Im Gegensatz zu kommerziell ausgerichteten Kinos werden Programmkinos in einigen Fällen finanziell gefördert, um eine Programmvielfalt zu fördern. Aus Wettbewerbsperspektive gefragt: Wozu, wenn die Nachfrage in punkto Film abseits der Blockbuster anscheinend nicht groß genug ist? Aus Rezipientenperspektive: Welche Rolle spielt die Politik dabei? SUMO sprach mit Johannes Wegenstein, Geschäftsführer der Wiener Kinos „Schikander“ und „Top Kino“, über Förderungen, Überleben und politische Unterstützung in der (Programm-)Kinobranche.
Laut der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), die jährlich unter anderem die österreichischen Kinobesucherzahlen veröffentlicht, stiegen die Zahlen der Kinobesuche im Jahr 2019, im Vergleich zum Vorjahr, um 5,8%, mit insgesamt ca. 14 Mio. Besuchen. Doch bei näherer Betrachtung wird klar, dass es vor allem Hollywood-Blockbuster sind, die sich an den Besucherzahlen erfreuen. In den Top 10 der meistbesuchten Kinofilme 2019 befindet sich laut WKO keine einzige österreichische und nur eine deutsche Produktion. Der erfolgreichste österreichische Film mit 139.177 BesucherInnen war „Love Machine“ mit Thomas Stipsits, die Nummer 1 aus den USA „The Lion King“ hatte ca. sechsmal so viele BesucherInnen. Es zeigt sich also eine klare Dominanz der Hollywood-Blockbuster, die in den großen Kinoketten gezeigt werden. Doch wie steht es um die unabhängigen Programmkinos des Landes?
Leinwand für Neues
2017 ergab eine Studie im Auftrag der WKO über die ökonomische Bedeutung der Kinobranche in Österreich, dass es sich bei etwa 46% aller Kinos in Österreich um 1 oder 2-Saal-Kinos handelt, welche den Programmkinos, auch Arthouse-Kinos genannt, zuzuordnen sind. Gezeigt werden internationale Filme und besonders österreichische Filme, die Themen behandeln, welche abseits des Mainstreams liegen, bzw. Filme, die nicht zur reinen Unterhaltung der breiten Masse dienen, sondern an spezielle Interessen gerichtet sind und zum Nachdenken anregen sollen, z.B. gesellschaftskritische. Doch das Kino ist nicht nur Spielstätte für Filme, ebenso wichtig sind Veranstaltungen, Kulturevents oder ein dazugehöriges Lokal, das als Treffpunkt dient, auch ohne einen Film sehen zu wollen. Kulturelle Vielfalt und Unterstützung junger, unbekannter FilmemacherInnen sind hier die Devisen. Ihnen bieten Programmkinos eine Leinwand, die sie sonst nicht so einfach bekommen würden. Johannes Wegenstein, Geschäftsführer des „Schikaneder“ und Top Kino“ in Wien, betont gegenüber SUMO, dass die beiden Kinos für junge KünstlerInnen stets offen seien. Deren Filme würden zwar im Vorhinein abgesegnet werden müssen, denn „gemäß unseren Grundsätzen haben fundamentalistische, rassistische, extremistische Positionen keinen Platz “, eine Geschmackspolizei gebe es dabei aber nicht. „Wir zeigen unter anderem sehr viele Filme junger Filmemacher*innen, die zwar Low- oder Nobudget, aber mit viel Leidenschaft in Eigenregie produziert sind (also eigenständig und aus eigener Hand), und das sind mitunter sehr gute Filme.“
Wegenstein war schon 1996, als er das „Schikaneder“ übernahm, klar, dass Kino innert einem Gesamtkonzept auf Basis zumindest zweier Standbeine zu stellen sei. Das „Schikaneder“ und das „Top Kino“, die sich selbst als „Vielzwecklocations“ bezeichnen, seien nicht nur Kinos, sondern auch Bar oder Restaurant und bieten Alternativprogramme im Bereich bildende Kunst oder Literatur. Zum Beispiel mit der Aktion „Wand sucht Kunst“ ist das „Schikaneder“ laufend auf der Suche nach KünstlerInnen, die die Räumlichkeiten und Wände der Location nutzen wollen, um ihre Werke einem Publikum zu präsentieren. Ebenso werden regelmäßig Buchpräsentationen oder Lesungen veranstaltet, wie etwa „Fellner LIVE – eine szenische Lesung“, bei der transkribierte Interviews des „oe24“-Herausgebers mit österreichischen PolitikerInnen durchleuchtet und Fellners Medienarbeit sowie die des Boulevards unter die Lupe genommen werden. Die verschiedenen Angebote und das Kino befruchten sich im Idealfall gegenseitig, so Wegenstein.
