Think Austria: des Kanzlers Denkstube  

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Think Tank: ein Begriff, der in den letzten Jahren durch die mediale Berichterstattung häufig zu hören war. Neben der „Agenda Austria“ und Straches gescheitertem Projekt „Denk zukunftsreich“ wurde ebenfalls über die Stabstelle „Think Austria“ berichtet.Nur, was versteht man unter einem Think Tank und warum sollte man diese kritisch hinterfragen? SUMO sprach darüber mit Bruno Rossmann, dem ehemaligen Nationalratsabgeordneten und Klubobmann der Liste Jetzt, und Edward Strasser, Mitgründer & CEO des Innovation in Politics Institute.  

7. April 2020: Lockdown Österreich. Homeoffice im Pyjama und schnell gekochte Pasta. Ein Alltag, den meist nur StudentInnen kennen, gilt nun für sehr viele in Österreich. Um weiterarbeiten zu können, wäre ein Kaffee ganz gut. Gesagt getan, aufgegossen und vorsichtig daran geschlürft. Just in dem Moment klingelt das Handy: Bruno Rossmann – der erhoffte Rückruf. 

Warum? Parlamentarische Anfragen: insgesamt drei wurden zum Kanzler-Projekt Think Austria eingereicht. Zwei von Claudia Gamon (NEOS) unter Türkis-Blau, die dritte und letzte von Bruno Rossmann (Liste Jetzt) in Zeiten der Expertenregierung. Der Grund: Kanzlerin Bierlein machte kurzen Prozess und löste am 11. Juni 2019 das Projekt Think Austria auf 

 Think Austria II – auf ein Neues 

Mit der Verabschiedung durch die Kanzlerin war es aber nicht vorbei. Im Rahmen der Evaluierung und Neuorganisation wurde dem Projekt Think Austria der Stecker gezogen, während andere Stabstellen des Bundeskanzleramts überlebten. Am 21. Jänner wurde durch den „Standard“ bekannt, dass es damit nicht erledigt war: Bundeskanzler Kurz schickt Think Austria in die zweite Runde. Am 7. April, glücklicherweise vor dem Interview mit Bruno Rossmann, veröffentlichte „Der Standard“ eine weitere Meldung, die indirekt mit dem Projekt zusammenhängt: Kurz-Beraterin Antonella Mei-Pochtler wird mit 13. April als Mitglied des Aufsichtsrats der ProSiebenSat.1 Media SE bestellt. Ehrenamtliche Leiterin von Think Austria und nun Aufsichtsrätin eines privaten deutschen Medienkonzerns, kann dies zu Interessenskonflikten führen? „Selbstverständlich!“, so Rossmann im Gespräch mit SUMO. „Das war ja damals auch so. Frau Mei-Pochtler agiert nicht wertefrei irgendwo im Raum, sondern sie geht ebenfalls einer beruflichen Tätigkeit nach und das hat Einfluss auf ihre Geschäftstätigkeit. Daher entstehen schon Interessenskonflikte. Entweder mache ich das eine oder das andere, aber eine Mischung aus beiden ist politisch ungesund“, erläutert der einstige Klubchef weiter. Laut dem Bundeskanzler und Mei-Pochtler dient die Stabstelle dem Entwickeln von mittel- bis langfristigen Analysen und Konzepten für Österreich. Themenfelder wie „Neue Wettbewerbsfähigkeit“, „Neue Leistung und Verantwortung“ und „Neue Identität“ wurden hierfür gewählt. Auch der Weltraum war beim ersten Anlauf ein wichtiges Thema. Laut dem Kanzler ist das Einrichten so einer Stabstelle mittlerweile üblich. Edward Strasser, Leiter des Innovations in Politics Institute, stimmt dem zu. Sein Institut arbeite häufig mit solchen Stabstellen zusammen, um gemeinsam politische, zukunftsorientierte, prodemokratische und proeuropäische Lösungen zu erarbeiten. „Die Politik versinkt in der Tagesarbeit“, fährt der Institutsgründer fort: „Somit stellt sich die Frage, wo man die Programme, seien es Arbeitsmarkt- oder Sozialprogramme, langfristig so umstellen und verbessern muss, damit diese wirksamer werden. Für diese Fragen ist in der Alltagsarbeit keine Zeit mehr.“ Auch Rossmann sieht die Grundidee einer solchen Stabstelle, die direkt im Bundeskanzleramt eingerichtet ist, grundsätzlich als sinnvoll an. Damit könne man sehr gut strategisch politische Entscheidungen vorbereiten, und dagegen sei nichts einzuwenden.  

