(Cyber-)Mobbing – Schreie, die niemand hört 

(Cyber-)Mobbing

Hass, Bloßstellung, keine Gnade und Grenzen. Weder online noch offline. Ein neuer Treffpunkt des Mobbinggeschehens ist unter anderem „TikTok“ geworden.

Um das Thema besser zu verstehen, sprach SUMO mit einem betroffenen Opfer und einem Täter, die in diesem Artikel den Namen Nicole und Leon tragen. 

Eine Stück Salami wird ihr ins Gesicht geschossen: „Hier friss deine Artgenossen! Du fette Sau!“ schreien einige ihrer Mitschüler*innen. Andere filmen während des gesamten Geschehens, um es nachher auf „TikTok“ hochladen zu können. Nicole bricht in Tränen aus. Es sind Erzählungen aus einer Zeit, die sie beinahe ins Grab gebracht hätten. Einer Zeit, in der sie exzessivem (Cyber-)Mobbing ausgesetzt war. 

In ihrem Aufsatz „Cyberbullying als neues Gewaltphänomen“ (2009) erläutern Thomas Jäger und Julia Riebel, dass es beim Cybermobbing darum gehe, stetig neue Technologien einzusetzen, um wiederholt und mit voller Absicht andere Menschen zu beleidigen, zu bedrohen, zu verletzen oder auch „nur“ um Gerüchte über sie zu verbreiten. Im Fall von Nicole treffen alle erwähnten Gründe zu. 

Mobbing hat sich mit Technologien weiterentwickelt 

Das Cybermobbing hat schon bald in der Schule begonnen. Neben Beleidigungen im Klassenzimmer, Bloßstellungen in der Pause und herablassenden Kommentaren während der Busfahrt musste sich Nicole auch in ihrer Freizeit dem Mobbing hingeben. Nachrichten über sie in Chats, bearbeitete Bilder von ihr die die Runde machten oder Ausgrenzungen von schulinternen Gruppen waren ihr Alltag. Mit der Zeit entwickelten sich nicht nur neue Kommunikationsplattformen, sondern es wurden neue Orte „erschaffen“, an denen exzessives Mobbing betrieben werden konnte. „Sie machten Bilder und Videos von mir, die sie sich dann gegenseitig schickten.“ Die Bilder, die daraus entstanden sind, wurden auch meist Nicole selbst geschickt. Gemeldet hat sie die Vorfälle nie. Sie hatte Angst vor den Konsequenzen, vor dem, dass ihr nicht geholfen und alles noch schlimmer wird. „Im Nachhinein weiß ich, dass ich mir damals schon Hilfe suchen hätte sollen, aber ich habe mir immer wieder eingeredet, dass ich ja selbst daran schuld bin.“ Sie versuchte, die Mobbingangriffe zu ignorieren; so zu tun, als wüsste sie nichts von den Bildern und Videos. Nicole hatte die Hoffnung, dass sie irgendwann aufhören werden. Doch das Gegenteil war der Fall: Das Mobbing wurde in die Öffentlichkeit verlegt, Videos über Nicole wurden nun auf „TikTok“ gepostet. Ihr Outfit und ihr Aussehen wurde in den Videos bewertet. Außerdem wurde manchmal das Mobbing in der Schule gefilmt und über den chinesischen Kanal veröffentlicht. Nicole betont, dass die Videos gar nicht das Schlimmste waren, vielmehr haben sie die Kommentare der anderen User*innen verletzt. „Einige schreiben, dass ich mich aufgrund meiner hässlichen Visage doch am besten gleich umbringen sollte. Andere machten Vorschläge, wie man mich noch mehr bloßstellen könnte. Ich war am Ende meiner Kräfte.“ Die Folgen: Zwei Suizidversuche, Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und die tägliche Einnahme von Medikamenten. 

Die Frage nach dem Warum 

Der Videochatscreen bleibt schwarz. Leon will unerkannt bleiben und vor allem nicht gefilmt werden. Er selbst bezeichnet sich bewusst als Täter und weiß auch, was er damit anrichten kann und anrichtet. Seine Welt ist „TikTok“. Hier betreibt er eine Art von Hetzjagd gegen bestimmte User*innen und andere Personen, denen er zufällig begegnet. Um die Handlungen und vor allem die Gedanken hinter Cybermobbing besser verstehen zu können, gibt Leon einen Einblick in die Welt der Täter. „Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es hauptsächlich aus Langeweile mache, weil es so einfach und fast schon grausam klingt, aber was soll ich machen, Langeweile ist eigentlich der Hauptgrund.“ Es sei eine Ablenkung vom Alltag, geprägt von Neid, Langeweile und Gruppenzugehörigkeit. Durch die gemeinsame Abneigung gegen einen Menschen auf „TikTok“ entstünden Gruppen, er fühle sich dann in seiner Meinung bestätigt und erwünscht. Er selbst verfüge bereits über 20 Accounts, via dieser er Hass-Kommentare schreibe. Content habe er auf keinen der Kanäle bereitgestellt. Was ihn am meisten triggere, seien Frauen, die mit ihren Videos bewusst nach Bestätigung suchten. „Wenn die keinen Hate haben wollen, dann sollen die den Kommentarmodus ausschalten, die wollen ja beleidigt werden, um Reichweite zu bekommen.“ Der Schäden, die er mit seinen Bemerkungen anrichtet, sei er sich zwar bewusst, aber es ist ihm ziemlich gleichgültig. Seiner Meinung nach sollte man keine Videos auf „TikTok“ posten, wenn man das Echo nicht aushalte. Videos, die jemanden bloßstellen sollen, wie am Beispiel von Nicole, findet er unterhaltsam. „Es ist ein einfacher Weg, sich einer Gruppe anzuschließen und die paar Kommentare tun doch niemanden weh.“ Ein weiterer Punkt den Leon an Cybermobbing schätzt ist die Anonymität. Seine Identität sei geheim und das gebe ihm die nötige Sicherheit. Er benütze stets, wenn er online unterwegs ist ein Pseudonym. Außerdem finde er die Intensität des Kanals wichtig: Manchmal werde ein von ihm geposteter Kommentar zum Top-Kommentar, das bedeutet, dass er somit schnell zu sehen ist. Es erreicht somit ein großes Publikum. 

Im Jahr 2017 führte das Statistik Research Department in Deutschland eine Umfrage zu den möglichen Motiven von Cybermobbing durch. Befragt wurden 212 Schüler*innen, die schon einmal Cybermobbing betrieben haben. Rund 45% der 212 Befragten gaben an, Cybermobbing zu betreiben, weil es die betroffene Person verdient hätte. 43% erwähnten, dass sie Streit mit der gemobbten Person haben und es deswegen tun. Aus Spaß machen es etwa 23%.  

Mobbing kann Menschen kaputt machen. Sie bis zum Äußersten bringen. Doch das Grausamste am Mobbing ist die Tatsache, dass die Täter*innen ihren sogenannten Spaß schon nach kurzer Zeit vergessen und Opfer noch Jahre später über die Taten und Worte der Mobber*innen nachdenken und sich den Kopf darüber zerbrechen, WARUM gerade sie zum Opfer wurden. Hier sollten auch die Kanalbetreiber ansetzen. 

von Jennifer Binder

Bild-Copyright: adobe.stock/arsenypopel