Bewusstsein steigt
Kinos dieser Art kämpfen seit Jahren ums Überleben, zuletzt hatte eines der ältesten Kinos der Stadt Wien diesen Kampf verloren. Das „Bellaria Kino“ musste nach 107–jährigem Bestehen aus finanziellen Gründen seine Tore schließen. Die sinkenden Einnahmen waren jedoch auch darauf zurückzuführen, dass das „Bellaria Kino“ und seine Programmgestaltung stets auf ein älteres Publikum ausgerichtet war. Junges Publikum konnte nicht für die Filme begeistert werden, und somit nahmen die Besucherzahlen langsam ab. Gegenüber dem „KURIER“ (5.12.2019) erklärte der damalige Inhaber der Kinos, Erich Hemmelmayer, dass er ohnehin nie etwas mit dem Kino verdient habe, sondern es als Hobby betrieb. Doch nun ginge es sich wirtschaftlich einfach nicht mehr aus, da die jungen Leute nicht nachkommen. Staatliche sowie kommunale Förderungen sollen Schicksalen wie solchen entgegenwirken. Seit 1999 werden Programmkinos von der Stadt Wien mit dem Ziel unterstützt, eine niveau- und gehaltvolle Programmgestaltung zu erreichen und filmische Vielfalt zu fördern und somit sicherzustellen, dass ein breites Spektrum an Themen und Genres vertreten sind. Auch von staatlicher Seite wird Unterstützung angeboten. Auf der Website des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport sind verschiedenste Kriterien angegeben, die erfüllt werden müssen, um als Programmkino Förderungen erhalten zu können. Eine davon setzt voraus, dass 40% der vorgeführten Filme des letzten Jahresprogramms europäische Produktionen waren. Johannes Wegenstein sei „überhaupt nicht unzufrieden“ mit den staatlichen Förderungen für die Branche. Natürlich könnte es immer mehr sein, aber er sei sehr froh über die Unterstützung der Stadt Wien, die den Förderbeitrag gerade erhöht habe. Auch der Bund sei diesbezüglich nicht so schlecht aufgestellt. Das Bewusstsein der Politik über die kulturelle Wichtigkeit für Orte wie das „Schikaneder“ und „Top Kino“ sei sicher vorhanden, in den letzten paar Jahren habe sich in diesem Bereich viel getan, so Wegenstein. Er fühle sich von der österreichischen Politik verstanden, ernstgenommen und unterstützt, doch man werde sehen, was nach der Corona-Krise an Unterstützung komme.
Kino, Corona, Politik
Eben diese Krise führte zu Spannungen zwischen der Kunst- und Kulturszene und der österreichischen Regierung. Am 17.April machte die damalige Staatssekretärin Ulrike Lunacek mit Aussagen, wonach österreichische Kinos an sie herangetreten seien und den Wunsch äußerten erst nach dem Sommer wieder zu öffnen, auf sich aufmerksam und war rasch mit einer negativen Reaktion konfrontiert. Die Empörung der KinobetreiberInnen war groß. Der Präsident des österreichischen Kinoverbandes, Christian Dörfler, bezeichnete Lunaceks Aussage als falsch. (APA-OTS, 17.4.2020) Auch das „Schikaneder“ und „Top Kino“ zeigten ihre Verwunderung durch einen „Facebook“-Post: „Die Situation vieler Kinos war schon ohne Corona nicht einfach und es ist auf viel Idealismus aufgebaut, dass diese Kinos erhalten wurden und nun ein prägender Kulturbestandteil der Stadt Wien sind.“ Weiters wird in dem Posting erläutert, dass die von der Politik als schnell und unbürokratisch dargestellten Hilfsleistungen sich großteils als enorme und täglich wachsende hyperbürokratische Hürden darstellen. „Wieder mal bewahrheitet sich, dass übersteigerte Formen von Bürokratie die tyrannischste aller Herrschaftsformen werden kann und Not zu Tode verwaltet wird, weil sich niemand verantwortlich fühlt. Auch das ist Politik.“ Am 29. Mai sperrten die Kinos dennoch wieder auf.
von Ida Stabauer