Fußball, Skifahren, Tennis, US-Sport. Abseits vom Besuch im Stadion oder an der Rennstrecke bieten TV und Streaming-Dienste ein immer breiteres Angebot, rund um die Uhr mitzufiebern. Dahinter aber verbirgt sich ein knallharter Kampf um Aufmerksamkeit. Im Interview mit SUMO diskutieren ORF-Sportjournalistin Alina Zellhofer sowie „DAZN“- und „Servus TV“-Producer Martin Pfanner über das Milliardengeschäft der Sportrechte-Vermarktung.
„Jeder will am Kuchen mitnaschen“
Die Einzigartigkeit von Live-Sport begeistert Menschen so sehr, wie kaum eine andere Freizeitbeschäftigung. Auf den ersten Blick schaffen zahlreiche Player wie „DAZN“, „SKY“ oder bald auch „Amazon Prime“ einen umfangreichen Zugang zu Sportereignissen auf der ganzen Welt, abseits von linearen Fernsehangeboten. Auf den zweiten Blick entstehen durch diese neugewonnene Vielfalt im Wettbewerb aber auch Grenzen, da sich immer mehr Sportevents mittels Sublizenzierung aufteilen und hinter einer Vielzahl von Bezahlschranken verschwinden. Für Sportfans wird der Markt immer unübersichtlicher und auch Medienunternehmen verlieren durch kurze Rechteperioden immer mehr an Planungssicherheit.
Besonders der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat nach seiner jahrzehntelangen Monopolstellung mit der jetzigen Selbstgestaltung der Sportrechte-Vermarktung zu kämpfen. In Österreich muss der ORF dabei zusehen, wie Live-Sportereignisse im Programm zunehmend schwinden und zu anderen Anbietern wechseln. Eine Verschiebung des Angebots, die aber nicht bei den Grenzen der bekannten Sendergruppen aufhört, wie ORF-Sportjournalistin Alina Zellhofer feststellt: „Die steigende Anzahl der Anbieter ist vor allem deshalb so interessant, weil nicht mehr nur reine Medienunternehmen mitmischen. Auch Telekommunikationsunternehmen wie A1 oder Magenta haben plötzlich Pläne.“ Immer öfter habe der ORF das Nachsehen, weil er gesetzlich nur bis zu einem bestimmten Grad mitbieten dürfe. Trotz vieler Bestrebungen aktiv der Konkurrenz entgegenzutreten, würden Versuche zur Verbesserung der Inhalte schnell auf rechtliche Rahmenbedingungen stoßen.
Doch auch auf Seiten der Streaming- und Pay-TV-Unternehmen selbst steigt der Druck, Kunden ein attraktives Programm anbieten zu können, wie „DAZN“- und „Servus TV“-Producer Martin Pfanner erklärt: „Live-Sport ist das letzte relevante Ereignis, das zum selben spezifischen Zeitpunkt Menschen vor den Fernseher fesselt. Dieses Gut ist heiß begehrt, denn man braucht Live–Sport, um auch auf andere Programminhalte aufmerksam zu machen.“ Weil immer mehr Anbieter einsteigen und „am Kuchen mitnaschen wollen“, würde es für einzelne Unternehmen unmöglich werden, Exklusivrechte zu bezahlen. Der unerschwingliche Preis unterteilt ganze Sportligen und Turniere in immer kleinere Rechtepakete, sogenannte Sublizenzen, die nur zu einer bestimmten Anzahl an Übertragungen berechtigen. So passiert es im Fußball beispielsweise, dass sich „SKY“ und „DAZN“ seit der Saison 2018/19 die UEFA-Champions League teilen müssen. RezipientInnen müssen beide Anbieter kostenpflichtig abonnieren, wenn sie eine bestimmte Mannschaft über den gesamten Bewerb hin verfolgen wollen, denn eine frei empfangbare Alternative gibt es nicht. Das entstandene Wettbieten bestimme aktuell aber nicht nur Fußball und all seine europäischen Profi-Ligen, sondern würde sich auf immer mehr Sportarten ausdehnen. So bekommen beispielsweise auch die sportlichen Erfolge von Tennis-Ass Dominic Thiem in den meisten Fällen nur diejenigen in voller Länge zu sehen, die bereit sind dafür zu bezahlen.
