Der Ruf nach mehr Sichtbarkeit von Gruppen, die einer Minderheit angehören, gedieh in den letzten Jahren zu einem Schrei. So fordert insbesondere die LGBTIQ*-Community, endlich ebenfalls angemessen in den Medien repräsentiert zu werden: also Lesbian, Gay, Bi, Trans, Inter, Queer. Die Medienbranche betont zwar gerne, wie offen und tolerant sie doch sei, doch hinter den Kulissen herrschen nach wie vor dunkle Wolken statt Regenbögen. SUMO diskutierte dies mit Kai S. Pieck und Gerhard Niederleuthner.
Der deutsche Regisseur und Autor Kai S. Pieck und Gerhard Niederleuthner, Chefredakteur des österreichischen „PRIDE“-Magazins, sind beide keine Neuankömmlinge in der Medienbranche. Während Pieck bereits seit 1983 in der Film-, Fernseh- und Werbebranche tätig ist und Regie bei zahlreichen Produktionen führte, zeigt auch der Berufsweg Niederleuthners einen klaren Bezug zu Medien auf. Durch seine Mitgliedschaft beim österreichischen Werberat und die Gründung seiner eigenen Agentur „g+“ hat auch er einen ungefilterten Einblick in die Medienlandschaft. „Eine ziemlich heterosexuelle“, wie beide betonen. Obwohl die Medien oft den Eindruck vermitteln, Diversität und Toleranz zu leben, sind diesbezügliche Skandale nicht weit hergeholt. Erst im April 2021 folgte eine Welle an Kritik an der von „SAT.1“ ausgestrahlten Sendung „Promis unter Palmen“. Zwölf Reality-TV-Promis zogen für diese Produktion in eine Villa in Thailand, darunter Drag Queen Katy Bähm. Was im ersten Moment nach einer lang ersehnten Repräsentation von Diversität schien, endete in homophoben Aussagen des Teilnehmers Prinz Marcus von Anhalt. Die feindlichen Äußerungen wurden minutenlang gezeigt, auf eine Einordnung während der laufenden Sendung wartete man vergeblich. „SAT.1“ setzte auf eine ungefilterte Ausstrahlung der verbalen Ausfälle und verspielte die Chance, die Szene bei der Nachbearbeitung zu entfernen oder den Teilnehmer aus der Sendung zu werfen. Was folgte, war ein Sturm an Kritik in den sozialen Medien. Offensichtlich stellt es kein Problem dar, homophobe Aussagen in das Programm einzubetten, doch ein Spielfilm mit queeren Hauptcharakteren in der Primetime gilt bis dato als „unzumutbar und gefährdend“, wie auch Niederleuthner bestätigt.
Sichtbar unsichtbar
Ein ähnlicher medialer Fauxpas weckte in Kai S. Pieck den Wunsch, queere Menschen endlich sichtbar zu machen. Als Farid Bang und Kollegah beim Musikpreis „Echo“ im Jahr 2018 den Preis in der Kategorie Hip-Hop/Urban National trotz eindeutig antisemitischer Textzeilen abstaubten, war der Aufschrei so groß, dass PreisträgerInnen ihre Trophäen zurückgaben. Die Ethikkommission bezeichnete das Album der Künstler zwar als Grenzfall, jedoch wurden die künstlerischen Freiheiten nicht derartig weit übertreten, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre. Kurz darauf wurde seitens der „Echo“-Auszeichnung argumentiert, man möchte sich in Zukunft von Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und Homophobie distanzieren. Schließlich wurde die Preisverleihung aufgelöst. Pieck betrachtete diesen Vorfall als „zynisch, weil es Homophobie, Sexismus und Gewaltverherrlichung seit Jahrzenten in der Musik, insbesondere im Rap und HipHop, und in den Medien gibt und das bis dahin niemanden interessierte.“ Zudem spielte der Fakt, dass die Suizidgefahr unter homosexuellen Jugendlichen fast fünf Mal so hoch ist wie die der heterosexuellen, eine bedeutende Rolle in der Gründung der Queer Media Society (QMS), die Pieck gemeinsam mit medienschaffenden KollegInnen im Jahr 2018 ins Leben rief. „7,4% der in Deutschland lebenden Menschen bezeichnen sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder trans“, heißt es auf der Website von QMS. Die Daten, die der Dalia-Studie von 2016 zugrunde liegen, zeigen, dass dieser Wert in Österreich 6,2% beträgt. Geht es nach der QMS, bilden die Medien diese Anteile jedoch in keiner Weise ab. Elizabeth Prommer von der Universität Rostock stellte 2017 in der Studie zur „audiovisuellen Diversität“ ferner fest, dass das deutsche Kino und Fernsehen immer noch inhärent heterosexuell ist. „Dagegen muss man etwas tun!“, lautet die Devise Piecks und so begann er, in seinem Umfeld queerer Medienschaffender zu verkünden, dass gerade jene, die in der Medienbranche arbeiten und tagtäglich Vorbilder erzeugen, nun endlich auch „ein realistischeres Abbild unserer Gesellschaft schaffen müssen, die in Wahrheit viel diverser ist, als unsere Medien es sind.“ Die Idee, eine Gemeinschaft queerer Medienschaffender zu gründen stieß zwar keineswegs auf negative Rückmeldung, allerdings äußerten KollegInnen Skepsis gegenüber Piecks. „Einige wussten nicht, wie sie etwas dazu beitragen können. Vielen geht es privat und beruflich gut, sind sowohl in der Familie als auch im Arbeitsumfeld geoutet. Aber selbst diese werden doch keinesfalls abstreiten können, dass es Queerfeindlichkeit gibt“. Die Queer Media Society fordert daher „dass 7% des turnusmäßigen Outputs aller Medien-Produktionen mit LSBTIQ*-Inhalten und -Akteur*innen belegt werden.