Der Roboter in der Redaktion – Fortschritt mit Folgen

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Drei Minuten. Solange dauerte es, bis die LA Times Anfang 2014 einen Artikel über ein Erdbeben veröffentlichte, das die Stadt durchrüttelte. Das Besondere an dieser Veröffentlichung war nicht die Geschwindigkeit – sondern der Verfasser.

Maschinen bahnen sich allmählich ihren Weg in die öffentliche Meinungsbildung. Heute noch simple Textgeneratoren, morgen vielleicht schon ausgewachsene künstliche Intelligenzen. Was bedeutet das also für die ohnehin schon zunehmend prekäre Journalismusbranche? Und was passiert erst, wenn diese Systeme die Kunst der Semantik erlernen? Auch gut ausgebildete Journalisten sind nicht vor der Automatisierung gefeit – und schon gar nicht vor künstlicher Intelligenz.

Man stelle sich vor, in einer Stadt gibt es einen Wohnungsbrand. Intelligente Feueralarme alarmieren automatisch Feuerwehr und Rettung. Gleichzeitig schickt dieser Feueralarm die erste Meldung an eine Nachrichtenagentur, dass es in der Straße XY einen Brand gibt. Die anrückende Feuerwehr ist ebenso mit dem Internet verbunden, sendet laufend Informationen an den Nachrichtendienst. Natürliche Spracherkennungssoftware analysiert den Funkkontakt der Feuerwehrmänner und Rettungskräfte, um Informationen über Schwere des Brands, Anzahl der Verletzten und mögliche Ursache zu erhalten. Minuten später gibt es einen ersten Online-Artikel zu diesem Unglück, generiert von einer Schreibsoftware der Nachrichtenagentur, die diese Fakten mit Textbausteinen verknüpft und in einen verständlichen Fließtext verwandelt. Anhand vergangenen Verhaltens der Konsumenten lässt eine intelligente Software denjenigen den Artikel aufscheinen, die er interessieren und betreffen könnte.

Das ist eine Zukunftsvision, wie journalistische Arbeit in Zukunft aussehen könnte. Dieses Szenario ist selbstverständlich nicht in Stein gemeißelt, veranschaulicht aber gut, was in der Zukunft möglich sein wird. Nicht nur, dass eine Maschine Artikel verfasst, sondern auch die Funktion des Gatekeepers übernimmt, eine Aufgabe, die bis heute dem Menschen vorbestimmt ist.

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Intelligente Software in der Redaktion – eine Übersicht

Oben genanntes Beispiel klingt wie eine Fortsetzung von Bradburys „Fahrenheit 451“, in dem die Feuerwehr mehr weiß als den Menschen lieb ist. Doch ganz so dystopisch ist diese „mögliche“ Entwicklung nicht zu betrachten, da die Feuerwehr immerhin den Brand löschen will und die Bücher heil bleiben. Um zu verstehen, wie die Zukunft aussehen könnte, muss man ein paar Schritte zurückgehen und sie in den Kontext der heutigen Situation setzen. Hier stellen sich zwei essentielle Fragen: Was ist Roboterjournalismus und wie kommt er in Medienhäusern zum Einsatz?

Unter Roboterjournalismus versteht man softwaregenerierte redaktionelle Texte. Als Beispiele kann man hier Wordsmith[1] von Automated Insights oder Quill[2] von NarrativeScience nennen. Diese Systeme verfassen journalistische Texte mithilfe von Textbausteinen und Daten, die in sie eingespeist werden. Einsatzbereiche dieser Programme sind fakten- und datenlastige Nachrichtenbereiche, wie Sport, Wirtschaft, Börse und Wetter[3], wo sie auch bereits genutzt werden, wie etwa bei der Washington Post. Der große Unterschied zu künstlicher Intelligenz ist, dass diese Systeme kein natürliches semantisches Verständnis haben. Ihnen muss erst beigebracht werden, dass ein 10:0 im Fußball eine „vernichtende Niederlage“ ist und ein 5:4 ein „knapper Sieg in einem spannenden Spiel“ ist.

