Fernsehen beinhaltet für die Zuseher*innen immer eine Mischung aus einerseits Bekanntem, Gewohntem und andererseits Neuem und Innovativem. Während die „ZIB“, der „Tatort“, „Bauer sucht Frau“ oder „Die Barbara Karlich-Show“ für viele Österreicher*innen zu einem unverzichtbaren in Inhalt und Aufbau vertrautem Teil der Alltagsroutine geworden sind, bieten Sendungsformate wie „Tinderreisen“ oder „3 Am Runden Tisch“ Abwechslung und Überraschung. Aber wie entstehen neue Formate? SUMO fragte bei Oliver Svec, Director of Entertainment & License Acquisition beim Sender ATV, und Patricia Pawlicki, Moderatorin und Redakteurin im ORF, über die Abläufe und die Protagonist*innen bei der Formatentwicklung nach.
von Leo Himmelbauer
Grundsätzlich unterscheidet man im Fernsehen zwei Grundformate: Unterhaltung und Information. Es ist anzunehmen, dass im Bereich Unterhaltung mehr Kreativität gefragt ist als im Feld der faktischen Berichterstattung. Aber wie sehen das die Expert*innen?
Das Unterhaltungsformat
Oliver Svec, früher Programmchef bei „Puls 4“, ist jetzt als „Director of Entertainment“ bei „ATV“ zuständig für alle Unterhaltungsformate sowie für „Licence Acquisition“, also den Ankauf von Lizenzen für Film, Serien oder Shows. Während Newsredaktionen unter Zeitdruck recherchieren und senden müssen, steht im Entertainmentsektor mehr Zeit für Entwicklung und Produktion zur Verfügung. In seinem Team hat Oliver Svec fünf Personen, die sich gemeinsam um alle neuen Serien und Unterhaltungsformate und deren Produktion kümmern. Darunter seien Formate, die speziell für „ATV“ entwickelt wurden und viele, die per Lizenz übernommen wurden, die also bereits in ähnlicher Form im internationalen Fernsehen liefen oder laufen. Neue Formate, die kürzlich auf Sendung gingen, sind beispielsweise „Forsthaus Rampensau“ oder „Tinderreisen“. Der Ausstrahlung und Entwicklung neuer Formate gingen im Team intensive Diskussionen voraus.
„Tinderreisen“ wurde ursprünglich von „ATV“ für das Format „ATV die Reportage“ selbst entwickelt. Das ist eine Sendeschiene, unter der zur Primetime Reportagen zu unterschiedlichen Themenfeldern gesendet werden. In „Tinderreisen“ werden Protagonisten*innen zu Dates im Ausland begleitet, was vor allem junge Seher*innen ansprechen soll. Da die Produktion nur einer Sendung zu teuer und aufwendig gewesen wäre, wurden gleich drei Sendungen gedreht, die dann so erfolgreich waren, dass mittlerweile laut Svec jedes Jahr zwölf Folgen pro Staffel entstehen. Die Produktion von Serien und Shows wird aber meist an externe Produktionsfirmen ausgelagert, da das im Normalfall sehr aufwendig ist. „Für ein Produktionsprojekt braucht man viele Leute in einem bestimmten Zeitraum. Diese Zahl an Personen steht in einem regulären Sendebetrieb gar nicht zur Verfügung. Deshalb wird dieser Teil ausgelagert. ATV arbeitet mit sechs bis acht Produktionsfirmen, die alle Formate liefern“, erzählt Svec. Einzelne Serien, die in der Produktion sehr teuer sind, würden auch von mehreren Sendern in Kooperation gemacht. Das ist nicht unüblich in der Branche, mittlerweile arbeiten die Sender auch mit Streaming-Anbietern zusammen. So wurde zum Beispiel „Die Totenfrau“, eine Krimi-Bestsellerverfilmung, die im November 2022 erstmals im ORF ausgestrahlt wurde, von „ORF“ und „Netflix“ koproduziert. SUMO wollte außerdem wissen, ob es auch Sinn macht einem Sender wie „ATV“ als externer, kreativer Kopf Formatideen vorzuschlagen. Dazu meint Svec: „Viele Leute, die mit einer guten Idee kommen, unterschätzen den Aufwand der Umsetzung. Die Hauptschwierigkeit bei Reality-Formaten wie ‚ATV die Reportage‘ oder ‚Bauer sucht Frau‘ ist das Casting der Protagonist*innen. Erst durch diese werden die Formate aber möglich.“ Insofern wäre es am besten die eigene Idee direkt an eine Produktionsfirma zu richten. Im Gegensatz dazu würden Talksendungen, Nachmittagsformate und Informationssendungen inhouse produziert, also von eigenen senderinternen Produktionsteams und Redakteur*innen.
