WIE TikTok und Instagram die Musikindustrie maßgeblich verändern

Man entgeht kaum mehr einem lustigen Meme, Reel oder TikTok-Video. Die verschiedensten Social Media Plattformen bieten mehr als genügend Möglichkeiten, sich im Internet zu unterhalten. Der „GfK“-Studie „Mediennutzung in Österreich“ zufolge verbringen Österreicher*innen anno 2022 rund 80 Minuten täglich auf diesen Kanälen. Da man die dort gebotenen Inhalte meist aktiv rezipiert, sind sie sehr einflussreich auf die User*innen. Nicht nur aus diesem Grund versuchen vor allem junge, noch nicht so bekannte Musiker*innen und Produzent*innen, die eigene Musik auf Social Media zu bewerben. Welche Auswirkungen diese Plattformen auf die Musikindustrie haben, beantworten Simone Kienast, A&R Managerin vom Label „Global Rockstar“, und die steirische Pop- und EDM-Musikerin Anna-Sophie.

von Sebastian Baumschlager

Nutzung von Sozialen Medien als Künstler*in

Wenn man heutzutage als Musiker*in tätig ist, gehört ein Social Media Profil einfach dazu. Es gibt kaum Künstler*innen, die nicht auf mindestens einem Kanal vertreten sind. Für Anna-Sophie sind sie wichtig, um sich als Künstlerin zu präsentieren. Seitdem sie in der Öffentlichkeit steht, hat sich jedoch ihr eigenes Nutzungsverhalten stark geändert. Privat nutzt sie die Plattformen mittlerweile kaum mehr. Zurzeit steigt sie nur mehr ein, um ihre Posts hochzuladen. Sie meint: „Ich verwalte alle meine Social Media Accounts selbst und will dies auch weiterhin so machen. Selbstgemachte Videos und Fotos sind authentisch und ich habe somit die Möglichkeit, mich direkt mit meinen Fans auszutauschen. Anfangs fühlt es sich für Musiker*innen meist ungewohnt an, sich selbst vor die Kamera zu stellen und Content zu kreieren. Generell ist Social Media für die Promo für einen Artist sehr wichtig um beispielsweise neue Song Releases anzuteasern.“ Für sie ist dies mittlerweile zu einer schönen Tätigkeit nebenbei geworden. Sie ist dankbar die Möglichkeit zu haben und sieht es als Chance, eine große Community zu erreichen. Genauso sieht es auch A&R Managerin Simone Kienast. Social-Media hat leider oft ein negatives Image, da in der Vergangenheit von großen Labels oft Druck auf Künstler*innen ausgeübt wurde. Man sollte den Musiker*innen nicht vorschreiben, dass sie den Song erst veröffentlichen dürfen, wenn kurze Ausschnitte davon auf den Plattformen viral gegangen sind. Dieses Vorgehen war leider bereits bei vielen der Fall. Es ist nicht maßgeblich, aktiv in den Sozialen Medien zu sein. Natürlich sollte man als Label ein Auge auf die Kanäle der unter Vertrag genommenen Musiker*innen haben. Jedoch sollte jedem selbst überlassen werden, wann und was man veröffentlicht. Es ist schade, dass diese Plattformen ein schlechtes Image bekommen haben, da es eine große Möglichkeit für die Artists ist. Simone hebt hervor: „Dank Social Media haben Künstler*innen ein Werkzeug bekommen, um ihre PR genauestens zu steuern. Auf den eigenen Social Media Kanälen der Künstler können sie zu 100% bestimmen welche Informationen und wie detailliert diese an Fans weitergegeben werden. Etwas, das man so früher in der klassischen Medienwelt nur schwer steuern konnte.“ Genauso kann man seinen Song bereits im Vorfeld promoten und dadurch einen Hype kreieren. Hierfür hat man früher Fernsehteams angeheuert, welche unter enormen Kosten und Zeitaufwand drehten. Heute geht das ganz einfach nebenbei mit dem Handy.

