Schulbücher – Zwischen Kreativität und Verwaltungsbürokratie

Das Gefühl eines Schulbuch-befüllten Rucksacks, der auf dem Nachhauseweg nach dem Unterricht schwer die Schultern hinunterbaumelte, kennt jede*r. Doch für besonders aufregend halten Schüler*innen ihre Schulbücher oft weniger. Liegt es an der kreativen Aufbereitung? Oder den Richtlinien, die diese vorgeben? Genau dieser Frage ist SUMO nachgegangen und hat deshalb die Schulbuchautorin Susanne Gratzer und den Geschäftsführer des „Hölzel“ Schulbuchverlags Lukas Birsak befragt. 

von Sabrina Karić

Laut dem österreichischen Bundeskanzleramt (BKA) wurden im Schuljahr 2019/20 rund 110 Millionen Euro für die Schulbuchaktion ausgegeben. Die Schulbuchaktion findet sich im Familienlastenausgleichsgesetz und besagt, „Alle Schülerinnen und Schüler, die im Inland eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Privatschule besuchen, haben Anspruch auf die Bereitstellung unentgeltlicher Schulbücher im Ausmaß des Schulbuchbudgets.“ Die von dem damaligen Bundesminister für Unterricht und Kunst, Fred Sinowatz, einberufene Aktion dient seit 50 Jahren dazu Eltern finanziell zu entlasten und eine Chancengleichheit für die Ausbildungswege von Schulkindern zu schaffen. Hierbei bilden das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) die Träger des Ganzen. Dabei ist das BKA für die Organisation, den Ablauf und die Finanzierung der Schulbuchaktion zuständig, während das BMBWF die pädagogischen Angelegenheiten, didaktischen Richtlinien und Lehrplanerfordernisse koordiniert. Es handelt sich hier demnach um viele Verwaltungsbeamt*innen, die in diesen Hergang eingebunden sind und dieser mutet den Beschreibungen des BKA zufolge nicht einfach an: Jährlich legt das BKA im Einvernehmen mit dem BMBWF die Grundlage für das Schulbuchbudget fest. Man unterscheidet hierbei zwischen den verschiedenen Schulformen. Es entstehen sogenannte Schulbuchlimits, die den Schulen anschließend mitgeteilt werden. Diesen steht dann in allen 32 österreichischen Schulformen eine Schulbuchliste mit über 8.000 Buchtiteln für alle Unterrichtsgegenstände zur Verfügung. Aus dieser Liste erfolgen die Bestellungen der Bücher im Rahmen des Budgets, das sich aus dem festgelegten Limit multipliziert mit der Schüler*innenzahl ergibt. Die Finanzierungs- und Distributionsfrage wäre also geklärt, bleibt noch offen, wie die Bücher in die Schulbuchliste gelangen. 