Derzeit werden also Textsorten wie Börsen-, Quartals- und Spielberichte von Software produziert und das bereits in sehr hoher Qualität. Die Associated Press lässt ihre maschinengenerierten Texte auch nicht mehr gegenlesen, sie werden unkontrolliert veröffentlicht. In diesen Ressorts ist das Abgeben der Gatekeeper-Rolle relativ risikofrei, da die Software nahezu fehlerfrei arbeitet und die Berichte auf objektiven, nachprüfbaren Fakten basieren. In Betracht ziehend, dass manche dieser Programme von Unternehmen im Silicon Valley entwickelt werden, die sehr undurchsichtig arbeiten, stellt sich der Verdacht in den Raum, dass hier Manipulationsgefahr besteht. Einem Algorithmus kann man politische und wirtschaftliche Interessen relativ einfach andienen. Solange aber ein menschlicher Gatekeeper dazwischensteht, lässt sich diese Gefahr einigermaßen kontrollieren. Manipulation wird durch Roboterjournalismus also vermutlich nicht mehr und nicht weniger.

Roboterjournalismus ist also eine kontrollierte Automatisierung. Doch wo Automatisierung draufsteht, stecken meist auch Jobverluste drin.

Jobverluste als Konsequenz

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Bildquelle: flickr

Eine Ansicht, die auch Fred Turnheim[4], Präsident des ÖJC [5](österreichischer Journalistenclub) teilt. Seiner Einschätzung nach wird Roboterjournalismus in dieser Form wird in den nächsten Jahren auch in Österreich Einzug halten und in diesem Zuge auch Jobs kosten. Das oft genannte Argument[6], dass Software den Journalisten das einfache Handwerk wie Börsenberichte abnimmt, sodass sie die freigewordenen zeitlichen Ressourcen zur qualitativen Recherche nutzen können, hält er für ein Märchen. „Das ist ja der Sinn dahinter, Kosten zu senken. Ich kenne keine Redaktion dieser Erde, die den Journalisten dann noch weiterbeschäftigen würde“.

„Roboterjournalismus wird sich mit einfachen Textbausteinen beschäftigen und diese werden auch kontrollierbar sein. In einigen Jahren wird das Thema erledigt und in Redaktionen angekommen sein“. Die größte Konsequenz wird laut Turnheim der Verlust von Jobs sein. Was inhaltlich für große Veränderungen sorgen könnte und weit über Roboterjournalismus hinausgeht ist die künstliche Intelligenz, genauer gesagt das künstliche Bewusstsein. Sobald die Redaktionssoftware mit einem Semantikverständnis ausgestattet wird, ist sie auch in der Lage, die Funktion als Gatekeeper zu bekleiden.

Disruption mit unvorhersehbaren Folgen

Automatisierung wird die Medienbranche nicht verschonen, die Disruption wird stark spürbar sein und sich auf verschiedensten Ebenen manifestieren. Das beginnt bei den Arbeitsverhältnissen. Schon jetzt müssen sich junge Journalisten oftmals mit schlecht dotierten Werkverträgen zufriedengeben oder als Freelancer arbeiten. Von den bereits durch die erste Welle der Digitalisierung vernichteten Jobs ganz zu schweigen.[7] Der Homo oeconomicus würde sich jederzeit für den Roboter in der Redaktion entscheiden, wenn dieser die gleiche Qualität zu einem verschwindend geringeren Preis liefert. An den Spitzen der Medienhäuser sitzen nun mal oft Menschen, denen Gewinnmaximierung ein größeres Anliegen ist als die Anstellung von jungen Universitätsabsolventen.

Gleichzeitig wirft der Sachverhalt die Frage auf, ob es weise ist, in Zeiten von Fake News und Filter Bubbles der Technologie einen so wichtigen Bereich wie die öffentliche Meinungsbildung zu überlassen. Wenn die Maschinen auch noch lernen zu verstehen – und damit meine ich nicht, ein Fußballergebnis richtig zu interpretieren, sondern Ereignisse in einen Kontext zu setzen, können sich ganz neue Probleme auftun. Dann kann man sich vom heute praktizierten Journalismus völlig verabschieden.

 

 

Über den Autor

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Marco Rainer wurde 1995 in Wien geboren und lebt seitdem in Niederösterreich. Er studiert Medienmanagement im 4. Semester an der FH St. Pölten und ist nebenbei in einer Agentur für Event-Pressearbeit in Baden bei Wien tätig. Privat beschäftigt er sich mit Musik, Technologie und Geschichte.

 

 

Bildquelle: Elisabeth Brucker

Quelle Titelbild: Pixabay