In den Weiten des österreichischen Verwaltungsmeeres liegen riesige Datenreserven unter Verschluss, die enormes Potential für Wirtschaft, Wissenschaft und auch die BürgerInnen enthalten. SUMO sprach mit Brigitte Lutz, Data Governance-Koordinatorin der Stadt Wien, und mit Mathias Huter, Generalsekretär des Forum Informationsfreiheit, über Open Data und Ihren Einfluss auf die politische Transparenz in Österreich.
Die Stadt Wien hat im Jahr 2011 die erste Open-Data-Plattform im deutschsprachigen Raum gestartet und somit den ersten Teil dieser ursprünglich verschlossenen Datenreserven für die Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die ersten 30 Datensätze waren veröffentlicht. Vor allem von der Wirtschaft werden die offenen Verwaltungsdaten aktiv genutzt, um Apps und Online Services zu entwickeln. Diese Serviceleistungen schaffen wiederum einen Mehrwert für die BürgerInnen. Open Data kann auch wichtige politische Informationen enthalten, die zur Mündigkeit der BürgerInnen beitragen und das Vertrauen in den Staat stärken. Doch einen Großteil dieser Informationen hält Österreich doch lieber verschlossen. „Überall dort, wo es um politisch relevante und mitunter brisante Daten geht, hat Österreich in Sachen Open Data noch großen Aufholbedarf“, konstatiert Mathias Huter.
Was sind Open Data?
Es sind Daten, die in maschinenlesbarer Form von öffentlichen Stellen auf Websites wie data.gv.at zur weiteren Verwendung veröffentlicht werden. Die Daten der öffentlichen Hand werden auch Open Government Data genannt, um sie beispielsweise von Open Business Data – offene Daten von Unternehmen – zu unterscheiden.
Öffentlich klassifizierte Daten sind nicht personenbezogen oder sicherheitsgefährdend. Maschinenlesbar bedeutet, dass die Daten in Datensätzen von Maschinen, also Apps oder Computeranwendungen, gelesen werden können, ohne dass sie zuvor in eine bestimmte Form gebracht werden müssen. Daten aus einer PDF-Datei sind für Maschinen schwerer zu lesen als strukturierte Daten in einer CSV-Datei. Brigitte Lutz unterstreicht, dass durch die Maschinenlesbarkeit „Anwendungen und Apps schneller mit Daten gefüttert werden können“.
Publizierende Stellen sind in Österreich unter anderem die Stadt Wien, die Gemeinde Engerwitzdorf oder das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. So veröffentlicht die Stadt Wien Datensätze wie Echtzeitdaten der Wiener Linien, die Gemeinde Engerwitzdorf Fördergelder der Gemeinde und das Eich- und Vermessungswesen digitale Landschaftsmodelle. Diese Daten auf data.gv.at bergen ein immenses Potential für Start-Ups, Unternehmen oder die Wissenschaft. Es entstehen Anwendungen wie Verkehrsinfo-Apps oder digitale Tourismuskarten mit gekennzeichneten Sehenswürdigkeiten und den Standorten freier Citybikes. Huter ist sich sicher, dass es den NutzerInnen oft gar nicht bewusst sei, dass diese Apps auf Open Data aufgebaut sind.
Open Data der Stadt Wien
„Wenn man Interesse hat, wenn man Daten liebt und auch das Verständnis hat, welchen Mehrwert man erzeugen kann, dann funktioniert Open Data“, schwärmt Lutz. So habe sich auch in Wien sehr früh ein kleines Grüppchen gebildet, das nach wie vor als Open Data Kompetenzzentrum das Thema vorantreibt. In der Stadt Wien arbeite niemand hauptberuflich für Open Data, jede/r trage einen Anteil bei. Neben Lutz als Data Governance–Koordinatorin gibt es einen Chief Open Data Officer, der die Abteilungen an die viermal im Jahr stattfindenden Datenphasen erinnert. Diese Phasen wurden von Anfang an fixiert, um eine Kontinuität zu schaffen und um die Daten für die Veröffentlichung vorbereiten zu können. Darüber hinaus wird die Öffentlichkeit auch offline und persönlich über Initiativen und Entwicklungen informiert.