Möglichkeit neue Artists zu finden

Simone Kienast ist Head of A&R, also Artist and Repertoire Managerin. Hierbei geht es in erster Linie darum, neue Künstler*innen zu finden und zu signen. Sie meint: „Stellt man sich vielleicht romantisch vor, dass man als A&R die Artists zufällig als Straßenmusiker findet oder bei kleinen Auftritten. Leider entspricht das gar nicht der Realität. Es ist sehr analytisch und hat viel mit Zahlen und Daten zu tun.“ Sie versucht beispielsweise dem Algorithmus auf Sozialen Medien durch Liken und Kommentieren von Musiker*innen-Content zu zeigen, dass sie gezielt auf der Suche nach Musiker*innen ist. Dann geht es hauptsächlich um Anschreiben, erste Gespräche führen und herausfinden, ob die Artists die gleiche Vision mit dem Label teilen. Neben dem Gesangstalent steht für sie jedoch viel mehr das Gesamtpaket im Vordergrund: „Es geht darum Leute zu finden, die einen Charakter mit Ecken und Kanten haben, die von der Masse herausstechen. Die an der Straße vorbeilaufen und in Erinnerung bleiben.“ Und genau dafür sind Instagram und TikTok perfekte Plattformen für den ersten Eindruck. YouTube ist bereits so überfüllt mit Videos, dass man total den Überblick verliert. Vermutlich wird das mit TikTok und Instagram auch bald passieren, aber momentan sind die Plattformen super dafür. Besonders stechen hierbei die verschiedenen Challenges heraus, die sich im Laufe der Jahre entwickelt haben. Sie erzählt von der sogenannten Riff-Challenge: „Es ging um den Song „Crazy“ von Gnarls Barkley, veröffentlicht im Jahr 2006, welcher jetzt durch TikTok wieder belebt wurde. Sänger*innen waren dazu aufgefordert, den ersten Verse mit einem Riff anspruchsvoller zu machen und somit ihre Kontrolle über ihre Stimme unter Beweis zu stellen und anschließend das Video mit dem Hashtag ‚RiffChallange‘ zu versehen. Für Talentscouts wie mich natürlich die perfekte Möglichkeit quick und simple Artists zu finden, indem ich nach dem Hashtag suche.“

Musik für Social Media zuschneiden und welche Rolle Spotify dabei spielt

Die Songs auf eine bestimmt Plattform oder einen Trend zuzuschneiden ist keine neue Vorgehensweise. Wenn man sich früher nach den Radios ausgerichtet hat, durfte man beispielsweise keine Schimpfwörter verwenden, weil man sonst nicht gespielt wurde. So ähnlich agiert man heutzutage zu einem Teil nach den Regeln der Sozialen Medien und Spotify. Aktuell haben einige Künstler*innen die ersten 30 Sekunden ihrer Songs auf Social Media veröffentlicht, um einen ersten Hype zu generieren und im Anschluss den Song auf Spotify zu veröffentlichen. Simone beschreibt: „Bei Spotify zählt ein Stream erst ab Sekunde 30. Die Zuhörer*innen hören bei diesem Promomove somit ab Release-Tag insbesondere immer wieder die ersten 30 Sekunden, weil wir Menschen ja bekannterweise Gewohnheitstiere sind. Dieser Promo-Move funktioniert jedoch nur, wenn das Songwriting im ersten Verse auch wirklich stark ist. Somit kann man die Streamingzahlen durch einen simplen “Trick” easy nach oben pushen.“ Die beiden Interviewten sind sich einig, dass so ein Vorgehen zu sehr die Charts beeinflusst. Simone spricht davon, dass Musik eine Synergie zwischen Kreativität und einer gewissen Musikrichtung sein soll. Wenn man den Song einem bestimmten Stil zuordnet, dann sollte man diesen eher nach der Zielgruppe wählen als einer bestimmten Plattform. Anna-Sophie fällt bereits bei ersten Gesprächen über das Song-Release auf: „Meist wird dabei schon entschieden, welcher Ausschnitt des Songs für Social-Media verwendet wird. Man denkt immer daran, welcher Trend dadurch entstehen könnte“, des Weiteren fügt sie hinzu: „Auch beim Songwriting selbst denkt man daran, welcher Abschnitt einen Wiedererkennungswert hat und viral gehen kann. Diesen Gedanken sollte man jedoch ablegen, denn man versteift sich bald zu sehr darauf und es hat nichts mehr mit Kreativität zu tun.“

Sprungbrett für Musiker*innen – oder eher für Influencer*innen?

