BOT or NOT – Kann künstliche Intelligenz die menschliche Kreativität ersetzen?

Vor einiger Zeit ging ein Bild viral, auf dem man sieht, wie das letzte Selfie der Welt aussehen könnte. Das Besondere daran: Das dystopische Gemälde wurde mithilfe der „Midjourney“-KI generiert. „Midjourney“ ist eines von vielen Systemen, die auf der Basis von Texteingaben Befehle in Kunst konvertieren können. Kann dieser technologische Fortschritt den Menschen bei seinem kreativen Schaffensprozess unterstützen oder macht er ihn gar obsolet? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, hat SUMO mit dem Experten für künstliche Intelligenz (KI) Michael Katzlberger sowie dem Schweizer Kreativen Andy Lusti gesprochen.

von Sebastian Püttner

Dass künstliche Intelligenz (KI) Schach, Go und verschiedene Videospiele besser beherrscht als die geübtesten Menschen ist seit längerem bekannt. Bereits im Jahr 1997 gelang es „Deep Blue“ als erstem Computer, den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow in einer Partie zu schlagen. Seit einiger Zeit haben auch Künstler*innen einen neuen, mächtigen Konkurrenten: KI, die Bilder auf Knopfdruck erstellt. Ein paar Textanweisungen, sogenannte „Prompts“, genügen und schon schafft der Algorithmus ein Bild, das es zuvor nie gab. Wenn es nicht gefällt, startet man das Programm erneut und erhält binnen kürzester Zeit neue Alternativen. Zu den bekanntesten dieser Systeme zählen etwa „Dall-E 2“, „Midjourney“ oder „Stable Diffusion“. Sie sind teilweise kommerziell verfügbar, gar nicht für die Öffentlichkeit zugänglich oder können von jedem frei genutzt werden. Interessierte können ihrer Kreativität freien Lauf lassen, technisches Wissen muss man dafür keines mitbringen. Es ist also kein Zufall, dass immer mehr KI-generierte Bilder im Netz auftauchen. Bei „Midjourney“ können User*innen beispielsweise ihre ersten 25 Bilder kostenlos generieren, bevor ein Abonnement abgeschlossen werden muss. Wer sich bei „Dall-E 2“ anmeldet, erhält 50 Credits, die man gegen Befehle an die KI eintauschen kann. Benötigt man mehr, muss man dafür bezahlen. „Stable Diffusion“ ist hingegen eine Open-Source-Variante und kann von jedem frei genutzt werden.

Von Bits und Bytes zur Künstler*in

Doch wie funktionieren diese Wunderwerke der Softwaretechnologie? „KI ist der Versuch, die Funktionsweisen im menschlichen Gehirn künstlich nachzubilden“, erzählt Michael Katzlberger. Er beschäftigt sich seit 2016 intensiv mit dem Thema der künstlichen Intelligenz in der Kreativindustrie. Davor war er 20 Jahre lang Geschäftsführer der führenden österreichischen Digitalagentur „Tunnel23“. Mit seinem neuen Unternehmen 3LIOT.ai hat er es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema KI zu entmystifizieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

KIs werden von ihren Entwickler*innen mit grundlegenden Einstellungen ausgestattet, die Anweisungen darüber enthalten, was sie lernen sollen. Anschließend werden sie mit Daten gefüttert, die sie gemäß ihren Instruktionen mittels Algorithmen auswerten. Dieser Vorgang wird als „maschinelles Lernen“ bezeichnet. Im Falle der Bilder-KIs kommen dabei Wort-Bild-Paare zum Einsatz. Also Bilder mit beigestellter Beschreibung, die festhält, was zu sehen ist. Das ermöglicht es den KIs zu erlernen, welche Formen, Farben und Anordnungen bestimmte Dinge haben. Auf diesem Wege können sie auch stilistische Informationen gewinnen, etwa darüber wie ein altes Foto oder ein Ölgemälde typischerweise aussieht. Das gilt auch für die einzigartigen Zeichenstile verschiedener Künstler*innen und ermöglicht Nutzer*innen später Eingaben wie „Elch auf dem Mond im Bauhausstil“.

Auf die Frage, ob dabei wirklich etwas Neues entsteht, meint Katzlberger: „Im Rahmen unserer Projekte haben wir oft erlebt, dass eine KI unvorhersehbares, außergewöhnliches, lebendiges produziert und uns mit kreativem Output überrascht. Der Mensch hat Vorbilder, von denen er lernt, demnach darf eine Maschine auch Vorbilder haben. Bach beispielsweise war das Vorbild von Mozart. In dem Sinne könnte man dem Menschen auch vorwerfen, dass er nicht kreativ ist, sondern bestehendes, gelerntes neu kombiniert hat, oder?“

Utopie und Dystopie

Während manche Menschen diese Entwicklung neugierig begrüßen, verschließen sich andere komplett davor. „In der breiten Öffentlichkeit ist das Thema KI nach wie vor negativ besetzt. Schuld daran sind in erster Linie Science-Fiction-Filme, wie Terminator oder Matrix, in denen Menschen von einer KI ausgebeutet oder vernichtet werden. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert und die einfachen Bürger*innen die riesigen Potenziale dieser Technologie erkennen“, erzählt Katzlberger. Dieser Zustand ließe sich nur erreichen, indem man aufklärt und die vielen positiven Beispiele hervorhebt. KI kann beispielsweise den Arbeitsprozess in der Kreativindustrie effizienter machen und beschleunigen. Wenn Werbeagenturen in Zukunft Bilder suchen, können sie entweder auf klassische Stock-Archive zurückgreifen oder ihre eigenen Bilder erzeugen. KI ist aber nicht nur in der Lage, Bilder zu generieren, sondern kann auch Texte verfassen. „Das sind Textmodelle, die so unfassbar gut sind, dass sich selbst Literaturkritiker schwertun zu erkennen, ob diese von einer Maschine oder einem Menschen geschrieben wurden“, so Katzlberger. Dabei entständen Marketingtexte, Claims oder Texte, die für den Wettstreit mit Menschen angefragt werden.