Ein wichtiger Meilenstein war die Umsetzung der Data Excellence–Strategie anno 2019, die unter anderem den Umgang mit Open Data beinhaltet. Eine Innovation darin sei das „Open by default“-Prinzip. Dadurch würden alle Daten, die als öffentlich klassifiziert sind, automatisch offen zur Verfügung gestellt. „Das heißt, dass beispielsweise nicht nur der Energiebericht der Stadt Wien als PDF-Datei publiziert wird, sondern auch die zugrundeliegenden Datensätze“, erläutert Lutz. Es sei wichtig, dass man das „Open by default“-Prinzip gleich mitbedenkt, um langfristig Qualität und Quantität der Daten zu erhöhen.
Jene der Stadt Wien kommen aus verschiedenen Bereichen. Besonders groß sei das Interesse an den Echtzeitdaten der Wiener Linien. Auch Geodaten für Stadtpläne und Touristenattraktionen finden sich auf zahlreichen Apps, während Statistikdaten großes Interesse bei DatenjournalistInnen hervorrufen, stellt Lutz fest.
Ein Grund zum Feiern
Die auf data.gv.at veröffentlichten Datensätze werden bereits von über 525 Anwendungen weiterverwendet. Brigitte Lutz ist sich jedoch sicher, dass es eine große Dunkelziffer an Anwendungen gäbe, die nie erfasst wurden. Es liege im Ermessen der VerwenderInnen, ihre Anwendungen auf der Website zu registrieren. So habe sie zufällig von Entwicklern aus Russland erfahren, dass es eine russische Tourismus-App gebe, die Daten der Website verwende. Vor kurzem wurde jedoch die 500. Anwendung registriert – www.offenevergaben.at von Mathias Huter vom Forum Informationsfreiheit. Huter erläutert im SUMO-Interview, was das Besondere an den Daten ist, die für www.offenevergaben.at verwendet werden. Grundsätzlich stellen öffentliche Stellen Open Data auf freiwilliger Basis zur Verfügung. Es liege im Ermessen der Verwaltung, welche Daten in welcher Form veröffentlicht werden. „Als einzige Demokratie Europas hat Österreich kein Informationsfreiheitsgesetz – kein Gesetz also, das der Öffentlichkeit ein Recht auf Zugang zu Dokumenten und Datensätzen der öffentlichen Hand einräumt. Solche Gesetze schreiben in vielen Ländern der öffentlichen Hand auch vor, bestimmte Daten und Dokumente automatisch online zu veröffentlichen.“ Eine der wenigen Ausnahmen stellt das seit März 2019 geltende Bundesvergabegesetz (§ 4 BVergG 2018) dar, das öffentliche Auftraggeber dazu verpflichtet, die Werte über Auftragsvergaben von über 50.000 Euro als Open Data zu veröffentlichen. „Insgesamt geht es bei Aufträgen der öffentlichen Hand wohl um 20 Prozent der österreichischen Volkswirtschaft, also um 70 bis 80 Milliarden Euro im Jahr“, schätzt Huter. Durch das Gesetz wurde für die BürgerInnen also eine erste Transparenz in der Verwendung ihrer Steuergelder geschaffen.
„Wir erfüllen durch www.offenevergaben.at die Rolle des Daten- und Informationsübersetzers.“ Die nach §4 BVergG 2018 auf data.gv.at veröffentlichten Daten werden automatisiert aufbereitet und für BürgerInnen analysierbar und verständlich dargestellt. „Durch die aufbereiteten Daten sieht man, welche Behörde welche Aufträge vergibt und welches Unternehmen diese Aufträge bekommt. Jetzt gibt es erstmals ein bisschen Nachvollziehbarkeit. Leider gibt es nach wie vor keine Möglichkeit, die Verträge und Dokumente zu bekommen, also die Vereinbarungen zwischen einem Unternehmen und einer staatlichen Stelle. […] Spannende Details, zum Beispiel was im Detail gekauft wird, ob der Auftrag nach dem Zuschlag noch geändert wird und wie teuer am Schluss wirklich ist, sind leider nach wie vor nicht transparent.“ Das Gesetz ist also ein Schritt in die richtige Richtung, doch der Schritt ist noch ein kleiner auf einem langen Weg, um den Eisberg weiter Richtung Wasseroberfläche zu bringen.
