Zwischen Pixel und Pinselstrich – Kunst multimedial erleben im Zeitalter der Gen Z

Wer kann schon von sich selbst behaupten im Schlafzimmer von Van Gogh zu stehen oder zwischen von ihm gemalten Feldern zu gehen? Durch immersive Ausstellungen ist es uns mittlerweile möglich Kunst überall multimedial zu erleben. SUMO durfte mit Rob Kirk, Head of Touring bei dem australischen Unternehmen „Grande Experiences“ (Produzent von „Van Gogh Alive“), Ines Groß-Weikhart, Kunsthistorikerin und Leiterin der Kunstvermittlung und Tourismus der Albertina in Wien und Natascha Mansvelt, Projekt-Koordinatorin des Van-Gogh-Museums in Amsterdam, über die Zukunft der Kunstrezeption sprechen. 

von Patrizia Bruckner

Die Klassiker mal anders inszeniert  

Große Räume, ausgefallene Standorte, klassische Gemälde und multimediale Elemente – all das kombiniert eine immersive Kunstausstellung. Die fortschreitende technologische Entwicklung macht auch vor der Kunstszene keinen Halt. Die Klassiker aus Museen werden mithilfe von Audio, Video, Licht und interaktiven Elementen neu zum Leben erweckt. So waren auch in der Wiener METAStadt die Werke von Van Gogh im multimedialen Stil bis Februar 2022 zu sehen – aber ganz ohne die Originale. Die immersive Kunstausstellung „Van Gogh Alive“ von dem Unternehmen „Grande Experiences“ wurde weltweit von beinahe neun Millionen Menschen besucht. Anhand der Zahl lässt sich erkennen, dass die multimedialen Ausstellungen keineswegs nur auf Kunstinteressierte anziehend wirken. „Wir wollen mit unseren Ausstellungen ein Stück fremde Kultur in die Länder bringen und so auch neue Zielgruppen in die jeweilige Thematik einbeziehen“, so Rob Kirk, The Head of Touring bei „Grande Experiences“. Klar ist, dass Menschen nach Zugehörigkeit und dem Gefühl von Beisammensein streben. Wir lieben es mit Gleichgesinnten Neues zu erleben und sich ab und an in eine andere Welt zu entziehen. „Als Menschen sind wir von Natur aus neugierig und wollen Dinge erforschen und erleben“, fügt Kirk hinzu. Neben dem technologischen und finanziellen Fortschritt im Bereich Audio- und Videotechnik sind es auch die Standorte der Ausstellungen, die ausschlaggebend für den Erfolg sind. „Wir nutzen beabsichtigt unkonventionelle Orte wie Fabriken, ungenutzte Gebäude, Lagerhallen, Einkaufszentren – was auch ein Teil des Reizes ist. Die Besucher*innen erwarten diese Erfahrung nicht in einem traditionellen Umfeld“, erklärt er diesbezüglich. Trotz des relativ hohen Eintrittspreises von 25 Euro scheint sich das Konzept seit über zehn Jahren für „Grande Experiences“ zu bewähren. Denn nach dem Erfolg von „Van Gogh Alive“ strömen weitere auf gleichem Prinzip basierende Ausstellungen anderer Unternehmen auf den Markt. Beispiele dafür sind Ausstellungen wie „Klimt – The Immersive Experience“ und „Monets Garten“. Jedoch kommt dabei die Frage auf, warum diese Ausstellungen erst jetzt ihren Aufschwung erleben. 

