Der Titel ist Kunst

„Wir trafen Jesus in der Mittagspause, kurz vor der Kreuzigung.“ Kaum eine Person wird es schaffen nach solch einem Einstieg den darunter stehenden Text nicht zu lesen. Dieser Titel ist übrigens nicht aus der Bibel, sondern aus einem Artikel des Magazins „Stern“ und handelt von einem Passionsspiel in Florida. Die Illustrierte hat somit geschafft, was wir Journalist*innen alle wollen. Nämlich, dass unsere Texte auch gelesen werden. Damit dies geschieht, braucht es einen Köder. Ähnlich wie beim Angeln, werfen wir Journalisten*innen diesen aus und hoffen, dass unsere Leser*innen anbeißen. Und genau dieser Köder ist der Titel. Damit die Titelfindung in Zukunft leichter gelingt, sprach SUMO mit den beiden Journalisten Jonas Vogt und Max Steiner über den perfekten Titel. 

Von Alexander Kortan 

„Der Titel ist letztendlich das, was Leute zum Lesen eines Textes bringt. Wir wissen durch die Möglichkeiten des Trackings, die wir vor allem im Online-Journalismus haben, dass sehr viele Menschen nur den Titel lesen oder zumindest sehr früh aus Texten aussteigen“, erklärt Jonas Vogt, freier Journalist und Reporter. Er schreibt dabei vor allem für „Der Standard“ und „Die Zeit“. „Ein guter Titel ist somit das, was Leute zum Lesen eines Textes bringt und auch einen gewissen Spin für den Rest mitgibt. Sprich, wenn ich einen Titel lese, habe ich danach bereits eine gewisse Erwartung an den Rest des Textes und in welche Richtung dieser geht“, so Vogt weiter. Wer also will, dass sein Text gelesen wird, sollte viel Wert auf seine Titel legen. Ähnlich sieht das auch Max Steiner, Redakteur bei der größten Lokalzeitung Niederösterreichs, den „Niederösterreichischen Nachrichten“ (NÖN). „Bei den meisten Texten ist der Titel das Wichtigste. Wenn nicht schon ein dazugehöriges Foto wirklich viel aussagt und so die Aufmerksamkeit auf den Text gelenkt wird, muss man es über den Titel richten.“ Dieser Umstand ist in der Branche auch durchaus bekannt. Viele Verlage messen, vor allem bei Online-Artikeln akribisch, wie oft ein Artikel geklickt wird und wie lange die Leser*innen auf dem Artikel bleiben. So kann es auch passieren, dass bereits veröffentlichte Artikel wenige Stunden später eine komplett neue Headline bekommen. Diesen Vorgang nennt Volker Wolff in seinem Buch „Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus“ schon fast als Norm. Ob man den Titel nun gleich zu Beginn und noch vor dem Text schreibt oder erst im Anschluss an einen fertigen Text anhängt, sei dabei aber relativ egal und eher Geschmackssache. „Das ist immer unterschiedlich. Wenn ich bereits eine Idee für die Story habe, schreibe ich den Titel am Anfang, das hilft dann auch als Fixpunkt für den Text, der folgt. Bei alltäglichen Storys schreibe ich den Titel aber auch oft erst am Schluss“, erklärt Max Steiner. „Wichtig ist, dass man sich genug Zeit nimmt, um einen guten Titel zu finden, auch wenn es vielleicht mal etwas länger dauert“, so der NÖN-Redakteur. Oft hätte er zwar gleich auf Anhieb eine gute Idee, manchmal würde die Titelfindung aber auch länger dauern.  Ein guter Titel braucht nun mal etwas Zeit und da kann es sein, dass sogar erfahrene Journalist*innen bis zu 15 Minuten überlegen, um einen passenden Titel zu finden. Laut Jonas Vogt müsse sich der betriebene Aufwand aber immer am Zweck der Story orientieren. „Grundsätzlich sollte dem Titel beim Schreiben schon die meiste Aufmerksamkeit gewidmet werden. Vor allem bei Storys, wo ich weiß, dass sie besonders wichtig sind, muss der Titel super sein und dem Text entsprechen. Bei mittelmäßigen Storys kann ich auch mal mit einem mittelmäßigen Titel leben“, meint hierzu Vogt.  