Think Tank oder nicht?  

Nicht nur die Pläne der Regierung konnten ob der Ibiza-Affäre“ und deren Folgen nicht umgesetzt werden, sondern auch die geplanten Publikationen von Think Austria. Durch die Auflösung fiel ebenfalls das geplante Zusammentreffen des Sounding Boards am 18. Juni 2019 flach. Im Zuge dessen hätte ein erster Zwischenstand der geplanten Publikationen intern evaluiert werden sollen. Darf man sich durch den erneuten Anlauf der Stabstelle etwas aus der Vergangenheit erwarten? Rossmann trocken dazu: „Nein, da kommt sicher nichts mehr. Das ist ad acta gelegt.“ Und von der wieder eingesetzten Stabstelle? „Von der neuen erwarte ich mir ein klares Konzept: Was wollen wir machen? Da erwarte ich mir eine gewisse Öffentlichkeit und eine Offenlegung der Ergebnisse. Wenn das wieder nur in der Reisetätigkeit von Frau Mei-Pochtler und dem Herrn Bundeskanzler besteht, dann ist mir das zu wenig. Gerade nach dem Lockdown als Folge von Covid-19 und den damit verbundenen vielfältigen Folgen erwarte ich mir systemische Lösungsansätze. Klare Vorgaben, klare Aufgabengebiete und dann eine möglichst transparente Darlegung der Ergebnisse“.  

Rossmann unterstreicht im Interview klar und deutlich seine Skepsis an dem Kanzlerschen Think TankProjekt. Dieses wurde von Medien wie dem „Standard“ oder der „Presse“ als Think Tank bezeichnet. Der Kanzler selbst allerdings hat Think Austria in seinen parlamentarischen Antworten, sowie auf der Website des Projekts, nie als Think Tank bezeichnet. Auch Rossmann sieht Think Austria nicht als Think Tank, sondern – so wie der Kanzler selbst – als Stabstelle für Strategie, Analyse und Planung. Also kein Think Tank? Laut Rossmann war es keiner, allerdings betont er ebenfalls, dass dies eine Wortsklaverei sei. Auch für Strasser sei vollkommen unerheblich, wie es bezeichnet wird. Wichtig sei die Frage: Was macht es? 

Die fehlende Transparenz  

Für Bruno Rossmann war dies allerdings vollkommen unklar, ebenso wie dessen Aufgaben aussahen und welchen öffentlichen Mehrwert es bringen hätte sollen. „Immerhin sind das öffentliche Gelder, die hier für Studienzwecke verwendet werden und dazu braucht es nicht einmal das Auskunftsgesetz. Das ist offenzulegen. Basta“, so Rossmann. „Da geht es ja nicht um Geheimnisse der Republik, sondern um Ergebnisse, die von einem Minister oder einer Ministerin in Auftrag gegeben wurden. An die Oberfläche damit!“ KritikerInnen würden sagen, dass es an Transparenz mangelte, doch der ehemalige Klubchef der Liste Jetzt stellt eines klar: „Es war überhaupt keine Transparenz vorhanden. Kein Mensch hat gewusst, was Frau Mei-Pochtler und diese Stabstelle machen. Neben der als nicht vorhanden empfundenen Transparenz der Stabstelle ist Rossmann ebenfalls der Meinung, dass es für internationale Benchmark-Vergleiche keine eigene Stabstelle brauche. 

Laut der Antwort des Bundeskanzlers auf die parlamentarischen Anfrage Nr. 1587/J von Claudia Gamon (NEOS) diene die Stabstelle dem reinen Wissensmanagement. Bei Think Austria sollte keine akademische Forschung durchgeführt, sondern die Nutzung schon vorhandener Studien und Arbeiten in den Vordergrund gestellt werden. Ebenfalls hieß es, dass der Input der Stabstelle laufend in interne Hintergrundinformationen und Vorbereitungen mit eingeflossen sei. In der Antwort auf die Anfrage Nr. 2388/J, ebenfalls von Gamon eingebracht, hieß es allerdings, dass bei der Bündelung des Wissens, sowie die Vernetzung mit Stakeholdern, die Arbeit des Kanzlers sowie dessen Ressorts an erster Stelle stehen. Je nach Bedarf gäbe es dann ebenfalls Veröffentlichungen. 