Generation Z macht es möglich  

„Wenn man sich den Zeitraum von 2009 bis fast 2017 ansieht, würde ich sagen, dass die Akzeptanz für diese Art von immersiven Ausstellung nicht so groß war“, argumentiert Kirk. Seither hat sich jedoch einiges in der Gesellschaft getan. Aufgrund des raschen technologischen Fortschritts sind Smartphones nicht mehr aus den Händen der jungen Menschen zu bekommen. Der „7. OÖ. Kinder-Medien-Studie 2020“ der „Education Group“ zufolge besitzen Kinder in Österreich bereits zwischen sechs und zehn Jahren ihr erstes Smartphone. Dabei zählen soziale Netzwerke schon hier zur Basisausstattung. Die Kinder von heute wachsen in einer Welt auf, die sich in Bezug auf Technik und sozialen Medien nicht mit dem Niveau von 2009 vergleichen lässt. „Ich denke, es ist einfach die Akzeptanz, die diese Generation mit der Technologie hat – man hat sie jetzt in der Tasche und sie ist jederzeit verfügbar“, stellt Kirk fest. Auch Ines Groß-Weikhart, Leiterin der Kunstvermittlung und Tourismus der Albertina, sieht darin Gründe für den Erfolg von immersiven Ausstellungen. „Anscheinend trifft es einen Nerv der Zeit, da kommt, glaube ich, auch viel zusammen. Durch die Corona-Pandemie sind die Leute digitalaffiner geworden oder sind es auch gewohnt Kultur digital zu nutzen.“ Zusätzlich merkt sie an, dass die Generation Z „ein ganz anderes Kulturverständnis als die Generationen davor“ habe. Ebenfalls verändert hat sich die Beziehung zwischen der Gen Z und Unternehmen. Denn laut einer „Verizon Media“ Studie schätzen es mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen, wenn Unternehmen auf neue und innovative Art mit ihnen in Kontakt treten. „Die Art und Weise, wie man das (junge) Publikum anspricht und unterhält, ist ein wichtiger Faktor mit dem traditionelle Museen und Kunstgalerien zu kämpfen haben“, fügt Kirk hinzu. Mit der Adressierung der digitalaffinen Jugend hat das immersive Kulturangebot keine Probleme. Durch Videos zu den TikTok-Hashtags „vangoghalive“ oder „vangoghexhibition“ wurde der Trend der multimedialen Erlebniswelt weiter angefeuert. Dabei ist es kaum verwunderlich, dass Besucher*innen die App TikTok für das Teilen ihrer Eindrücke wählen. Eine US-amerikanischen Studie des „Pew Research Centers“ hat ergeben, dass 67 Prozent der US-amerikanischen Teenager im Alter von 13 bis 17 Jahren TikTok regelmäßig nutzen. Die Verbreitung von Foto- und Videocontent auf sozialen Netzwerken wird erfreulich aufgefasst. „Ich denke, dass unsere Position zu Social Media immer positiv sein wird, denn wir machen so die Kunst einem breiteren Publikum zugänglich“, sagt Kirk. Auch Groß-Weikhart stimmt bezüglich des Teilens der Kunst auf Social Media zu: „Insofern sehen wir das als absolut positive Entwicklung und haben aus diesem Grund selbst eine Social Media Abteilung im Haus.“ 

Zwickmühle zwischen Pixel und Pinselstrich  

„Sie sehen sich nicht nur ein Gemälde an. Sie treten in sie hinein und spüren die Kraft.“ Mit diesem Satz wirbt die Wanderausstellung „Van Gogh Alive“ auf ihrer Internetseite. Neben einer Schaustellung aus Licht-, Ton- und Videoelementen ist es auch der Duft aus Zypressen und Zeder, der die Besucher*innen in die Welt der Gemälde von Van Gogh entführen soll. Doch auch wenn sich die Werke über riesige Leinwände schmiegen, scheint etwas nicht vollständig zu sein. „Das Dreidimensionale geht verloren“, beschreibt Groß-Weikhart. Pixel bleiben Pixel und können kaum mit Pinselstrichen verglichen werden. „Niemals werden die Farben und der haptische Eindruck so wiedergegeben, wie wenn ich vor dem Original stehe“, so die Leiterin der Kunstvermittlung der Albertina. Eine immersive Ausstellung hat einen gewissen Reiz. Doch besonders in Zeiten, in denen das Digitale unseren Alltag bestimmt, kann etwas Abstand gut tun. „Was wir gemerkt haben, ist, dass die Leute in die Albertina kommen, um das Museum als solches zu erleben. Einen Ort zu erleben, der multimedial frei und sehr analog ist“, erklärt Groß-Weikhart. Statt Duftnoten von Zypressen und Zedern wahrzunehmen, können sich Besucher*innen auch in Museen in eine andere Welt entführen lassen. „Ich stehe vor etwas, was von vor 200 Jahren gemacht wurde und es ist dreidimensional, man sieht die Farbbatzen und den Pinselstrich und man riecht die Ölfarbe vielleicht noch – es ist eine andere Qualität“, so Groß-Weikhart. Das Kulturangebot eines Museums ist ein anderes als jenes einer immersiven Ausstellung. „Deswegen haben wir auch begriffen, dass wir ein Ort sein können, der Ruhe und meditative Stille vermittelt und wo es keinen Leistungsdruck gibt“, beschreibt Groß-Weikhart. Auch Rob Kirk teilt den Ansatz, dass Menschen aus ihrem stressigen Alltag entfliehen wollen: „Viele Menschen möchten einfach in eine Umgebung gehen, in der man von der Außenwelt abschalten und die Erfahrung genießen kann.“ Beide sprechen wichtige Punkte an, doch die Entscheidung ob analog oder digital ist schlussendlich der persönlichen Präferenz geschuldet.  