Der Boulevard lebt von Signalwörtern 

Über die Wirkung der Titel braucht man also nicht weiter diskutieren. Dass diese das wichtigste Element eines Textes sind, wurde SUMO sowohl von Max Steiner als auch Jonas Vogt bestätigt.  Nun gibt es aber je nach Medienunternehmen unterschiedliche Kriterien bei der Titelfindung. So lebt vor allem der Boulevardjournalismus von starken Signalwörtern und reißerischen Titeln. Wörter wie Hölle, Skandal, Hammer und Anschlag sind hier keine Seltenheit und werden meist im Überfluss verwendet. Denn im Boulevard gelten vor allem zwei Kriterien als wichtig: auffallen und polarisieren. „Im Qualitätsjournalismus kann man mit solchen Signalwörtern durchaus sparsamer umgehen und muss solch stark schreienden Wörter nicht unbedingt verwenden“, weiß Vogt. Die Artikel würden vom Publikum des Qualitätsjournalismus auch ohne diese reißerischen Signalwörter gelesen werden. Im Lokaljournalismus hat man das Problem, dass ein zu reißerischer Titel sowieso eher selten ist. „Es würde nicht sinnvoll sein, wenn ich zu ausgefallene Titel verwende. Die Storys der Chronikgeschichten gehen hier oft noch in die spannendste Richtung, was den Titel betrifft, wobei ich auch hier keinen Titel wie ‚Der neue Superverbrecher aus St. Pölten‘ schreiben würde“, erklärt Max Steiner. Gerade im Lokaljournalismus sei es wichtig eine Balance zu halten zwischen interessanten Titeln, dabei aber auch die Ethik von Opfern und der vermeintlichen Täter*innen zu wahren. „Vor allem bei den Fällen, wo noch nichts von einem Gericht bewiesen wurde, ist es wichtig die Beschuldigten nicht als verurteilt hinzustellen. Dazu kommt im Lokaljournalismus natürlich, dass man die Personen auch des Öfteren persönlich trifft“, weiß Steiner. Größere Unterschiede gibt es nur bei den verschiedenen Textsorten. Während bei Nachrichten die Headline bereits kurz und bündig erklären soll, was die Neuigkeit ist, gibt es für Meinungsbeiträge und Kommentare ganz andere Kriterien. So beschreibt auch Volker Wolff im Buch „Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus“ die Überschrift eines Kommentars als eine intelligente Art und Weise die Tendenz der Meinungsäußerung anzuzeigen.   

Drei Tipps für den perfekten Aufmacher 

Obwohl einige Kriterien für Titel, je nach Medienunternehmen und Textsorte, unterschiedlich sein können, gibt es doch drei Punkte, die für jeden Headliner gültig sind und helfen einen passenden Titel zu finden. „Ich gebe den Leuten da immer drei Tipps mit. Erstens den Titel immer aktiv schreiben“, erklärt Jonas Vogt. So ist es zum Beispiel immer besser zu schreiben „Kanzler Nehammer beschließt Strompreisbremse“, als „Strompreisbremse wurde von Kanzler Nehammer beschlossen“. „Als zweiten Tipp lege ich immer nahe Reizwörter zu verwenden. Diese müssen ja nicht unbedingt gleich so starke Wörter wie Skandal oder Horror sein. Wenn ich einen Text über die Ortschaft Klosterneuburg schreibe und Klosterneuburg im Titel steht, gilt auch das als Signalwort“, so Vogt weiter. „Drittens den Titel immer kurz und knackig schreiben und dabei gerne auch mal ein Adjektiv wegkürzen, damit es gut ins Layout passt“, schließt Vogt ab. Dieselben Tipps gelten hier auch für den Lokaljournalismus, wobei es im Print nicht immer ganz so leicht ist, weiß Max Steiner: „Der Titel soll bei den Nachrichten in aller Kürze das Wichtigste erwähnen, wobei wir im Print sowieso durch das vorgegeben Layout beschränkt sind und da oft an der passenden Länge herumbasteln müssen.“ So zeigt sich, dass obwohl Journalist*innen im Print oft unter Zeitdruck stehen und deren Storys möglichst schnell veröffentlicht werden sollen, es trotzdem wichtig ist sich genug Zeit für den Titel zu nehmen. Weil wenn der Titel floppt, ergeht es dem Text, sei er noch so gut, nicht besser.  

Von Alexander Kortan