Kugeln fliegen auf dich zu, eine kalte Brise bläst dir in den Nacken, Schweißperlen bilden sich auf deiner Stirn, es schüttelt dich von links nach rechts, die Blitze schlagen neben dir ein. Solche Effekte werden in manchen Kinosälen angewandt, um szenische Inhalte in Filmen von der Leinwand zu holen und in den Saal hineinzubringen. Kinos mit den neuesten technischen Entwicklungen, wie IMAX oder 5D-Kinos, bieten den Besucher*innen spannende Erlebnisse. Die Technik hat sich in den letzten Jahren immens verändert und weiterentwickelt und damit auch die Filmbranche. SUMO sprach mit dem Kommunikationswissenschafter und Kurator der Ausstellung „medien.welten“ im Technischen Museum Wien Wolfgang Pensold und dem Metropol-Geschäftsführer Mario Hueber über technische Entwicklungen im Kino und deren Einflüsse auf die Kreativität der Kinofilme.
Von Luise Kopeszki
Daumenkinos kennen wir alle aus unserer Kindheit. Wenn man die einzelnen Bilder ganz schnell durchblättert, entsteht der Eindruck, als ob sich das Bild bewegt. Im Grunde genommen sieht man hier den ersten Schritt in der Filmgeschichte auf dem Weg zu Blockbustern wie „Avatar“. Im 18. Jahrhundert fing alles an, die Illusion von Bewegtbildern, geschaffen durch die Aneinanderreihung von Fotos. Im Laufe der Jahrzehnte wurde dann eine Tonspur mit den Bildern verbunden – der Tonfilm war geboren. Später kamen dann neue Erfindungen wie der Farbfilm, um die Jahrtausendwende Animationen fiktionaler Charaktere und die 3D-Technologie.
Wie alles begann
Wolfgang Pensold erzählt, dass zu Beginn der Entstehungsgeschichte des Films das Ziel der Menschen war die Realität immer authentischer auf der Leinwand abzubilden. „Man wollte die Illusion erschaffen, dass die Menschen, die im Publikum sitzen, bei den gezeigten Geschehnissen selbst mit dabei waren und das Ereignis, das gezeigt wurde, wie live miterleben. Wenn wir das mit der Technik in Kinosälen heute vergleichen, sehen wir bei 3D, 4D oder 5D die genau gleichen Ansätze und Ideen“, so der Kommunikationswissenschafter und Ausstellungskurator im technischen Museum. Wirft man einen Blick zurück in der Geschichte, ist zu erkennen, dass man schon früh versuchte technische Innovationen in Filmen anzuwenden (entsprechend der Evolution im Bereich dieser, auszubreiten und verschiedene Dimensionen mit in den Film einzubauen). Für gegenwärtige Kinorezipient*innen sind technische Gadgets wie die 3D-Brille neben dem Popcorn fast Standardausrüstung. Zu einem 5D-Kino, welches einzigartige Erlebnisse bietet, gehören meist ein Regenmantel oder Gummistiefel. Durch die eingesetzten Effekte will man möglichst viele Sinne der Zuseher*innen beanspruchen. Blitz und Donner oder gar ein Erdbeben können simuliert werden, was zu einem, im wahrsten Sinne des Wortes, mitreißenden Kinoerlebnis führt. Dazu stellt man sich die Frage: Was macht das mit der Kreativität der Filme selbst?
Möglichkeiten und Herausforderungen von neuen Techniken für Filmemacher*innen
Die Versuchung ist groß, dass alle verfügbaren Mittel genutzt und künstliche Effekte so oft wie möglich angewandt werden. Wenn man allerdings die Handlung der Filme nicht aus dem Blick verlieren möchte, muss evaluiert werden, ob diese Spezialeffekte eine Unterstützung oder eine Behinderung der Geschichte sind. Pensold meint, dass sehr wohl neue Möglichkeiten zur kreativen Gestaltung geboten sind und solche Effekte in der richtigen Dosierung den Nervenkitzel erhöhen. Dadurch können die Zuseher*innen in die Vision der Produzent*innen eintauchen und diese mit allen Sinnen wahrnehmen. „Durch die technischen Entwicklungen haben Filmschaffende neue kreative Möglichkeiten“, meint auch Mario Hueber. Er ist Geschäftsführer des Hollywood Megaplex Kinos, welches in Sachen Technik in Kinosälen auf dem neuesten Stand ist. In diesen sind verschiedene Techniken eingebaut wie die IMAX-Technik, welche sich auf die Kameratechnik bezieht, 4DX, wobei einige Effekte in den Kinosälen angewandt werden, und Kinosäle mit einer 270 Grad Bildfläche.