“ (Anm.: LSBTIQ* ist der deutsche Pendant-Begriff zu LGBTIQ*.) Zudem werde rege Aufklärung „durch die Veranstaltung von Panels, die teils unter den Begriff Diversität fallen“ betrieben und auch bei „der Novellierung des Film-Förderungsgesetzes in Deutschland haben wir uns eingebracht“, erklärt Pieck. Die QMS hat kürzlich zudem eine Petition mit dem Lesben- und Schwulenverband Bayern gestartet, um „in den bayerischen Medien- und Rundfunkräten eine queere Vertretung zu schaffen.“ Kai S. Pieck betont ebenfalls, dass „allein durch den Umstand, dass es die QMS gibt, eine gesellschaftliche Diskussion ausgelöst wurde.“ Nicht nur in der heterosexuellen Medienbranche, sondern auch unter jenen Medienschaffenden, die sich als Teil der LGBTIQ*-Community identifizieren, kam somit ein Stein ins Rollen und Pieck erhält nicht selten Nachrichten von Medienschaffenden, „die extrem glücklich sind, dass sie jetzt sozusagen auch professionell über LGBTIQ*-Themen sprechen können.“
Auch Print kann bunt sein
Auf die Frage, in welchen Medienbereichen noch das meiste Entwicklungspotenzial hinsichtlich queerer Inhalte steckt erwähnt Kai S. Pieck eine Branche, die in dem Gespräch rund um Diversität in den Medien meist völlig außen vorgelassen wird. „Der Games-Bereich ist zwar bezüglich der Produktion und Entwicklung viel internationaler aufgestellt, dennoch ist diese Branche sehr archaisch und binär gekennzeichnet.“ Doch auch der Printbereich scheint von der Heteronormativität durchzogen zu sein. So gibt es in Österreich lediglich nur wenige Magazine, die den Fokus auf queere Themen legt. „PRIDE – das lesbisch/schwule Österreichmagazin“ wird seit 1991 in einem zweimonatigen Abstand durch „PRIDE – Verein für queere Kulturarbeit“ ehrenamtlich herausgegeben. Redaktionsleiter Gerhard Niederleuthner erklärt, dass das Magazin ursprünglich als Vereinszeitung der Homosexuellen Initiative Linz veröffentlicht wurde, aber auch einige Kooperationen mit anderen Vereinen eingegangen war, die gleiche Interessen verfolgen. Die Intention des Magazins besteht darin, Meinung zu bilden und positive Bilder zu generieren, da über die Themen rund um Homosexualität in der Vergangenheit laut Niederleuthner nur dann berichtet wurde, wenn es zu negativen Vorfällen kam. „Das Magazin ist eine Mischung aus Coming-Out-Hilfe und politischem Lobby-Organ, vermittelt gesellschaftspolitische Themen und soll aber genauso zeigen, dass das Leben Spaß macht“, so der Redaktionsleiter. Bei der Finanzierung des Magazins ergeben sich jedoch bis dato noch einige Hürden. Niederleuthner beschreibt das Werbeschalten „eine Katastrophe“, da all jene Unternehmen, die in den vergangenen Jahren eine Sensibilität für LGBTIQ*-Themen aufbrachten, auf eine Werbeschaltung im „PRIDE“-Magazin aufgrund der geringen Auflagenzahl verzichten oder nur die LGBTIQ*-Community ansprechen, aber keine fixen Schaltungen tätigen möchten.
Diversität wird Normalität
Eine flächendeckende Repräsentation von Diversität in den Medien trägt nicht unmaßgeblich zur eigenen Identitätsfindung bei. Sei es das gleichgeschlechtliche Paar in der Lieblingsserie oder die zahlreichen Artikel im „PRIDE“-Magazin, all das führt dazu, dass sich die queere Gemeinschaft erfasst und akzeptiert und vor allem wertgeschätzt fühlt. Denn wie Kai S. Pieck betont, werde die queere Gemeinschaft zwar oft als Minderheit betitelt, „aber sie steht keinesfalls am Rande der Gesellschaft.“ Auch Menschen mit diversen Lebens- und Liebensformen müssen eine mediale Repräsentation genießen und dürfen nicht totgeschwiegen werden. Denn genau das führt wieder zu dem Punkt der äußerst hohen Suizidgefahr von queeren Jugendlichen. Hinsichtlich der Inhalte, die Aspekte der LGBTIQ*-Community zeigen, gilt es, diese transparent und eindeutig zu machen. „Früher konnten Unterhaltungsformen oft nicht konkret als lesbisch oder schwul festgestellt werden“, so Niederleuthner. Auch Pieck bestätigt, dass queere Sichtbarkeit gar nicht als solche wahrgenommen wurde. „Vieles lief über Codes ab oder wurde erst dann registriert, als die Medien über die Homosexualität dieses oder jenes Schauspielers berichteten“ und sich herausstellte, dass der im Film mit einer Frau verheiratete, fürsorgliche Familienvater in Wahrheit homosexuell ist. Für mehr Diversität im Film- und Fernsehmarkt hat sich zuletzt der Streaming-Gigant „Netflix“ ausgesprochen. Die Plattform hat sich demnach verpflichtet, in den kommenden Jahren eine mehrstellige Millionensumme in die Produktion von Inhalten, die unterrepräsentierte Gruppen in den Fokus rücken einfließen zu lassen. Dazu zählt auch die LGBTIQ*-Community, die gemäß der von „Netflix“ in Auftrag gegebenen „Annenberg-Studie“ im Medienbereich noch sehr viel Luft nach oben aufweist. Somit gilt nur zu hoffen, dass auch andere Medienhäuser endlich mehr Mut zur Farbe zeigen.
von Cornelia Plott