Entstehung eines Schulbuches 

„Das ist alles ein langwieriger Prozess“, fängt Susanne Gratzer an den Werdegang zu schildern. Sie ist Schulbuchautorin und Professorin an einer höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe. Sie schreibt seit 2008 Bücher für den Deutschunterricht und ist Zeugin des Schulbuchwandels der letzten Jahre, in denen sie insgesamt an 17 Schulbüchern beteiligt war. Auf die Frage, wie man denn dazu kommt eine solch spezifische Form von Literatur zu schaffen, erzählt sie, dass sie durch die Empfehlung einer Kollegin zu einem Verlag kam. „Nach einem Probekapitel wurde ich ins Team aufgenommen.“ Schulbücher entstünden generell oft in Teams von Autor*innen. „Bevor ein Schulbuch geschrieben wird, verfassen die beteiligten Autor*innen ein Konzept nach Vorgaben des Lehrplans.“ Der Verlag gibt die Idee anhand des Bedarfes vor. Ist dieses fertig und von allen Parteien genehmigt (Lektorat und Führungsebene des Verlags), schreibt jede*r ein Probekapitel. Somit wird getestet, ob das vorgesehene Konzept funktioniert und anhand dessen kalkuliert der Verlag den Umfang des finalen Werks. „Man muss als Autor*in schauen, dass man den Lehrplan abdeckt und alles auf die vorgegebenen Seiten bekommt. Meistens werden es mehr Seiten als ursprünglich geplant, damit man eine vollständige Lehrplanabdeckung hat“, erzählt Gratzer. Nachdem alle Autor*innen des Teams ihre Kapitel geschrieben haben, kommen diese zum Lektorat. Dort wird die Rechtschreibung, Grammatik, Vollständigkeit nach Lehrplan und Harmonie zwischen den Kapiteln der unterschiedlichen Autor*innen geprüft und anschließend überarbeitet. Dann kommt es zum entschiedenen Schritt in der Entstehung: Das bisherige Werk wird zur Prüfung der Tauglichkeit im Unterricht im Bildungsministerium eingereicht. Dort entscheidet eine Kommission von Gutachter*innen darüber, ob ein Lehrwerk als solches zugelassen wird. Sie formulieren anschießend Veränderungsvorgaben und eine weitere Überarbeitung wird von den Autor*innen vorgenommen. Ist die Kommission des Gutachtens zufrieden, wird das Buch schließlich gedruckt und in die Schulbuchliste aufgenommen. Von der ersten Idee bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Schulkind das Buch in der Hand hält, vergehen mehrere Jahre. 

Kein Platz für Kreativität im Bildungssystem? 

Susanne Gratzer erzählt: „Der Lehrplan bildet das Gerüst, an welches wir uns halten. Durch die Einschränkung der Seitenzahl und das Gutachten, durch welches manche Elemente, die potenziell kreativ wären, oft keinen Platz in den Büchern finden, weil es nun mal Dinge im Lehrplan gibt, die als wichtiger eingestuft werden, ist das manchmal schwer.“ Der Lehrplan und demnach das kommissionelle Gutachten sind strikt darauf ausgelegt, dass man auf die Zentralmatura vorbereitet wird. „Ich finde die Zentralmatura gut. Ich finde es sehr gut, dass allen dieselben Aufgaben gegeben werden, aber ich finde, dass der Zentralmatura einfach zu viel Gewicht gegeben wird.“ Das bremst die kreativen Prozesse im Unterricht und in den Bildungsmedien ein. Sprachspielereien oder spielerische Ansätze zum Lernen werden darum oftmals gestrichen und sind knappes Gut. „Die Zentralmatura, bei der alles relativ streng vorgegeben ist, schafft damit ein Korsett für die Entfaltung der Lernwege, aus dem man theoretisch ausbrechen könnte, aber dafür fehlen dann die Wochenstunden im Unterricht und bei den Büchern ist das auch wieder eine Kostenfrage für die Verlage“, sagt sie. Es gäbe viele kreative Aspekte, die man einbauen könnte, wenn die Möglichkeiten dafür gegeben wären. „Zum Beispiel beim Deutschunterricht. Ich finde, dass dieser generell geteilt gehört, mit einem eigenen Unterrichtsgegenstand ‚Schreibkunst‘. Wie formuliert man gut oder wie kann man seinen Ausdruck verbessern? Ideal wäre es das ‚technische‘ Schreiben und Herunterbeten von Textschemas vom literarischen Schreiben zu entkoppeln. Das ist so etwas, das kommt viel zu kurz im Unterricht und dadurch eben auch bei den Büchern“, schildert sie. Um dem entgegenzuwirken, bräuchte es eine Entrümplung des Lehrplans, mehr Raum und Zeit für Kreativität und weniger vorgegebene Listen, die man stumpf abhaken muss. Ein anderer möglicher, aber durchaus aufwendiger und kostspieliger Ansatz wäre die bürokratischen Schemen im Schulsystem und Bildungsministerium komplett neu aufzuziehen. 