Die verschlossenen Bundesministerien
Engerwitzdorf, eine rund 8.700 EinwohnerInnen starke Gemeinde in Oberösterreich, hat bisher 503 Datensätze veröffentlicht. Das am stärksten vertretene Bundesministerium auf der Open-Data-Website ist das Sozialministerium mit 15 Datensätzen. In den Bundesministerien scheint die sichtbare Spitze des Eisbergs also besonders klein zu sein. Doch woran liegt das?
Die niedrige Zahl der Datensätze würde sich laut Brigitte Lutz auch am Interesse vonseiten der Bundesministerien widerspiegeln. Besonders Schulungen seien wichtig, um ein Verständnis für Themen im Bereich der Daten zu schaffen. Während von der Stadt Wien über hundert Leute „mit dem Open Data–Virus infiziert“ wären und Schulungen absolviert haben, seien es von allen Bundesministerien zusammen viel weniger. Darüber hinaus spiele die hohe Fluktuation durch Regierungsumbildungen der letzten Jahre eine große Rolle. Der stetige Wechsel habe zu einem KnowHow–Verlust geführt. So mangle es an Personen, die sich in das Thema eingearbeitet haben und Open Data verstehen. Lutz beobachtete: „Es war zum Beispiel eine schwere Geburt, dass das Gesundheits– und Sozialministerium die Zahlen des Covid-Dashboards auch als Open Data veröffentlicht hat. Das hat sehr lange gedauert und meiner Meinung nach sind sie immer noch nicht in einer optimalen Form publiziert“. (Interview fand am 20. April 2020 statt). Die Gemeinde Engerwitzdorf sei überdies eine Vorzeigegemeinde, da es dort sehr Open-Data-affine Personen gebe, die sich sowohl fachlich, als auch persönlich stark mit dem Thema beschäftigen würden.
Mathias Huter meint, dass Gemeinden und Städte näher bei den BürgerInnen seien. Sie hätten, im Gegensatz zu Bundesministerien, weniger Berührungsängste und in vielen Bereichen mehr Daten, die relevanter seien für die DurchschnittsbürgerInnen. Außerdem habe das auch mit politischen Machtinteressen zu tun. Es gebe durchaus AkteurInnen, die vielleicht kein großes Interesse hätten, der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen. Überall dort, wo es um politisch relevante und mitunter brisante Informationen gehe, würden Daten nicht freiwillig veröffentlicht. Es liege aber nicht an den BeamtInnen selbst, sondern vor allem an gesetzlichen Restriktionen wie dem, in der EU einzigartigen, Amtsgeheimnis. „Im Zweifelsfall entscheidet man sich für die Verschwiegenheit. Denn wenn man zu viel herausgibt, dann steht man sozusagen im Extremfall mit einem Fuß im Gefängnis.“
Der träge Weg zur Transparenz
Der Umstand einer fehlenden Gesetzesgrundlage ziehe sich durch alle öffentlichen Stellen Österreichs. Lutz sieht den Grund der Verschwiegenheit nicht hauptsächlich beim Fehlen der Gesetze, sondern bei der Einstellung der betroffenen Personen. „Ich mache eher die Erfahrung mit Gesetzen, dass Druck Gegendruck erzeugt. Man bekommt fast eine gewisse Abwehrhaltung, denn jeder versucht natürlich, seine eigene Organisation zu schützen.“ Man müsse den Menschen das Thema Open Data schmackhaft machen und die Einstellung in eine positive Richtung lenken.
