Das Verlangen nach Entertainment bleibt auch im höheren Alter nicht aus. Vor allem aber in Seniorenheimen ist Unterhaltung ein großes Thema.
SUMO hat darüber mit Amadeus Linzer, Geschäftsführer des Unternehmens VitaBlick, und Leopold Kern, Obmann des Pensionistenverbands Ortsgruppe St. Pantaleon – Erla, gesprochen.
Es ist keine Ausnahmeerscheinung. Die Rede ist von der Pflege und Betreuung von älteren Menschen. Alleine in Österreich waren 2019 laut Statistik Austria 96.458 Menschen in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht. Wichtig hierbei ist es den Unterschied zwischen den einzelnen Pflegeeinrichtungen zu beachten. Denn Pflegeheime und Altenheime unterscheiden sich im Wesentlichen im Grad der Pflegebedürftigkeit der BewohnerInnen. Wo in Pflegeheimen die Pflege im Vordergrund steht, liegt die Priorität bei Senioren- und Altersheimen in der Betreuung und dem eigentlichen Wohnen. In Pflegeheimen ist es somit oft gar nicht mehr möglich, die BewohnerInnen mit genügend Unterhaltung zu versorgen, da der Aspekt der Gesundheit an vorderster Stelle steht. Anders ist es in Altenheimen. Hier wird Unterhaltung erwünscht. Beobachtet man verschiedene Werbeangebote, merkt man schnell, dass Unterhaltung ein wichtiges Auswahlkriterium bei der Wahl nach der SeniorInnenresidenz ist. Viele Senioren- und Pensionistenvereine nehmen das Angebot wahr, sich bei einem gemeinsamen Essen von VertreterInnen verschiedene Heime vorstellen zu lassen und auch da ist das Interesse nach dem Unterhaltungsangebot sehr hoch.
Gemeinsame Unterhaltung ist die beste Unterhaltung
Ebenfalls mit den Interessen von SeniorInnen beschäftigt sich Leopold Kern. Seit 2016 ist er Obmann des Pensionistenverbands Ortsgruppe St. Pantaleon – Erla. Neben dem Planen und Organisieren besteht Kerns Hauptaufgabe darin die Interessen und unternehmerischen Vorlieben der 100 Vereinsmitglieder (Stand April 2021) zu vertreten und umzusetzen. Sei es das Organisieren der Musik oder das Veranstalten der gemeinsamen Clubnachmittage, es gibt meist immer etwas zu tun. Normalerweise finden um die acht Ausflüge im Jahr zu den verschiedensten Zielen statt. Des Weiteren werden auch andere Events, wie der Pensionisten-Fasching, ein Sommerfest und eine Weihnachtsfeier, veranstaltet. Bei der Frage nach dem beliebtesten Ausflug der Mitglieder wurde das Wandern thematisiert. Vor allem Spaziergänge auf den Berg oder um den See sind bei vielen sehr beliebt. Aber auch das gemeinsame Essen danach darf nicht fehlen. Dabei wird der Ausflug oft Revue passiert und so manch andere Geschichten und Erlebnisse werden geteilt. Weitere Angebote, die von den PensionistInnen freudig genutzt werden, sind unter anderem Nordic-Walking in der Gruppe, gemeinsames Turnen oder Stockschießen. Außerdem werden auch Krankenbesuche gemacht, beispielsweise werden zu Weihnachten ehemalige Mitglieder, die sich im Heim befinden, besucht. Das Motto des Pensionistenverbands ist: „Der Mensch steht im Vordergrund“. Genau nach diesem Motto ist es ebenfalls für Leopold Kern von großer Bedeutung, dass die Bedürfnisse und Interessen der Vereinsmitglieder bestmöglich erfüllt werden.
Die VR-Brille – Ein Blick in die zukünftige Vergangenheit
Genau diese Wünsche und Sehnsüchte möchte Amadeus Linzer, der Geschäftsführer von VitaBlick, auch Menschen in Seniorenheimen erfüllen. Mit seinem am 1. März 2020 gegründeten Unternehmen macht er es möglich, mittels 360-Grad-Videos die HeimbewohnerInnen an verschiedenste Orte in Österreich zu bringen. Um dies zu ermöglichen, werden virtuelle Ausflüge produziert, verarbeitet und dem Format angepasst. Diese Ausflüge sind speziell für SeniorInnen in Pflegeeinrichtungen, sprich Altenheime und Pflegeheime gedacht, jedoch wurde das Angebot auch auf Menschen mit eingeschränkter Mobilität ausgeweitet: beispielweise Menschen mit einer Beeinträchtigung oder psychischen Problemen, wie Angststörungen. Mithilfe dieser Technologie in Form einer VR-Brille ist es für solche Menschen wieder möglich am Aachensee in Tirol die schöne Gegend zu genießen, im Wiener Prater mit dem Riesenrad zu fahren oder im Tierpark ein paar Tiere zu beobachten. Und dies sind nur drei Beispiele der derzeit über 50 verfügbaren Ausflugsziele. Durch die VR-Brille erscheint das ganze sehr lebendig. Linzer erklärt, dass die NutzerInnen durch Kopfschwenken ihre Blickwinkel verändern und den Ort so erkunden können, als wären sie wirklich dort. Durch das Gefühl des „Vor-Ort-seins“ kämen durch die Anwendung einer VR-Brille Emotionen und Erinnerungen in den SeniorInnen auf, die durch andere Medien, wie dem Fernseher, gar nicht erst in der Form ausgelöst werden können.