Parallel nebeneinander existierend oder doch in einem kombiniert  

Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig sich zwischen klassischen oder immersiven Kunstausstellungen entscheiden zu müssen. „Ich glaube, dass es sich nicht unmittelbar kannibalisiert, sondern etwas ist, dass sich gut ergänzen lässt“, meint Groß-Weikhart. Beides sind Kulturangebote, aber nicht beides ist Kunst. „Klar, es ist etwas, das was mit Kunstwerken macht, aber wenn ich aus dem Bauch heraus antworten würde, ist es keine Kunst“, erklärt sie weiter. Auch die Aufgabenbereiche zeigen die Unterschiede nochmal deutlich. Während „Grande Experiences“ darauf abzielt, dass ihre Besucher*innen unterhalten, begeistert und weitergebildet werden, ist das Vermitteln laut Groß-Weikhart nur eine der insgesamt vier Säulen eines Museums. Während „Grande Experiences“ darauf abzielt, dass ihre Besucher*innen unterhalten, begeistert und weitergebildet werden, ist das Vermitteln laut Groß-Weikhart nur eine der insgesamt vier Säulen eines Museums. Laut ihr seien nach Definition die drei weiteren Aufgaben das Sammeln, Bewahren und Forschen. Demnach stehen beide nicht unmittelbar in Konkurrenz zueinander. Laut Groß-Weikhart sei es durchaus auch etwas, was sich ergänzt und vielleicht nur in Wechselwirkung existieren kann: „Immersive Experiences wäre nicht möglich, gäbe es die Originale nicht – genauso kann aber auch eine immersive Ausstellung neugierig machen und dazu anregen das Original anzusehen.“ 

Die Frage, ob Museen sich zukünftig multimedial rüsten müssen, um junge Menschen erreichen zu können, spaltet die Meinungen. Ein positives Beispiel für eine Kombination aus gemalten Klassikern und Multimedia-Räumen ist das „Van-Gogh-Museum“ in Amsterdam. Natascha Mansvelt, Projektkoordinatorin des Museums, sieht die Integration von multimedialen Elementen durchaus etwas, das uns in Zukunft bleiben wird: „Ich denke, dass immersive Ausstellungen in Zukunft immer populärer werden – daher halte ich dies nicht für einen kurzfristigen Trend.“ Je nach Museum kann eine Kombination aus Multimedia und Klassik gut funktionieren. „Immersive Erlebnisse sind ein unterhaltsamer Weg Kunst auf eine neue Art und Weise kennenzulernen.“ Mansvelt betont jedoch, dass dies nicht für alle Museen in Frage kommt: „Ich würde anderen Museen zwar raten auch Multimedia Experiences anzubieten, jedoch ist die Investition enorm und kommt auch nicht für jedes Museum in Frage.“ Ein Ende des Trends ist demnach nicht in Sicht. Digital oder analog – beides wird uns wohl erhalten bleiben.