Für Huter sei die Freiwilligkeit von Open Data in Österreich ein wichtiger Aspekt, der unterstreiche, dass Open Data nicht automatisch Transparenz schaffe. Um eine solche zu bewirken, brauche es klare Gesetze. Druck zur Neuauslegung der geltenden Gesetze verspüre Österreich bereits durch Höchstgerichtsurteile oder den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Dabei müsste Österreich nur etwas über den Tellerrand auf junge Demokratien in östlicher Richtung blicken. „In der Slowakei ist es seit vielen Jahren so, dass ein Vertrag der öffentlichen Hand gar nicht in Kraft treten kann, wenn er nicht im Volltext im Internet für alle einsehbar ist. Das heißt, da darf ohne diese Transparenz gar kein Geld fließen. Da geht es nicht nur um Auftragsvergaben, da geht es auch um Subventionen, Förderungen, Genehmigungen und um Privatisierungen. […] Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass dadurch nicht nur die öffentliche Hand Mittel einsparen kann, sondern dass auch der Wettbewerb gestärkt wird. So versuchen mehr Unternehmen, sich um Aufträge zu bewerben, was sich eben positiv auf den Preis auswirken kann.“ Junge Demokratien seien uns durch junge Verfassungen und Gesetze, sowie strengeren EU-Zutrittsauflagen einige Schritte voraus in puncto Transparenz. In Österreich bräuchte es ein Informationsfreiheitsgesetz, das über die Ankündigungen im Regierungsprogramm hinausgehend auch tatsächlich umgesetzt wird. Das würde den BürgerInnen einen effektiven Zugang zu Informationen schaffen und öffentliche Stellen zur automatischen Veröffentlichung politisch wichtiger Dokumente verpflichten. Darüber hinaus wäre eine politisch unabhängige Transparenz-Kontrollstelle wichtig, die beobachtet, ob Transparenzbestimmungen umgesetzt werden und die Behörden bei der Umsetzung beraten würde. „Ohne ein Informationsfreiheitsgesetz und einer unabhängigen Kontrollstelle wird es einfach sehr schwer, wirklich einen Kulturwandel hin zu mehr Transparenz innerhalb der Verwaltung auszulösen und sicherzustellen“, ist sich Huter sicher.
Noch nie wurden die Pläne für ein modernes Informationsfreiheitsgesetz so konkret gesetzt wie im aktuellen Regierungsprogramm. Vielleicht schafft es die Türkis-Grün-Regierung, dieses Informationsfreiheitsgesetz – mehr als 250 Jahre nach Schweden – tatsächlich umzusetzen.
Aufbruchsstimmung: Welche Datensilos gehören geöffnet?
Auf die Frage, welche Datensilos sie aufbrechen würde, meint Lutz, dass beispielsweise österreichweite Verkehrsdaten sehr sinnvoll wären. Sobald es um Routen über die Stadtgrenze hinausgehe, werde es schwierig, da die Daten der Verkehrsauskunft Österreich fehlen würden. Überhaupt wären österreichweite Open Data- sinnvoll, damit sich EntwicklerInnen die Daten nicht dezentralisiert von verschiedenen Stellen in unterschiedlichen Datenformaten zusammenstückeln müssten. „Allgemein sollte gesamtheitlicher gedacht werden“. Huter fordert, sämtliche Gutachten und Studien der öffentlichen Hand zu publizieren, „weil dort sehr viel Wissen drinnen steckt, das sonst in irgendeiner Schublade verstaubt.“ Darüber hinaus wäre die Veröffentlichung der Daten und Dokumente, die den Werten der Aufträge nach dem Bundesvergabegesetz zugrunde liegen, wichtig, um eine Nachvollziehbarkeit der Geldflüsse sicher zu stellen. „Denn das ist das effektivste Mittel, um Mauscheleien und Korruptionen im schlimmsten Fall vorzubeugen.“
Je mehr Menschen von Open Data überzeugt sind und je konkreter die gesetzliche Grundlage ist, desto sinnvoller kann man also Open Data veröffentlichen. Um für BürgerInnen das Potential der riesigen Datenreserven ausschöpfen zu können, müssen auch politisch brisante Details als Open Data transparent und nachvollziehbar veröffentlicht werden. Lutz und Huter sind sich einig, dass es in vielen Bereichen noch nicht die finanziellen Ressourcen gebe, die notwendig wären, um dem Thema die angemessene Priorität einzuräumen.
Solange es für Österreich kein Informationsfreiheitsgesetz gibt, bleibt Open Data eine meist freiwillige Leistung engagierter und datenaffiner MitarbeiterInnen in öffentlichen Ämtern. Die Open Data-Erfolgsgeschichten sollten nicht nur von kreativen Start-Ups und engagierten Städten und Gemeinden geschrieben werden, sondern darüber hinaus von einem offenen, transparenten Staat, der pro-aktiv Informationen für BürgerInnen veröffentlicht.
Bis dahin bleibt Open Data nur die Spitze des Eisbergs.
Von Karin Pargfrieder