Generation Selbstinszenierung: wie Kunst zum Wisch-Objekt wurde

Liken, wischen, liken, wischen. Das ist der Takt und er dauert genau zwei Sekunden. Egal ob zu Hause am Küchentisch, heimlich im Unterricht oder wie in meinem Fall nonstop im Zug. Die Head-Down-Generation liked und wischt sich durch die Sphären von Social Media – egal wo, egal wann. Ich bin da keine Ausnahme, immerhin wurde meine Generation so sozialisiert. Im Schnitt verbringt ein Digital Native 90 Minuten am Tag in den sozialen Netzwerken. Die stundenlange strategische Selbstinszenierung einiger weniger wird von der Masse im Schnelldurchlauf (nicht) gewürdigt.

Von Antonella Bacher

Die Erinnerung verschwindet, der visuelle Hunger bleibt und im Hintergrund singt Ariana Grande leise „thank u, next“. Das ist die Realität. Social Media bietet Raum für Selbstinszenierung, wobei der Auftritt zur Kunst und die Kunst zum Wisch-Objekt wird. Das Soziale Netzwerk um uns herum verschafft uns große Reichweite für wenig Aufmerksamkeit. Ein Deal, der allen gängigen Normen der Kunstszene widerspricht. Kunst entsteht, sie wächst und entwickelt sich – mit der Zeit. Zumindest hat das der österreichische Künstler Alfred Haberpointner in einem Interview mal gesagt. Stundenlange Selbstinszenierung, die in einem einzigen Post auf Social Media präsentiert und dann von der breiten Öffentlichkeit weggewischt wird? Vielleicht ist das ein Kollateralschaden des 21. Jahrhunderts, wo alles immer noch schneller und besser werden muss. Wobei vielleicht liegt das Problem auch in der begrenzten Aufmerksamkeitsspanne meiner Generation. 

All diese Gedanken schwirren mir durch den Kopf, während ich den Takt automatisiert fortsetze. Ich schrecke erst aus meiner Wisch-Stakkato, als die Tür meines Abteils mit einem Quietschen aufgeschoben wird. Ein Unbekannter setzt sich auf den freien Platz gegenüber. Der Zug ist mittlerweile in Bischofshofen angekommen. Über 30 Minuten sind vergangen, seitdem ich in Zell am See eingestiegen bin und Instagram geöffnet habe. Es ist mir fast peinlich, wie wenig Aufmerksamkeit ich meiner Umgebung gewidmet habe. Die Landschaft draußen ist genauso spurlos an mir vorbeigezogen wie die vielen bunten Bilder auf meinem Bildschirm. Trotzdem wird mir diese Zugfahrt lange in Erinnerung bleiben, denn nachdem sich der Unbekannte in unserem Abteil ausgebreitet hat, haben wir uns unterhalten. Ich kenne seinen Namen nicht, aber er war auch Student vor dreißig Jahren. In einer ganz anderen Zeit, wie uns im Laufe des Gesprächs beiden bewusst wird. Damals gab es noch keine kleinen schwarzen Kästchen, die uns heute unserer Zeit berauben. Wir unterhalten uns bis Salzburg, dann steige ich aus und greife automatisch wieder zu meinem Handy. Allerdings dieses Mal bewusst. Immerhin muss ich nachschauen auf welchem Bahnsteig mein Anschlusszug abfährt.