Influencer*innen bauen sich eine Fanbase auf, weil sie durch Fashion-, Lifestyle-, Gaming-, Handwerksfähigkeiten und vieles mehr berühmt werden. Der Fokus liegt bei den meisten nicht auf Musik. Trotzdem kommen manche Influencer*innen nach Jahren der Berühmtheit auf die Idee, einen Song zu veröffentlichen. Man dreht also den Spieß um. Zuerst Berühmtheit und dann Musik. So haben es zum Beispiel Bibi von „Bibis Beauty Palace“, Bella Porach und Dixie D´Amelio gemacht. Der einzige Unterschied zu den meisten Musiker*innen ist, dass Produzent*innen damit beauftragt wurden. Der Gesang wird hierbei meist schlicht gehalten und elektronisch verzerrt. Ob der Song gut oder schlecht ist, das sei dahingestellt. Erfolg feiern die Social-Media-Sternchen trotzdem, aber nicht zwingend, weil der Song gut ist. Die wichtigste Rolle spielt die Fanbase von Zig-Millionen Follower*innen. Bei Influencer*innen, die durch ihre oft gekaufte Musik berühmt werden, verliert man den ursprünglichen Sinn von Songwriting. Die Kreativität geht verloren und viele Artists, die ehrliche und eigene Musik machen, fühlen sich durch solche Aktionen nicht wertgeschätzt. Die Musikerin Anna-Sophie meint dazu: „Bei solch einem Thema sollte man klar zwischen Musiker*innen und Influencer*innen unterscheiden. Wenn jemand auf Social-Media durch Musik berühmt wird, dann ist das eine ganz andere Sache, denn diese haben sich durch ihre Musik und ihre Kunst eine Fanbase aufgebaut. Dennoch sollte man erfolgreichen Influencer*innen den Erfolg gönnen, da diese sich durch harte Arbeit den Ruhm erst möglich gemacht haben.“

Beeinflussen und verändern Soziale Medien die Musikbranche maßgeblich?

Es lässt sich klar sagen, dass Social Media die Musikbranche beeinflusst. Aber nicht nur im negativen Sinne, hierbei sind sich die Interviewten sicher. Mittlerweile erkennt man, dass die Trends immer mehr Richtung Authentizität gehen. „Vielleicht suchen die Menschen bewusst oder unbewusst immer diese Echtheit und Authentizität. Es wirkt, als wäre die Gesellschaft gelangweilt von Perfektionismus“, beschreibt Simone. Egal wie sehr sich die Trends der Musik verändern, man hat immer zwei Möglichkeiten. Entweder man erkennt und folgt einem Trend oder man erfindet einen neuen, jedoch ist das sehr riskant. Billie Eilish hat es beispielsweise geschafft Dark Pop wieder erfolgreich in die Musikwelt zu integrieren. Aktuell gibt es einen Hype um „Hyperpop“. Kurz und schnell, die Bässe verzerrt und die Stimmen so hoch gepitcht, dass sich die Sänger*innen wie Zeichentrickfiguren anhören. Gerade die GEN-Z feiert diese Musikrichtung und lässt diesen Trend wieder aufleben. Wichtig aber ist nicht welchem Trend man folgt, sondern authentisch zu bleiben und seinen individuellen, kreativen Wiedererkennungswert mit einzubringen. Um es mit den Worten von Tokio Hotel Leadsänger Bill Kaulitz auszudrücken: „Kunst funktioniert nicht, wenn man versucht, sich an Formeln zu halten.“