„Schweden hatte Minecraft.“ Was hat Österreich? Die österreichischen Videospielentwickler*innen tüfteln fleißig an neuen Projekten und trotzdem wissen viele Österreicher*innen davon kaum etwas. Wie schaffen es kleine, österreichische Spielentwickler*innen Aufmerksamkeit zu erhalten und Erfolge zu feiern? Welche Rolle spielt Kreativität in diesen Bereichen? Inwiefern fördert Österreich seine Developer und wo scheitern diese? Um ein besseres Verständnis für die kreative Branche der Videospiele in Österreich zu erlangen, sprach SUMO mit Dietmar Hauser, Programmierer und Vorsitzender des Verbandes „pioneers of game development austria“, kurz „PGDA“, und Martin Filipp, COO und Geschäftsführer beim österreichischen Spieleentwickler „„Mi’pu’mi Games“.
Von Lennart Kasamas
Videospiele begeistern immer mehr Menschen in Österreich und global. Nach einer Studie des deutschen Marktforschungsinstituts „GfK“ spielten in Österreich im Vorjahr rund 5,3 Millionen Menschen Videospiele. Durch die Arbeit der großen und internationalen Publisher „Ubisoft“, „Activision Blizzard“ oder „EA“, welche jährlich mehrere Projekte veröffentlichen, gehen österreichische Entwickler*innen und deren Produktionen unter. Wie schafft man es als Entwickler*in aus dem kleinen Videospiel-Land Österreich international konkurrenzfähig zu sein und welche Rolle spielt Kreativität hier?
Was bedeutet Indie?
Wenn man von österreichischen Developers, auf Deutsch Entwickler*innen, spricht, stößt man auf den Begriff „Indie“. Laut der Definition der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) steht „Indie“ als Kurzform für „Independent Development“. Übersetzt bedeutet das unabhängige Entwicklung. Man spricht hier von Entwicklerstudios, welche nicht mit den Finanzierungsmöglichkeiten der großen Publisher, auf Deutsch Veröffentlicher, wie „Sony“ oder „Nintendo“, ausgestattet sind. Das Refinanzieren neuer Projekte durch den Erfolg vorangehender Spiele ist für Dietmar Hauser eine Definition von Unabhängigkeit. Mit relativ geringer finanzieller Sicherheit ist die Toleranz bei Fehlern der Entwickler*innen marginal und nur ein einziger Fehltritt kann unter Umständen das Aus für das Indie-Studio bedeuten. Dieses Risiko lässt sich mit einem starken „Player 2“ eingrenzen. Laut Dietmar Hauser lässt sich mit einem finanziell sicher aufgestellten Publisher an der Seite, welcher auch unrentable Spiele tragen kann, der Schwierigkeitsgrad am Videospielmarkt reduzieren. Publisher können Liquiditätslücken des Developers auffangen und das Überleben des kleinen Studios sichern. Da Publisher in erster Linie allerdings auf kommerziellen Erfolg aus sind, könnte dadurch die Freiheit der Entwicklerstudios eingeschränkt werden.
Kreativität: Vom kleinsten Baustein bis zur fesselnden Geschichte
Bezüglich der Arbeit einzelner Entwickler*innen führt Hauser aus: „Das Interessante an der Spieleentwicklung ist, dass üblicherweise das Motiv des Geldverdienens nicht an der ersten Rolle steht, sondern dass Leute einen gewissen Drang haben, sich kreativ zu verwirklichen.“ Das faszinierende an Videospielen ist, dass Kreativität in jedem Einzelteil steckt. Auch im Code, welcher nur aus Text besteht. Martin Filipp beschreibt den Umgang mit Code nicht weniger kreativ als andere Schaffungsprozesse eines Videospieles. Neue Features eines Spieles würden die Gefahr bergen einen Fehler im Code hervorzurufen. Um die Kompatibilität zwischen Code und Features zu garantieren, braucht es laut Filipp ebenso kreative Denkweisen. Der kreative Umgang mit Code ist für alle Spieleentwickler eine wichtige Kompetenz. Doch welche kreativen Prozesse verhelfen einem Indie-Game zu Erfolg? Filipp spricht hierbei von Geschichten, welche von der „Hollywoodisierung“ der Videospielbranche abweichen. „Wir als ‚Mi’pu’mi‘ würden kein Spiel machen, in dem ein Testosteron bepackter Kämpfer mit einer großen Waffe durch das Bild läuft und irgendwelche Gegner umbringt.“ Die hauseigenen Produktionen von „Mi’pu’mi“ würden immer etwas Spezielles suchen, um Spiele als Medium voranzutreiben.