Andererseits muss man beachten, dass auch wenn die Produzent*innen der Filme eine einfallsreiche Idee zur Anwendung von 5D-Effekten bei ihren Projekten eingefügt haben, es nicht viele Säle gibt, die mit dem entsprechenden kostspieligen Equipment ausgestattet sind. Dadurch kann es nicht zu einer Vereinheitlichung der Kinos auf internationaler Ebene kommen, wodurch der Markt für derartige Produktionen gering ist. Aufgrund dessen machen sich nicht viele Firmen die Mühe überhaupt mit den Effekten zu experimentieren, denn nur eine kleine Personengruppe hat Zugang zu entsprechenden Spielstätten. Laut einer Statistik der österreichischen Wirtschaftskammer gibt es in Österreich 138 Kinos mit 565 Sälen, davon sind 346 in der Lage 3D-Filme abzuspielen, jedoch keine 5D-Kinos. Außerdem wird durch alle zusätzlichen Elemente die Magie der Bilderwelten durch zusätzliche Reize in gewissem Maß verringert, wie Pensold erörtert. Es braucht die richtige Dosis an Effekten zur richtigen Rührung der Zuseher*innen, ansonsten kann es passieren, dass die Sinne der Zuseher*innen so überflutet werden, dass sie die wünschenswerten Reize gar nicht mehr registrieren oder schlimmer noch, durch das Antizipieren von extravaganten Tricks gar nicht auf die Handlung des Films geachtet wird. Leidet durch diese Fokuslenkung nicht die Kreativität der Filme? Aus einer künstlerischen Sicht muss man sich eingestehen, dass nicht jedes Filmgenre durch verrückte Techniken unterstützt werden kann. In nicht jedem Film gibt es Szenen, bei denen das Wackeln der Sitze oder simulierter Donner zum Erlebnis beiträgt. Oft wird Totenstille im Kinosaal als Stilmittel von den Produzent*innen antizipiert. Zusätzliche Effekte könnten hierbei die erwünschte Reaktion zerstören. Pensold erklärt, dass dezent angewandte Effekte durchaus interessant seien, vor allem auf Seiten der Produzent*innen, die sich mit diesen spielen und neue Ideen ausprobieren können. Wie profitabel die Techniken dann sind, liegt an den Zuseher*innen, die die Filme rezipieren und sich eine Meinung zu diesen bilden.
Die Rolle der Gesellschaft
Ob Kinos mit ausgefallener Technik der Renner sind oder ein totaler Flop, hängt teils auch von der Kultur der Kinogeher*innen ab, denn weltweit sind die Menschen unterschiedliche Arten von Unterhaltung gewohnt. Mit dieser Art von Entertainment hängt ein gewisses Maß an Adrenalinausstoß zusammen. „Die ‚Digital Natives‘ sind totale Adrenalin-Junkies. Immer wenn sie ihre Social Media Kanäle aufrufen, sehen sie den nächsten lebensgefährlichen Stunt oder krassen Skandal – und das in 20 Sekunden-Videos“, so Pensold. Es ist also eine Frage der Nachfrage selbst und der Besucher*innen, die Filme mit solch technischen Besonderheiten rezipieren wollen. Feststeht, dass die Kinosäle ein Erlebnis bieten, das nicht leicht nachgeahmt werden kann, schon gar nicht auf der Couch und mit Streamingdiensten zu Hause. Der Meinung ist auch Hueber: „Streaming ist ein großer Konkurrent von uns, allerdings bieten Kinos mehr und sind einfach besser, auch wegen der spannenden Technologien. Durch unsere Premiumformate kosten dann die Tickets auch ein wenig mehr, aber unsere Kund*innen wissen: Zahle ich mehr, bekomme ich mehr. Die besonders Filmaffinen meinen auch, die großen Blockbuster muss man im Kino, im IMAX-Format, gesehen haben.“ Weiters erklärt der Kinobetreiber, dass Österreichs Kinobesucher*innen weniger am Preis der Tickets interessiert seien, sondern mehr an der Leistung, die sie für ihre Zeit bekommen. Die angebotenen Premiumformate, die in Österreich sehr gut funktionieren, verwandeln den Ausflug ins Kino in ein Erlebnis. Außerdem wählt die Mehrheit bewusst Filmvorstellungen mit außergewöhnlichen Technologien. In einem internationalen Vergleich kommen neue technische Entwicklungen in Kinosälen bei den Österreicher*innen besonders gut an. So gut, dass der Kinobetreiber auf jeden Fall bereit wäre seine Kinosäle entsprechend neuer Technik umzubauen.
Der Kampf zwischen Kreativität und Technologie
Zu Beginn wurde geschildert, wie in den frühen Entwicklungen nach realitätsnahen Darstellungen in Kinosälen gestrebt wurde. Nach Jahrhunderten ist man hierbei fast in der Lage tatsächlich in einen Film einzutauchen. Die 5D-Technologien bieten aktuell, von einem technischen Standpunkt aus, noch nicht die bestmöglichen Effekte, da diese noch ausgebaut und neue Entwicklungen in der Zukunft vorgestellt werden müssen. Die Nutzung der technischen Möglichkeiten, welche derzeit verfügbar sind, ist also als sehr innovativ einzustufen, denn: Einerseits haben wenige Rezipient*innen bisher so eine Technik kennen lernen dürfen, andererseits gibt es nicht viele Produzent*innen, der Zugriff auf die nötigen Ressourcen, wie Budget oder entsprechend ausgestattete Kinosäle, haben. „Es stellt sich auch die Frage der Nachfrage“, merkt Pensold an. Er erklärt, dass jede*r Zuseher*in in unterschiedlichem Ausmaß in eine Geschichte eintauchen möchte, wobei einem die Technik diese Entscheidung gewissermaßen abnimmt. Dadurch gibt es weniger Freiraum für die eigenen Emotionen, welche Zuseher*innen im Laufe eines Filmes selbst fühlen, wenn diese durch die sinnlichen Reize überlagert werden. Auch Huebers Prognose geht in diese Richtung: „Das klassische Kino ohne besondere Effekte ist durch neue Technologien nicht zu verdrängen. Der erzählerische Einfallsreichtum der Produzent*innen wird immer Dreh und Angelpunkt bleiben.“