Hinter den Kulissen eines Verlages 

Lukas Birsak ist seit 2015 Geschäftsführer des „Hölzel“ Verlags. In seiner Führungsposition ist er beim Entstehungsprozess hauptsächlich in den Anfängen und ersten Phasen eines Schulbuches involviert. Auch er spricht über das Gutachten des BMBWF. „Es kommen immer neue Kommissionen und diese haben eine innere Dynamik, in die wir sehr wenig hineinsehen können, da wir auch keinen direkten Kontakt mit den Gutachter*innen haben.“ Er berichtet davon, dass während des Gutachtens kein Austausch stattfindet. Dem Verlag lege dann schlussendlich nur ein Kommissionsgutachten vor, zu dem man ausschließlich schriftlich Stellung nehmen könne. Die Möglichkeit für Nachfragen oder Rückfragen bleibe hierbei aus. „Es macht den Prozess zum Teil sehr mühsam, weil man manchmal einfach im Nebel herumstochert.“ Er erzählt von einer schwankenden Qualität der Rückmeldungen aus dem Bildungsministerium. Manchmal sei sehr klar formuliert, was gefragt ist, und manchmal aber sei nicht genau ersichtlich, was nun gewünscht wird. Die Devise lautet: Viel Kritik, wenige konkrete Verbesserungsvorschläge. 

Durch die jahrelange Erfahrung weiß der Verlag in der Regel mit dem Lehrplan und den rechtlichen Rahmenbedingungen umzugehen. „Was wir aber natürlich nicht wissen können, besonders bei neuen Lehrplänen, ist, wie die Approbationsgutachten ausfallen. Da erlebt man schon manchmal seine Überraschungen.“ An Ideen und neuen Ansätzen würde es nicht mangeln. „Aber oftmals sind Gutachter*innen nicht interessiert an einer großen Vielfalt an Schulbüchern. Die Bücher sollen eher alle gleich ausschauen“, erzählt er. 

Ein Spagat zwischen Lehrpersonal und Schüler*innen 

„Wenn man es so betrachtet, sind Lehrer*innen in Wahrheit die Zielgruppe von Schulbüchern, weil sie diejenigen sind, die sie für ihre Schüler*innen bestellen“, erklärt die Schulbuchautorin, Susanne Gratzer. Sie sieht das allerdings nicht so: „Was mir da am Herzen liegt, ist, dass es den Schüler*innen gefällt.“ Die Professorin erzählt auch, dass sich durch die Covid-Pandemie allerdings einiges getan hat. Der Wandel und die Offenheit für neue, kreativere und digitale Ansätze sind in den letzten paar Jahren bei allen Beteiligten vorangetrieben worden. Denn es steht fest: Im heutigen Zeitalter fehlt das etwas, vor allem der Bezug zu den Schüler*innen.  

Die Zukunft des Schulbuches 

„Mir persönlich ist bei unseren Werken wichtig, dass wir Vielfalt fördern“, sagt Lukas Birsak. Sein Verlag setze hier auf kreative und innovative Digitalansätze, wie: Ein Online-Atlas, Erklärvideos zum Unterrichtsstoff und interaktive Aufgaben. Die Dinge der Schulbuchbranche gehen voran, obwohl die Strukturen massiv verankert und nur schwer zu brechen sind. Die Verlage versuchen stetig neue, kreative und digitale Herangehensweisen zu Schulbüchern zu finden, trotz bürokratischer Hürden. „Ich glaube, man wird vom Text eher zum Bild wechseln. Weniger Schreiben mehr Visualisieren. Ich denke nicht, dass es bei den Grundsätzen, wie ein Buch aufgebaut ist noch große Revolutionen geben wird, aber definitiv Weiterentwicklungen“, spekuliert der Geschäftsführer. Der Wandel der Zeit erreicht auch „das gute alte Schulbuch“. Es handelt sich aber nun mal um einen sehr langwierigen Prozess.