Teamplayer statt Einzelkämpfer
Durch die wachsende Anzahl an Paywalls stelle sich immer öfter auch die Frage nach gesellschaftlichen Auswirkungen, die durch einen eingeschränkten Zugang entstehen würden. Menschen, die nicht die Möglichkeit haben sich kostenpflichtige Inhalte zu leisten, würden durch exklusive Inhalte ausgegrenzt werden. „Es ist wichtig, sicherzustellen, dass manche Dinge nicht komplett aus dem freien Fernsehen verschwinden“, fordert Zellhofer und ergänzt: „SportlerInnen haben auch eine gewisse Vorbildwirkung, weshalb es wichtig ist, den Bezug nicht zu verlieren.“
Mit dem Fernseh-Exklusivrechtegesetz aus dem Jahr 2001 gibt es hierzulande eine gesetzliche Liste von Veranstaltungen, die durch die „erhebliche gesellschaftliche Bedeutung“ öffentlichen Medienanstalten vorbehalten sind. Diese beinhaltet allerdings fast ausschließlich internationale Großbewerbe wie die Olympischen Winter- und Sommerspiele, Alpine Skiweltmeisterschaften, sowie Europa- und Weltmeisterschaften im Fußball mit österreichischer Beteiligung. Etwaige Versuche, die Verordnung auch auf Vereinsebene auszuweiten blieben bislang unvollendet. Denn abzuwiegen, welche Sportereignisse tatsächlich von nationaler Relevanz sind, würde sich schwierig gestalten und könne kaum an gesetzliche Bestimmungen geknüpft werden. Sportlicher Erfolg sei viel zu unberechenbar und ließe deshalb keine Planbarkeit zu, wie Zellhofer anmerkt: „Man kann nie davon ausgehen, dass wenn man Rechte für eine Periode innehat, dass dann auch wirklich ein österreichischer Vertreter mit dabei ist. Es kann passieren, dass man teuer die Europa League einkauft und dann ein Verein wie Salzburg sensationell den Einzug in die Champions League schafft, was ihnen davor zehn Jahre lang nicht gelungen ist.“
Auch ein öffentlich-rechtlicher Programmauftrag dürfe deshalb kein Anrecht auf Übertragungen von bestimmten Sportveranstaltungen bedeuten. Der freie Wettbewerb sei wichtig, bräuchte aber auch neue Wege, wie beide InterviewpartnerInnen betonen. Laut Zellhofer wären dies gemeinsame Modelle zwischen allen Wettbewerbern, um ZuseherInnen Alternativen zu bieten. Für Martin Pfanner stellt ein erfolgreiches Beispiel für ein solches Konzept US-Sports und insbesondere die amerikanische Football Liga NFL dar. Die 32 Teams vermarkten sich auf mehreren Wegen selbst, um so den Sport möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Eingefleischte Fans bekommen gegen eine jährliche Gebühr Zugang zu allen Spielen auf einem eigenen Network, während sporadische AnhängerInnen ausgewählte Spiele frei zugänglich im nationalen Fernsehen empfangen können. Auch in Österreich bietet „PULS 4“ eine Free-TV-Möglichkeit für EinsteigerInnen, während KennerInnen des Sports auf „DAZN“ dieselben Spiele mit mehr Expertise und Taktik oder dem englischen Originalkommentar verfolgen können. „Es entstehen dadurch ganz unterschiedliche Herangehensweisen zu einem Format. Sind die Einen attraktiver für die Werbewirtschaft, weil sie länger Werbung spielen, gehen andere mehr in die Tiefe ihrer Berichterstattung. Beides hat seine Daseinsberechtigung“, so Pfanner.
Schon jetzt gebe es erkennbare Unterschiede bei der Formatgestaltung zwischen freien und kostenpflichtigen Sendeangeboten. So würden sich frei empfangbare Sportformate vorrangig nach der breiten Masse richten. Die Berichterstattung versuche deswegen das Wichtigste oberflächlich abzudecken, damit GelegenheitszuseherInnen genauso folgen können wie KennerInnen des Sports. Pay-TV-Sender könnten bei ihrer Zielgruppe hingegen davon ausgehen, dass sie sich mit dem Sport identifizieren und ihr Vorwissen über Grundkenntnisse hinausgeht. Inhalte sollen ZuseherInnen deswegen mehr fordern und möglichst nahe am Sport dran sein.