Berufsfeld im Wandel

Müssen Kreative also um ihren Job bangen? Michael Katzlberger ist optimistisch: „Ich vergleiche das gerne mit der Erfindung der Fotografie. Bis dahin konnten Maler*innen als Einzige die Realität auf einer Leinwand abbilden und haben die Fotograf*innen abgelehnt. Letztendlich hat sich die Fotografie zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt, ohne die der Film nicht möglich wäre, und Millionen von Jobs geschaffen. Das wird mit KI ähnlich sein.“ 

Dieser Meinung ist auch Andy Lusti: „Als Kreativer ist es essenziell neugierig zu sein, Strömungen und Trends zu beobachten und Neues für sich zu nutzen. Für mich ist KI ein neues Werkzeug, das neue Möglichkeiten bietet.“ Der Schweizer arbeitet als Creative Director für Direktkunden und Agenturen in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich. Seine Arbeiten wurden bereits in allen relevanten Kategorien der weltweit wichtigsten Kreativ-Wettbewerben ausgezeichnet. Er vergleicht KI mit einem Junior-Texter, der zwar unglaublich fleißig ist, dessen Output aber auch dementsprechend selektiert werden muss: „Das Ergebnis ist nur so gut wie der Input. Es braucht Leute, die mit KI umgehen können und Kuratoren, um die Spreu vom Weizen zu trennen.“ KI solle gezielt eingesetzt werden, um einen Mehrwert zu schaffen, statt einfach aus Prinzip. „Jeder von uns könnte theoretisch ein mehrfacher Grammy-Gewinner sein. Denn seit vielen Jahren ist die Musik-Software ‚Garage Band‘ auf jedem Gerät von ‚Apple‘ installiert und trotzdem haben es bisher nur Billie Eilish und ihr Bruder geschafft, damit zu Hause Welthits zu produzieren. Genauso hat jeder die Möglichkeit mit KI großartige Dinge zu erschaffen. Das heißt aber nicht, dass dies jedem gelingen wird“, illustriert Lusti.

Die Hamburger Kreativagentur „Häppy“ nutzt die KI-Software „Dall-E“ beispielsweise bei der Suche nach kreativen Talenten. Neben schrägen Illustrationen findet man bei ihnen etwa Texte wie: „KI kann viel, aber unsere nächste Kampagne machst besser du.“ Die KI-generierte Employer-Branding-Kampagne will dabei nicht nur originell sein und für Gesprächsstoff sorgen, sondern letztlich auch deutlich machen, dass die Werbebranche nicht ohne menschliche Intelligenz und Kreativität auskommt.

Problematische Inhalte und Urheberrecht

Die Mächtigkeit der Bilder-KIs wirft nicht nur Fragen zur künstlerischen Leistung auf, sondern auch zu ihrem Missbrauchspotenzial. Bereits heute kursieren immer wieder „Deepfakes“ im Internet. Dabei handelt es sich um täuschend echt wirkende, manipulierte Bild-, Audio- oder Videoaufnahmen, die mit Hilfe von KI erzeugt werden. In den nächsten Jahren könnte auch die Frage des Urheberrechts relevant werden. Die Bildagenturen „Getty Images“ und „Shutterstock“ haben KI-generierte Inhalte bereits wegen Urheberrechtsbedenken verboten. Erste Künstler*innen haben sich bereits darüber beschwert, dass KIs ihren Zeichenstil imitieren können. In den Datensätzen, von denen „Midjourney“ und Co. gelernt haben, befinden sich auch zahlreiche geschützte Werke. Eine rechtliche Bewertung steht noch aus.

Ein Blick in die Zukunft

Katzlberger ist jedenfalls davon überzeugt, dass es sich in Zukunft keine Agentur leisten kann, nicht mit KI zu arbeiten. Ähnlich wie sich „Photoshop“ über die Jahre immer wieder verbessert hat, werden sich auch diese Tools weiterentwickeln, um kreative Köpfe bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Künftig könnte KI auch in der Lage sein auf der Basis von Texteingaben, Werbefilme zu erstellen oder Musik zu komponieren und die Kreativindustrie so weiterhin zu revolutionieren. Auch Lusti betont abschließend noch einmal, dass es unerlässlich ist, offen für Neues zu sein. „Die wichtigste Eigenschaft, die ein Mensch für die Zukunft braucht, ist Flexibilität. Unsere Welt verändert sich rasend schnell und je mehr man sich darin zurechtfinden und neue Möglichkeiten nutzen kann, desto einfacher hat man es im Leben – egal ob beruflich oder privat“, reflektiert er.