Spieler*innen ihre Freizeit vor den Monitoren. Sie schließen Aufgaben ab, kämpfen gegen andere und sammeln akribisch Belohnungen ein, um ihren virtuellen Charakter auf das nächste Level zu heben, also um den Charakter aufzuwerten und zu verbessern. Ein aufwendiges und zeitintensives Hobby, das vor allem Eltern manchmal nicht ganz nachvollziehen können. Tenor: Man solle doch mehr Zeit in sich selbst investieren als in eine digitale Spielwelt. Die Vorstellung, man könne während dem Spielen auch sich selbst und die eigenen Fähigkeiten stetig verbessern, klingt allerdings zu schön, um wahr zu sein. Viele Fähigkeiten und Eigenschaften, die man sich im Laufe des Erwachsenwerdens aneignet, erlernt man durch Erfahrungen, harte Arbeit, Erfolgen so wie Misserfolgen – und das in der realen Welt, so zumindest die Basisannahme der Pädagogik. Oder gibt es vielleicht doch ein Attribut, das durch das Spielen selbst schon gefördert wird, ohne dass wirklich darauf geachtet wird?
Persönliches Upgrade
Forscher*innen der Pennsylvania State University fanden durch eine Studie aus dem Jahre 2013 heraus, dass Videospiele einen großen Einfluss auf die Kreativität der Spieler*innen haben können. Die Testpersonen wurden gebeten die verschiedenen Schwierigkeitsstufen des Rhythmusspiels „Dancing Game“ durchzuspielen. Anschließend wurde ihnen ein Kreativitätstest vorgelegt. Den Ergebnissen zufolge fühlten sich die Teilnehmer*innen der Studie wie unter Strom gesetzt und entwickelten anschließend mehr Ideen und alternative Lösungsansätze. „Um kreativ zu sein, braucht man Aufmerksamkeit, die nicht auf etwas bestimmtes fokussiert ist“, erklärt Shyam Sundar, Professor für Film-, Video- und Mediastudien an der Universität von Pennsylvania. Doch nicht nur die Kreativität der Spieler*innen wird durch die Spiele verbessert. Laut Forschungen des britischen National Literacy Trust aus dem Jahre 2019 steigern sich auch soziale Fähigkeiten wie Empathie, da man sich je nach Genre in die verschiedenen Charaktere hineinversetzen muss, um das Spiel oder die Geschehnisse zu verstehen. Ebenso können diesen Studienergebnissen zufolge schulische Kompetenzen wie das Lesen gefördert werden. Andrew Hance, CEO des Spielestudios „Purple Lamp“, sieht noch weitere Vorteile. Im Gespräch mit SUMO erzählt er, dass Spiele auch die Multitasking-Fähigkeit verbessern können. Ebenso können durch Games auch die motorischen Fähigkeiten ansteigen. Aber er warnt auch davor, dass nicht jedes Spiel gleich ist und nicht alle Spiele denselben Effekt haben. Was aber so gut wie alle Spiele gemein haben, ist laut Hance das Training im Finden verschiedener Lösungsansätze, da jedes Game die Spieler*innen mit einem anderen, neuen Problem konfrontiert.
Eine Chance für die Schule der Zukunft
Schon seit vielen Jahren gibt es die Idee Games und Bildung miteinander zu kombinieren. In den 1990er Jahren entstanden bereits die ersten Lernspiele, beispielsweise mit „Dr. Brain“, erinnert sich Andrew Hance. Doch dass Games als solches in die schulische Bildung integriert werden, hält er für unrealistisch. Es sei zu schwer eine gute Balance zu finden. Die meisten Mainstream Spiele sind kaum bis schwer mit dem Curriculum der Unterrichtenden vereinbar. Sollten aber die speziellen Aufgaben oder Lerninhalte gamifiziert, also in einen spielerischen Kontext aufbereitet werden, sieht er großes Potenzial.
Björn Bredow, Mitarbeiter des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein, ist sich sicher, dass Videospiele in der Bildung ein großes noch ungenutztes Potenzial bieten. „Wenn man über die Bildung spricht, sind die vier K‘s die Zukunftskompetenzen: Kreativität, kollaboratives Arbeiten, Kommunikation und kritisches Denken. Gerade mit Spielen kann ich einen Großteil dieser Kompetenzen abdecken und das kann man eben nicht mit einem normalen Arbeitsblatt.“ Er ist der Meinung, dass Videospiele in Zukunft vermehrt in Schulen eingesetzt werden sollten, um den grauen und langweiligen Schulalltag einen frischen Wind zu verpassen. Schüler*innen sollen sich spielerisch weiterbilden, ohne dass es sich nach Lernen anfühlt. „Wenn ich Spiele nutze, um Denkprozesse anzuregen, dann habe ich immer die anderen Kompetenzen mittrainiert.“
Als Beispiel liefert Björn Bredow eine persönliche Erfahrung aus dem Geografieunterricht, in dem es um das Thema Nordseeküste ging. Statt es die Klasse nur auswendig lernen zu lassen, sollte gemeinsam ein Modell der Küste in dem Videospiel „Minecraft“ nachgebaut werden. Schnell zeigten sich positive Entwicklung bezüglich der Motivation und Lernfreude der Schüler*innen. Sie beschäftigten sich freiwillig noch intensiver mit der Aufgabe und wuchsen als Klassengemeinschaft zusammen. „Man hat gleich dieses Kollaborative gehabt. Man musste lernen sich miteinander abzusprechen, man musste lernen miteinander zu planen und auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen“, erklärt Bredow.
Worauf kommt es an, um hilfreich zu sein?
„Nicht jedes Buch, das man liest, muss ein Lehrbuch sein. Nicht jeder Film, den man sich ansieht, muss ein Dokumentarfilm sein, denn es gibt auch Platz für Unterhaltung.“ Das war Hances Antwort auf die Frage, ob sich jedes Spiel positiv auf Gamer*innen auswirke. Nicht alle Games fördern unsere Kompetenzen auf dieselbe Art und Weise. Es ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich, ob sich der Konsum auf beispielsweise unsere Kreativität auswirkt. Dabei muss man sich anschauen, wie viele Freiheiten einem der*die Spieleentwickler*in lässt, sich kreativ zu entfalten. „Zum einem ist die Offenheit der Spielgestaltung entscheidend. Also je linearer ein Spiel verläuft, umso weniger stark die Einflüsse auf die Kreativität. Je offener etwas gestaltet ist, umso besser“, meint Bredow. Das beste Beispiel für eine offene Spielgestaltung ist das vorhin erwähnte Spiel „Minecraft“. Das erfolgreichste Spiel aller Zeiten wirbt mit genau dieser Spielmechanik. Man hat eine offene Spielwelt, in der man alles bauen und erschaffen kann, wozu die eigene Kreativität imstande ist. In einer Welt ohne physische oder logische Einschränkungen kann sich die Abenteuerlust und Lernfreude auch uneingeschränkt entwickeln.
Vor allem für junge Spieler*innen können die vielen Vorteile, die das Gaming liefert, noch interessanter sein, wenn sie sich auf Jobsuche begeben. Insbesondere Kreativität ist neben Teamfähigkeit, Selbstständigkeit und Lernbereitschaft ein sehr beliebtes Attribut bei Arbeitgeber*innen. Umso schöner wird nun das Gesamtbild, dass man sich auf so vielen Ebenen weiterentwickeln kann, während man seiner Leidenschaft für das Spielen nachgeht und dabei auch noch Spaß hat.