Generell drehe sich heutzutage aber alles um das Live-Ereignis. Aufwendig gestaltete Hintergrundreportagen würden nicht mehr in dem Ausmaß angenommen werden wie früher. Für Zellhofer ist dies eine weitere Änderung im Nutzungsverhalten, die durch den viel umkämpften Markt entstanden ist: „Es geht heutzutage um Schnelligkeit, denn über das Internet oder auch durch das Radio brauchst du nicht direkt Sportrechte, um darüber berichten zu können. Im Fernsehen hingegen brauchst du das Live-Ereignis, um interessant zu sein.“
Verlängerung oder Neustart?
Die Aufwärtsspirale im Kampf um Übertragungsrechte werde sich deswegen auch in Zukunft weiter nach oben schrauben. Schon jetzt werden die Perioden für ausgeschriebene Rechtepakete immer kürzer, das Bieterfeld und somit auch der Preis hingegen stetig größer. Auch bislang unangetastete internationale Großveranstaltungen werden von mehreren Lizenznehmern umworben. Die Telekom sicherte sich als erstes Pay-TV-Unternehmen im deutschsprachigen Raum die Rechte an einem internationalen Wettbewerb, der Fußball-Europameisterschaft 2024.
Dem ORF stehe dadurch auch in Zukunft ein harter Kampf um Live-Sport bevor. Würde dieser auf der einen Seite vor allem Ungewissheit und Planungsunsicherheit bedeuten, entstünden dadurch auf der anderen Seite aber auch Chancen, um sich neuen Programminhalten zu widmen. So bekamen durch die freigewordenen Programmflächen zuletzt auch Nischensportarten wie Handball oder Frauenfußball mehr Aufmerksamkeit. Neben der Suche nach Alternativen konzentriere man sich beim ORF aber vor allem auch darauf, jetzige Programminhalte zu behaupten und Abhandengekommenes wieder zurückzuerobern. Möglichkeiten dafür sieht Zellhofer einerseits in der Flexibilität, auf den ständigen Wandel im Markt reagieren zu können. Auf der der anderen Seite stehe der ORF mit seinen Sendeflächen aber auch für Verlässlichkeit, ein breites Spektrum abdecken zu können: „Viele Anbieter sind oft nur daran interessiert, einzelne Höhepunkte eines Sports zu übertragen. Klassische Beispiele sind im Skifahren die Rennen in Kitzbühel und Schladming, die jeder haben will. Da ist die Chance für den ORF zu sagen, dass er das ganze Paket nimmt und nicht nur die Zuckerl.“ Dass es trotzdem gerade für lineare Marktteilnehmer nicht einfacher werden wird, bestätigen sowohl Alina Zellhofer wie auch Martin Pfanner. Für beide gehe das Duell Free-TV gegen Pay-TV, lineares Fernsehen gegen Streaming auch in Zukunft weiter: „Ich glaube, dass lineares Fernsehen nicht völlig aus dem Sportbereich verschwinden wird, aber doch ein Ablaufdatum hat“, wagt Pfanner eine Prognose. Für Alina Zellhofer wiederum, kann es trotz des aktuellen Vorteils auf Seiten von Streaming keinen endgültigen Sieger geben: „Das Geschäft mischt sich immer wieder neu durch. Es wird nie so sein, dass einer alles haben wird und alle anderen leer ausgehen. Mit dem Wettbieten kann es aber trotzdem nicht ewig so weitergehen. Irgendwann ist die Grenze erreicht.“
Einen ersten „Gamechanger“ im Kampf um Übertragungsrechte könnte dabei die Corona-Krise ausgelöst haben. Nachdem durch die weltweite Pandemie die Sportwelt und auch das Wirtschaftsleben im Frühjahr für längere Zeit stillstand, zeigte sich bei vielen Sportverbänden und Medienhäusern ein Umdenken. Gemeinsam wurden Lizenzen spontan untereinander zur Verfügung gestellt, um allen Menschen einen Zugang zu den verbliebenen Sportaktivitäten zu ermöglichen. Auch die immensen Summen, die für Sport-Übertragungsrechte bislang ausgegeben wurden, werden nun von beiden Seiten hinterfragt. Abseits des ständigen Wettbietens soll der Sport so auch nach der Krise wieder in das Scheinwerferlicht rücken.
von Michael Geltner