Pornografie – Wo die Grenze zwischen Kommerzialisierung und Kreativität verschwimmt

Sex sells: Während die bekannte Streaming-Plattform „Pornhub“ vor etwa zehn Jahren noch 14,7 Milliarden Seitenaufrufe verzeichnete, wurde sie im Jahr 2019 ganze 42 Milliarden Mal besucht. Die Nachfrage steigt: Pornos werden wie am Fließband produziert und rasend schnell verbreitet. Frage nach schönen und kreativen Handlungen, abwechslungsreichen Settings und Geschichten scheinen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Doch ist Kreativität in der heutigen Sexindustrie überhaupt noch möglich? Inwiefern hat die Kommerzialisierung negativen Einfluss auf die kreativen und künstlerischen Aspekte der Porno-Industrie? Um das herauszufinden, sprach SUMO mit der Künstlerin und Filmemacherin Jasmin Hagendorfer und dem Festivalleiter des Porno Film Festivals Vienna und Menschenrechtsaktivisten Yavuz Kurtulmus. 

von Magdalena Grunt

Stellenwert von Kreativität 

„Es geht heute hauptsächlich darum, relativ schnell viel zu produzieren. Während in den 70er und 80er Jahren Pornos noch aufwändige Drehbücher beinhalteten, geht es heute überwiegend um die schnelle Produktion. Je kürzer und prägnanter die Videos sind, desto einfacher ist es sie zu vermarkten“, erzählt Jasmin Hagendorfer. Die freischaffende Künstlerin, Kuratorin und Filmemacherin meint die Kreativität in der Sexindustrie habe sich vor allem durch die neue digitale Medienwelt stark gewandelt. Früher fand sich die Kreativität in der Pornografie vor allem darin erotische Geschichten und Drehbücher zu schreiben und das Setting eines Pornos möglichst fantasievoll und künstlerisch zu gestalten. „Heutzutage kommt es weniger auf die Inhalte an, sondern mehr darauf kreative sowie innovative Wege zu finden, sich zu vermarkten und aus der breiten Masse hervorzustechen. Ob der Film gut oder schlecht ist, ist mittlerweile sekundär“, erzählt Yavuz Kurtulmus. 

Pornoboom 

Innerhalb von 0,3 Sekunden spuckt die Suchmaschine Google 2,9 Milliarden Ergebnisse für den Begriff „Porno“ aus. Die ersten drei Treffer sind „Pornhub“, „xnxx“ und „Pornogrund“. Drei Streaming- Plattformen, die überwiegend kostenlose Sexvideos zur Verfügung stellen. Sie lassen unterschiedliche, zum Teil sehr bedenkliche Werbungen zu, um so viel Profit wie möglich zu machen. Pornos, hinter denen professionelle Produktionsfirmen mit kommerziellem Motiv stehen, seien nach wie vor sehr weit verbreitet, allerdings würden realitätsnahe Sexfilme und Amateurvideos immer mehr an Beliebtheit gewinnen, so Kurtulmus. Dass die Sexindustrie weitgehend von wirtschaftlichen Interessen bestimmt wird und dahinter fast ausschließlich das Bestreben der Kapitalist*innen steckt, immer höhere Gewinne zu erzielen, ist keine Neuigkeit. Unter Verwendung vereinfachter, sexistischer und veralteter Vorstellungen von binären Geschlechtern und Rollen gedeiht Pornografie, wenn sie verschiedene sexuelle Handlungen nach Gewinn kategorisiert, oft rassistisch sowie sexistisch. Zudem finden Vielfalt und Diversität in der breiten Masse kaum Darstellung, ebenso wenig wie respektvolle, positive Sexualität, wie die Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt bereits im Jahr 2012 in ihrem Buch „Frauenkörper neu gesehen“ schrieb. 

Neue Trends 

Langsam jedoch transformiert sich die Sexindustrie. Die Amateur-Pornografie, die von Amateur*innen ohne Produktionsfirmen und großartigem Equipment einfach zuhause produziert werden kann, verbreitet sich immer mehr. Ermöglicht wird dies durch neue digitale Plattformen wie beispielsweise „OnlyFans“. Darsteller*innen wird dadurch die Gelegenheit geboten autonomer und selbstbestimmter zu arbeiten und dadurch Sexualität realitätsnaher abzubilden. Durch neue Trends wie „OnlyFans“ scheinen die Regeln der etablierten Sexindustrie also stark verändert zu werden. Zudem etablierte sich in den letzten Jahren der Trend der „alternativen Pornografie“. Diese richtet sich an alle Geschlechter, aber vor allem an jene, die „Body Positivity“ und „LGBTQAI+“-Vielfalt feiern und queer-feministische Ansprüche verfolgen. In dieser Art der Pornografie werden die Filme überwiegend ethisch korrekt produziert. Diese nehmen es sich unter anderem zur Aufgabe sich von toxisch-maskulinen Klischees in der Industrie loszulösen und patriarchale Strukturen aufzubrechen. In neuen Pornobewegungen, die in der Mehrheitsgesellschaft noch nicht vollständig angekommen sind, sei umso mehr Kreativität in Sachen Marketing und Sales gefragt, so Yavuz Kurtulmus. 

Er sei beeindruckt, welche innovativen Wege vor allem die neue Generation findet ihr Material zu verkaufen und es crossmedial zu vermarkten. „Früher war es ‚Tumblr‘, heute gibt es ‚OnlyFans‘ und laufend neue Plattformen. Da ist es mittlerweile echt schwer mitzuhalten, vor allem in unserer Generation“, so Jasmin Hagendorfer. 

Das ist Tabu – Enttabuisierung und Gesellschaft 

„Obwohl wir eigentlich in einer ‚nach außen offenen Gesellschaft‘ leben, wo in unzähligen Magazinen tausend halbnackte, überwiegend Frauenkörper abgebildet sind und wo in fast jedem Film eine Sexszene mit dabei ist, ist Sex nach wie vor total tabuisiert. Besonders bemerkbar macht sich dies, sobald man detaillierter darüber sprechen möchte und weg von Hochglanz und den schönen Dingen hin zu Realismus geht. Leider gibt es noch so viele Tabus, die aufgebrochen werden müssen”, erzählt Jasmin Hagendorfer. 

Yavuz Kurtulmus schildert die Erfahrungen, die er bei Aufklärungsworkshops gemacht hat. Er habe genug Schulklassen unterrichtet, wo die Lehrer*innen viel konservativer als die Kinder waren. Teilweise haben sie die Klasse verlassen, als er anfing offen über Sexualität zu sprechen, weil sie das nicht hören wollten. Wenn das eine Autoritätsperson mache, dann hätten die Kinder umso mehr das Gefühl, dass es sich bei Sex um ein Tabuthema handle, was extrem kontraproduktiv sei. Durch die Kommerzialisierung und die Schnelllebigkeit werden vor allem Jugendliche zum Thema Sexualität mit Informationen überschwemmt. Da muss noch sehr viel passieren. Es müssen immer kreativere Wege gefunden werden Jugendliche aufzuklären. Wir müssen die reale Sexualität viel offener leben und ihr mit mehr Aufgeschlossenheit und Aufklärung begegnen. Auch wenn es in die richtige Richtung geht, ist alles noch sehr konservativ. Die Mehrheitsgesellschaft braucht noch einen ordentlichen Anstupser.