Sein Ressort und seine Stabstelle: zum Teil besetzt ohne Ausschreibung nach §20 Abs. 1 des Ausschreibungsgesetzes mit Personen aus der Jungen ÖVP (JVP). Diese Tatsache hat dem einstigen Nationalratsabgeordneten übel aufgestoßen: „Das hat mich extrem gestört. Die Vermischung einerseits von Parteipolitik und andererseits der Verwaltung. Wenn das parteipolitische Agenden sind, die hier abgearbeitet werden, dann soll das bitte in der Partei stattfinden, aber nicht im Kanzleramt. Parteipolitik hat in einer Verwaltung nichts verloren und dazu zählt ebenfalls das Bundeskanzleramt.“   

 Entscheidende Faktoren 

Im Punkt Transparenz sind sich der CEO des Innovations in Politics Institutes sowie der einstige Abgeordnete der Liste Jetzt einig: sie sei essentiell. Der Grund dafür sei simpel: Ideologiefreies Arbeiten gebe es nicht. „Es steht immer ein gewisses Interesse dahinter, wichtig ist die Transparenz!“, so Strasser. Laut ihm seien mehrere Fragen entscheidend: Woher kommt das Geld? Welches Interesse ist damit verbunden? Wie wird es offengelegt? „Dies gilt auch für die Parteienfinanzierung. Wenn politische Parteien Geld annehmen, dann ist es wichtig, dass offengelegt wird, woher dieses Geld kommt. Wenn man weiß, woher es kommt, dann weiß man auch, was es bewirken soll“, fährt Strasser fort. Dies gelte auch für die Beurteilung der jeweiligen veröffentlichten Arbeiten. „Think Tanks, die eigentlich Pressuregroups (Anm.: Lobbyverbände) sind, führen zu einer verzerrten Wahrnehmung des Begriffs und führen außerdem dazu, dass man die Objektivität der Informationen, die von dort kommen, in Zweifel ziehen muss“, erklärt der Institutsleiter.  

Für Rossmann sei ein weiterer Aspekt bei der Gestaltung einer Stabstelle bzw. eines Think Tanks wesentlich, nämlich die breite Diskussion grundsätzlicher und wichtiger Themenstellungen, bei denen möglichst viele unabhängige ExpertInnen mit unterschiedlichen Meinungen involviert werden – im nationalen sowie internationalen Kontext. „Das erachte ich für sinnvoll, aber es kann ja nicht sein, dass dann wieder frisch weg irgendwelche Lieblinge des Herrn Kurz oder nur einseitige Wissenschaftler, die dem Bundeskanzler angenehm sind, involviert werden“, so der ehemalige Klubchef. Die daraus entstandenen Arbeiten sollten als Entscheidungsgrundlage für die Politik zur Verfügung stehen. Laut Rossmann sei dies bei Think Austria allerdings nicht der Fall gewesen.  

Auf die Frage, ob externe Unabhängige zu bevorzugen sind, stellt Strasser eines klar: „So etwas gibt es nicht, es gibt keine unabhängige Instanz. Zeigen Sie mir in Österreich eine unabhängige externe Instanz und ich schenke ihnen eine Flasche Wein. Es steht immer ein Interesse dahinter und das ist auch gut so!“ Diese immer vorhandene Wertehaltung sieht der Institutsleiter bei der Gründung einer solchen Gruppe als entscheidende Basis. „Man sucht sich, wenn man eine Gruppe bildet, mit der man gemeinsam etwas erreichen will, immer Leute, die der eigenen Werthaltung nahestehen, dann muss man nämlich nicht ständig über Werthaltungsfragen diskutieren. Aus meiner Sicht ist das ein durchaus menschlicher und nachvollziehbarer Vorgang“. 