Lizenzerwerb- und Verkauf
Der Bereich Lizenzerwerb ist ein eigener Tätigkeitsbereich, den Oliver Svec bei „ATV“ verantwortet. Österreich selbst ist kein bedeutender Produktionsmarkt. Die Lizenz für „Tinderreisen“ konnte aber kürzlich nach Belgien verkauft werden. Der Großteil der Sendungslizenzen wird in Österreich von großen Distributoren angekauft, die sich speziell auf Lizenzhandel spezialisiert haben. Die „Großen“ unter ihnen heißen „Banijay“, „Freemantle“ oder „Talpa“. Sie verfügen über große Formatkataloge und sind auf den Kauf und Verkauf von Formatlizenzen spezialisiert. Die Kosten für eine Lizenz berechnen sich laut Svec folgendermaßen: „Eine Lizenz für ein Format sind üblicherweise fünf bis acht Prozent von den Produktionskosten. So zahlt man zum Beispiel bei Produktionskosten von 50.000 Euro einer Folge 2.500 bis 3.000 Euro an Lizenzgebühren.“
Aber wie wird sich die Fernsehlandschaft nach Meinung von Oliver Svec künftig entwickeln? Hat das klassische Fernsehen überhaupt eine Zukunft? Es gäbe laut Svec zwar Veränderungen, schon in den letzten Jahren wäre es zu einer Verlagerung von Show-Formaten zu Reality-TV-Formaten gekommen, ferngesehen würde aber weiterhin. In den USA boomen derzeit Quizsendungen, die hierzulande noch weniger gezeigt werden. Manche großen Kanäle wie „RTL“ produzierten Formate auch nur für Streaming-Apps wie das Abo-pflichtige „RTL+“. Diese Tendenz werde vielleicht zunehmen, ist aber in Österreich aufgrund der Kleinheit des Marktes noch Zukunftsmusik, sagt Svec. Die aktive und interaktive Teilnahme von Seher*innen sei und bleibe im klassischen Fernsehen schwierig, weil die meisten Formate vorproduziert werden. Social Media würde aber sehr wohl als Werbe- und Austauschmedium genutzt. Wie immer die Zukunft für das klassische Fernsehen aussehen wird, es braucht kreative Köpfe für die Weiterentwicklung. Doch wie gelangen Interessierte in diesen Bereich? Laut Oliver Svec gäbe es keine klassische Ausbildung für den Entertainment-Bereich. Die meisten hier Tätigen haben mit unterschiedlichen Jobs bei Produktionsfirmen begonnen und wachsen dort weiter. Als wichtige Voraussetzung sieht Svec die Fähigkeit mit verschiedensten Menschen gut umgehen zu können. Das ist wohl eine Eigenschaft, die auch Moderator*innen von politischen Talkformaten zwingend brauchen.
Raum für Innovation im Info-Segment?
Patricia Pawlicki ist Redakteurin und Moderatorin beim ORF. Sie hat in ihrer 30-jährigen Laufbahn schon verschiedenste Informationsformate gestaltet und moderiert. Pawlicki startete ihre berufliche Karriere parallel zu einem Studium der Politikwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft als Regieassistentin beim „ORF“. Sie arbeitete als Korrespondentin in Berlin, sammelte erste Erfahrungen bei „3Sat“ und hatte ihren ersten Moderationsjob beim ORF in der Sendung „Treffpunkt Kultur“. Danach moderierte sie unter anderem die Politsendung „Inlandsreport“, die Parlamentssendung „Hohes Haus“ und den „Runden Tisch“, eine politische Diskussionssendung. Aktuell moderiert sie die Sendung „Weltjournal“ auf „ORF 2“ und die Sendung „3 Am Runden Tisch“, eine Talkrunde zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Wie beurteilt Pawlicki die Wichtigkeit von Kreativität und Innovation im Informationsformat? Die Hauptaufgabe von Journalist*innen in Newsformaten wäre gründliche und umfangreiche Recherche. „Das schließt aber Kreativität nicht aus. Sie ist einer der wichtigsten Motoren von Journalismus, denn nur wer kreativ denken will, wird neue Fragen finden und neue Zugänge zu Themen entwickeln können“, betont Pawlicki. Das Sendungsformat „3 Am Runden Tisch“ wurde beispielsweise von Patricia Pawlicki selbst entwickelt. „Meine Ausgangsidee war eine Sendung, in der den Gästen mehr Zeit und Raum gegeben wird. Ich wollte kein Format machen, wo die eingeladenen Expert*innen nach der Reihe abgefragt werden, sondern konstruktiven Journalismus bieten. Es sollen auch die Gäste in eine Diskussion gebracht werden, anstatt dass von der Moderatorin allein die Fragen gestellt werden“, schildert Pawlicki die initiale Idee zur Sendung. Auch für die Kameraführung wurden bei „3 Am Runden Tisch“ neue Wege gesucht. Es gibt beispielsweise eine Kamera, die die Vogelperspektive einnimmt. Die Sendung ist nur 30 Minuten lang, also recht kurzgehalten, was den neuen Seher*innengewohnheiten entspräche. Es ist immer ein gewisses Risiko, neue Sendungsformate auszuprobieren und auszustrahlen, vermutet SUMO und so ist Patricia Pawlicki sehr froh und dankbar, dass ihre Chefs das Potenzial dieser Sendung erkannten, die Sendung ermöglichten und diese seit zwei Jahren erfolgreich ausgestrahlt wird. Die Gästeauswahl trifft Patricia Pawlicki in Teamarbeit mit ihrer Redaktionsleiterin Barbara Wolf, die seit vielen Jahren auch für die Sendung „Im Zentrum“ tätig ist.
Raum für Kreativität und Innovation gibt es also auch im Informationsformat, denn diese würden hauptsächlich „inhouse“. Was aber rät Patricia Pawlicki Newcomer*innen, die in diesem Bereich Fuß fassen wollen? Sie findet es großartig, wenn sich junge Studierende für die Bereiche Politik, News und Information interessieren, denn gerade in Zeiten von News-Channels und Social Media würde es immer wichtiger, dass fundierter Journalismus stattfindet. Ihr Appell an Interessierte im Bereich Information: „Bleibt kritisch. Schaut euch, wenn möglich, viele verschiedene Medien an. Geht ins Ausland. Versucht zumindest drei Sprachen gut zu können und haltet euch immer an die Regel: check-recheck-double check.“
Das Resümee von SUMO: So unterschiedlich die Formate Unterhaltung und News auch dem Wesen nach sind, Kreativität und Innovationsgeist sind dort und da gefragt.