Die Geschichte ist oftmals der wesentliche Grund dafür, dass sich Konsument*innen für ein Videospiel entscheiden. Hier versuchen kleinere Studios von Entwickler*innen ihr Glück zu finden. „Für mich ist es wichtig geworden eine vernünftige Begründung zu haben, warum mich ein Spiel vor dem Bildschirm festhält. Das ist für mich, ähnlich wie bei einem guten Buch, eine gute Geschichte“, erzählt Filipp. Ein Vorteil der Indie-Developer im Bereich der Kreativität ihrer Produkte liegt in der Risikobereitschaft und der schnellen Anpassung an den Markt. Dadurch sind Indie-Entwickler*innen in der Ideenfindung innovativer. Dietmar Hauser geht hier noch einen Schritt weiter und führt aus, dass für den finanziellen Erfolg der großen internationalen Publisher Kreativität nicht unbedingt erstrangig sei. Das Marketing rund um etablierte Serien ist ausschlaggebender, um den kommerziellen Erfolg zu gewährleisten und die Serie am Leben zu erhalten. Den Indie-Entwickler*innen ist es bewusst, dass sie mit ihren innovativen Spielansätzen nicht im Mainstream der internationalen Konkurrenz und deren wirtschaftlichen Supermächten mithalten können. Daher suchen sie sich bewusst kleine Developer Nischen in der Gaming-Landschaft, in denen sie mehr Leute mit innovativen Geschichten, Erzählformen und Spielmechaniken erreichen, als es ihnen am Markt der Mainstream Games möglich ist. Dazu ergänzt Dietmar Hauser: „Kreativität kommt auch ins Spiel, um zwischen den etablierten Märkten die Nische zu finden, wo man sich, trotz bescheidener Mittel, behaupten kann.“ Zur Illustration dessen bedient sich Hauser der Metapher des „Red Ocean“ und des „Blue Ocean“. Der „Red Ocean“ ist das Haifischbecken, in welches man sich als Entwickler*in nur reintrauen sollte, wenn man den entsprechenden Schutz in Form von Geld oder der Unterstützung eines dominierenden Publishers hat. Der „Red Ocean“ ist für die Indie-Developer daher zumeist keine Option. Viel eher betreten diese den „Blue Ocean“, welcher voller unangetasteter Ideen ist und auf kreative Umsetzungen wartet. Diese innovativen und kreativen Ideen sind als Nische für den finanziellen Erfolg der Indie-Entwickler im „Blue Ocean“ zu haben. Finanzieller Erfolg rein durch Kreativität ist also möglich und bildet so das Alleinstellungsmerkmal der unabhängigen Entwickler*innen.
Förderungen in Österreich
Durch seine Tätigkeit beim gemeinnützigen Verband „PGDA“ hat Hauser auch einen genauen Einblick in die Förderung österreichischer Developer. Der Verein macht es sich zur Aufgabe die Gaming-Branche Österreichs beim Wachstum zu unterstützen. So werden Fortbildungen angeboten, an Ausbildungsstätten Vorträge gehalten, österreichische Studios mit internationalen Kontakten versorgt und Gespräche mit der Politik geführt. Auf das Thema Förderungen von Staat und Politik angesprochen, reagieren Filipp und Hauser vorsichtig optimistisch. Zuallererst ist es schön, dass die Szene der Videospielentwicklung überhaupt in Österreich vorhanden ist. Vor allem da die Förderungen der Politik in diesem Bereich nur träge voranschreiten würden. Dietmar Hauser erklärt: „Wenn es um politische Sachen geht, dann ist eher frustrierend, dass die Geschwindigkeit, mit der Dinge passieren, sehr gediegen ist.“ Es komme zwar zu Absprachen und Plänen, die Durchführung würde aber oft mehrere Jahre dauern, da die Förderungen zuerst mit den Plänen der politischen Partnern übereinstimmen müssen.
Ein weiterer Grund für ausbleibende, vielversprechende Weiterentwicklung der Gaming-Branche in Österreich ist das fehlende Interesse an Investitionen. Dietmar Hauser sieht die Gründe unteranderem in fehlender Attraktivität für Investor*innen. Länder wie Finnland würden es mit einem staatseigenen Gaming-Fond Investor*innen schmackhaft machen in den Markt zu investieren. Es handelt sich hierbei um einen Topf, in den der Staat und einzelne Investoren*innen einzahlen. Mit diesem Geld können die heimischen Videospielstudios finanziell unterstützt werden, wachsen infolgedessen und können so tolle Projekte auf die Beine stellen. Erfolgreiche Spiele refinanzieren den Fond und Investor*innen profitieren von Renditen. So sind diese Investitionen für alle Parteien wertvoll und es kommt zu einem gemeinsamen Wachstum. Nach Österreich hat es dieses Modell jedoch noch nicht geschafft.
Was hält die Zukunft bereit?
Auf die Zukunft angesprochen, mahnen die beiden Experten zu Demut. Interesse an neuem Content und Spielen wird wohl immer vorhanden sein. Die Gaming-Branche hat im Gegensatz zu vielen anderen in der Corona-Krise profitiert und deshalb sollten andere wirtschaftliche Entwicklungen nicht übersehen werden. Laut Dietmar Hauser wird sich das Wachstum der Branche durch die gesamtwirtschaftliche Rezession aus den letzten Monaten und Jahren einschränken. „PGDA“ hat trotzdem Hoffnungen in weiteres Wachstum der österreichischen Spielelandschaft. So wurde nicht nur eine Spielemesse für österreichische Developer als Ziel formuliert, sondern auch die Schaffung eines „Business Accelerator“, welcher österreichische Developer unterstützt und große Projekte finanziert.
Game On für jeden
Zum Schluss hält Filipp fest, dass es im österreichischen Videospielsektor im Gegensatz zur internationalen Branche Sicherheit gibt. „Sicherheit für jeglichen Charakter. Wer auch immer man ist, man ist in der Spielebranche immer willkommen. Ob das Mann, Frau oder Non-Binär ist. Was auch immer man machen möchte, man muss sich in der Spielebranche, zumindest in Österreich, nicht verstellen und kann sein wer man sein möchte und seine Kreativität umsetzen und in Produkten verwirklichen.“