Steigende mediale Präsenz  

Für Edward Strasser und dessen Institut, das sich nicht als Think Tank sieht allerdings laut dem „Global Go To Think Tank Index Report 2019“ der University of Pennsylvania zu den „Top Think Tanks in Western Europe“ gehört – nahm die mediale Präsenz vieler kleiner Think Tanks in den letzten Jahren deutlich zu. Abgesehen von den Gewerkschaften und der Arbeiterkammer, die Interessensvertretung und Think Tank in einem sind und immer sehr präsent waren, war dies in der Vergangenheit nicht der Fall. Welcher sich am häufigsten medial zu Wort melde, könne der Institutsleiter nicht sagen. Bruno Rossmann hat hier einen klareren Eindruck: Die Agenda Austria zeige sich am meisten, im Gegensatz zum Momentum Institut, das allerdings erst 2019 gegründet wurde und einen guten Start hingelegt hat. Agenda Austria wurde 2013 gegründet und deren Leiter scheint bei dem ehemaligen Nationalratsabgeordneten Eindruck hinterlassen zu haben: „Die Agenda Austria hat schon eine große Bedeutung, aber ich würde sie nicht als Think Tank bezeichnen, sondern als Lobbyistenverein. Im Gegensatz zum Momentum Institut, bei dem ich schon den Eindruck habe, dass hier – wenn auch unter bestimmter ideologischer Sichtweise – wirtschaftlich, sozial und ökologisch relevante Inhalte aufbereitet werden. Die Agenda Austria im Gegensatz dazu lobbyiert im Wesentlichen für die Wirtschaft und Industrie. Der Leiter ist ja eigentlich ein Journalist (Anm.: Franz Schellhorn, vormals ‚Die Presse‘), der nun seine Netzwerke dafür nutzt, um seine Ideen und seine Ideologien an den Mann und an die Frau zu bringen.“  

Auch Think Austria war häufig in den Medien. Zu Beginn des ersten Anlaufs wurde über Berater wie Ban Ki-moon berichtet, allerdings sieht hier Rossmann den Austausch von Ideen und Ratschlägen und weniger eine ersthafte beratende Tätigkeit. Internationale Expertise für nationale Themen sei durchaus sinnvoll, als Beispiel nannte er den Expertisen-Austausch der Arbeiterkammer mit dem französischen Ökonomen Thomas Piketty. „Die Ideen solcher Leute sind da eben gefragt, die die Verteilungspolitik im Fokus haben“, so Rossmann. Edward Strasser ist diesbezüglich derselben Auffassung. Anhand des Beispiels Künstliche Intelligenz (KI) erklärte er seinen Standpunkt: „Wir wissen mittlerweile, dass KI weite Teile, nicht nur der Arbeitswelt, sondern auch der Verwaltungs- und Regierungsarbeit verändern wird. Aber das ist in Österreich genauso wie in Deutschland und der Schweiz sowie auch in Bulgarien und Finnland. Es ist daher notwendig, sinnvoll und steuergeldersparend, auf ExpertInnen in anderen Ländern zuzugreifen. Weil in anderen Ländern bereits Erfahrungen gemacht und gesammelt wurden, die wir noch nicht haben und umgekehrt.“ Laut Strasser sei der Knowhow-Transfer von hoher Bedeutung, da das Ausprobieren von neuen Techniken oder Prozessen Zeit und Geld fresse. Daher sei damit immer ein großes Risiko verbunden, weil Steuergelder möglicherweise in erfolglose Projekte fließen. Demnach sei es wichtig, auf erfolgreiche Projekte aus dem Ausland zurückzugreifen.  

Demokratische Entwicklungen  

Im Zuge des Interviews mit Edward Strasser konnte es sich SUMO nicht nehmen lassen, etwas zu den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen zu erfragen. Welchen Einblick kann der Institutsleiter gewähren? „Dort, wo sich die Demokratie positiv entwickelt, dort wird sie partizipativer. Dort, wo man Vorwürfe macht und populistische antidemokratische Parteien gewählt werden, dort geht es nicht in die richtige Richtung. Dort, wo die Politik versucht, Bürgerinnen und Bürger stärker einzubeziehen –  nicht nur bei Entscheidung, sondern auch in der Festlegung der Schwerpunkte , dort steigt das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der Politik und das ist eindeutig sichtbar. Es wird immer mehr auf Partizipation gesetzt!“  

 Von Lukas Pleyer