Zu dieser außergewöhnlichen Idee kam er durch seinen Großvater. Er erzählt, dass dieser ein Mensch war, der viel reiste, jedoch an Krebs erkrankte und bettlägerig wurde und somit nicht mehr an jene Orte reisen konnte, die er noch oder wieder besichtigen wollte. Aufgrund dieses Umstandes wollte Linzer ihm etwas aus der Welt draußen in sein Zimmer bringen, damit er wieder gewisse Highlights und Glücksmomente spüren konnte. Das Ganze passierte während eines Auslandsaufenthaltes in Rotterdam. Mit einem Studienkollegen, der ein ähnliches Problem mit seiner Großmutter hatte, diskutierte er die Umstände und so kamen sie auf die VR-Brille. Denn durch diese könnten sie ihren Großeltern geografisch unabhängiges Reisen ermöglichen. Zu Beginn probierten sie ihre Idee in einem Seniorenheim in Rotterdam aus. Linzer erwähnt, dass sie zuvor Reiseziele aus aller Welt vorbereitet hatten. Als sie dann die BewohnerInnen fragten, wohin sie den virtuell reisen möchten, kam als Antwort, dass sie am liebsten zu dem See oder der Markthalle in Rotterdam möchten. Es waren Orte in der Nähe, an denen die SeniorInnen früher waren und jetzt nicht mehr hinkönnen. An diesem Punkt haben die beiden gemerkt, dass vor allem der regionale Bezug für die SeniorInnen eine große Rolle spielt. Deshalb werden nun hauptsächlich Orte in Österreich reproduziert.
Das Unternehmen VitaBlick wurde dann zwei Wochen vor dem ersten Lockdown gegründet. Dies war auch der Grund, dass die Verbreitung der von VitaBlick bereitgestellten VR-Technologie etwas langsamer verlief. Durch die Kontaktbeschränkungen war es schwierig, die VR-Brillen an den Altenheimen bekannt zu machen und dort mit den SeniorInnen gemeinsam zu testen. Dafür wurde die Zeit auf andere Art effizient genutzt. Viele neue Ausflugsziele wurden produziert, mittlerweile sind es über 50 virtuelle Ausflüge in Österreich. Seitdem die Mehrheit der HeimbewohnerInnen gegen den Corona-Virus geimpft sei, gebe es sehr viel Interesse an der Technologie von VitaBlick. Mittlerweile zählen bereits einige namhafte Organisationen wie das Österreichische Hilfswerk und die Volkshilfe zu ihren Kunden, und zahlreiche Testphasen in weiteren Pflegeinstitutionen sind zurzeit im Gange.
Meist reagieren die SeniorInnen sehr verwundert und sind begeistert, was die moderne Technologie schon alles möglich macht. Linzer erzählt außerdem, dass viele sich zurückerinnern und in Erinnerungen schwelgen. Doch was ist mit der „Motion Sickness“? Motion Sickness wird vor allem beim Thema Virtuell Reality oft als negativer Aspekt in den Vordergrund gerückt. Linzer erklärt das Phänomen anhand eines virtuellen Spaziergangs so, dass es bei bewegter Kameraführung einen Widerspruch zwischen dem Gesehenen und dem tatsächlichen Gefühlten gebe – das Auge würde eine Bewegung des Körpers sehen, die der Körper aber nicht fühlt. Dieser Widerspruch wirke sich dann auf das Wohlbefinden aus und bewirke Schwindelgefühle. Zu Beginn hatten sie auch mit der Motion Sickness zu kämpfen, danach aber viel ausprobiert und getestet, und anschließend einige Faktoren verändert. Beispielsweise wurden statische Videos gedreht, dabei stand die Kamera während des Drehs auf einem Stativ. Es wurde ein virtueller Unterkörper eingebaut, damit man beim Runterschauen die „eigenen“ Beine und Hände sieht und sich so „geerdet“ fühlt. Außerdem gibt es gewisse Szenen-Voraussetzungen, die die Motion Sickness nahezu ausschalten. Laut Linzers Angaben hätte VitaBlick es durch eine Kombination aus diesen verschiedenen Faktoren geschafft, jene negative Begleiterscheinung zu 95% zu unterbinden.
Zurzeit versucht das Team rund um Amadeus Linzer und VitaBlick sich langsam den meist schon sehr routinierten Abläufen in der Altenbetreuung und -pflege zu nähern, um allfällige Angst vor neuen Technologien zu nehmen. In den nächsten Jahren wollen sie ihre Ausflüge erweitern und auch in den Bereich der Therapie einsteigen, insbesondere die Bewegungstherapie, beispielsweise um die Bewegung von SchlaganfallpatientInnen zu fördern. Wichtig für Linzer ist es außerdem anzumerken, dass sie keinesfalls Ausflüge in die Natur ersetzen oder die SeniorInnen mit der Brille „ruhigstellen“ wollten, sondern jenen Menschen, denen es schlichtweg nicht mehr möglich ist, das Haus zu verlassen, mithilfe der VR-Brillen wieder Mobilität zu verleihen und dadurch die Kommunikation mit MitbewohnerInnen und Betreuungspersonen zu stimulieren. Die Technik soll einen positiven Nutzen für die SeniorInnen haben und ihnen damit wieder ein Stück Reisefreiheit zurückgeben.
von Jennifer Binder