TIKTOK – die Zeit tickt

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Die Video-Plattform TikTok wird für die Musikindustrie wichtiger und der Einfluss auf diese größer. Nicht nur für Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch für Künstlerinnen und Künstler bietet TikTok eine Vielfalt an Möglichkeiten.

Wer 2020 einen Blick auf die aktuellen Trends wirft, kommt an einem nicht vorbei: TikTok, in China bekannt als Douyi, einer Mischung aus Filmportal und sozialem Netzwerk. Der Einfluss der chinesischen App auf die Musikindustrie – und damit auch auf Musikerinnen und Musiker, die Produktion, Charts und Verwertungsmodelle – wird größer. Der Distributionskanal, entstanden aus der App Musical.ly, wurde 2016 vom chinesischen Unternehmen ByteDance übernommen und entwickelte sich rasant zum Publikumsliebling nicht nur für Kinder.

Aktuell erreicht TikTok monatlich mehr als eine Milliarde aktive Nutzer weltweit und gehört damit zu den schnellst wachsenden sozialen Netzwerken. Im Februar 2020 konnte eine Rekordzahl von 113 Millionen App-Downloads verzeichnet werden. Der größte Markt für die chinesische App ist Indien mit insgesamt 46,6 Millionen Downloads, was einen Anteil von 41,3 Prozent am weltweiten Erfolg entspricht. Dahinter liegen Brasilien mit 9,7 Millionen und die USA mit 6,4 Millionen Downloads. Was aber genau ist es, das TikTok so attraktiv macht? Das Format von TikTok ist unkompliziert, schnell und unterhaltsam. Nutzerinnen und Nutzer performen lippensynchron zu 15 Sekunden langen Auszügen ihrer Lieblingssongs, können diese rekonstruieren, mittels Effekten und Filtern bearbeiten und machen bei Tanz-Challenges zu bestimmten Songs mit. Sie sind nicht nur mehr Zuhörer*innen sondern auch Nutzer*innen. 

TikTok als Sprungbrett

Einer der größten Vorteile der App ist es, in nur kurzer Zeit eine große Anzahl an #Followern zu sammeln und eine Fanbase aufzubauen. TikTok ist mittlerweile weit mehr als nur Unterhaltung. Die verwendeten Algorithmen sorgen dafür, dass nicht nur Titel, die ohnehin schon erfolgreich sind, gepusht werden, sondern auch jene die bis dato unbekannter waren. TikTok – Streaming Charts – Radio – Plattenfirma. Das wohl aktuellste Beispiel für diesen Werdegang ist Lil Nas X, der aufgrund der App seinen Durchbruch als Künstler geschafft hat. Der Hit, „Old Town Road“ (ursprünglicher Song des Countrysängers Billy Ray Cyrus) erlangte durch TikTok an Bekanntheit und Reichweite, nachdem Userinnen und User den Song für Videos genutzt hatten. Von da an kletterte der Hit an die Spitze der Streaming-Charts, wanderte von da weiter in die Radios und in die Billoard Charts. So auch viele andere Hits, die mit ihrer Reichweite Plattenfirmen auf sich aufmerksam gemacht haben. 

Einfluss auf Produktion

Sieht man sich genauer auf TikTok um, lässt sich schnell erkennen, dass vor allem ein Musikgenre auf der Plattform dominiert: Rap. Warum das so ist, lässt sich auf den Aufbau und die Art dieser Musikform zurückführen. Rap ist rhythmisch, repetitiv und klingt gut auf Handylautsprechern – dort, wo TikTok zuhause ist. Um ein gewisses Feeling über die Handylautsprecher zu erzeugen, sollten die Songs verzerrt, aggressiv und lärmig sein – ganz anders also als noch vor einigen Jahren, wo basslastige und geschmeidige Stücke den Vortritt hatten. Immer mehr Musikerinnen und Musiker orientieren sich deshalb an der Struktur von TikTok. Die nur 15-sekündigen Videos verlangen eine spezielle Dramaturgie – zum Beispiel einen 11-sekündiges Intro mit darauffolgendem 4-sekündigem Höhepunkt.  Musik wird inzwischen nicht mehr nur gehört, sondern lädt viel mehr zur Interaktion ein. Dass die App ihren Ursprung in Asien hat, Vorreiter von Karaoke Trends, überrascht nicht. Dort laden zahlreiche Bars zum Karaoke-Singen ein, eine beliebte Freizeitbeschäftigung für die Bevölkerung.

Klicks statt Geld

Aktuell bekommen Künstlerinnen und Künstler für die Verwendung ihrer Musik nur winzige Beträge, im Vergleich zu dem, was man auf anderen Plattformen erhält. Einnahmen können auf der App nicht direkt, sondern über Umwege generiert werden.  Für einen Sponsored Post zahlen Marken aktuell pro 10.000 Follower 100 Dollar (80 Euro). Außerdem können Nutzer*innen den Künstler*innen virtuelle Geschenke für eine Anzahl an sogenannten Coins geben. Für 1,09 Euro erhält man 100 Coins.

TikTok fungiert vordergründig als Plattform für Aufmerksamkeit und Publicity. Mittlerweile verhandeln einige Labels über Lizenzierungsverträge für die Kataloge der Plattenfirmen mit TikTok. Auch mit der Lizenzplattform Merlin hat die Plattform eine Vereinbarung über die weltweite Nutzung des gesamten Katalogs ihrer Mitglieder getroffen. Merlin ist Rechtevertreter für mehr als zehntausend unabhängige Musikunternehmen, und verhandelt in deren Namen die Lizenzverträge mit Streamingdiensten wie Spotify. Das Repertoire der Merlin Mitglieder macht rund 15 % des Marktes für Musikaufnahmen aus. Wenn ein Tiktok-Nutzer das Lied eines Indie-Künstlers verwendet, fließt nun Geld an jenes Label, das die Rechte an dem Stück hält. Das wiederum schüttet das Geld an die Künstler aus. Bei den Verträgen soll es sich allerdings um kurzfristige Deals von nur 18 oder 24 Monaten handeln, da man die Entwicklung der App abwarten wolle. Wie groß der Anteil am Kuchen ist, ist jedoch fraglich. Eines ist jedoch klar: TikTok mischt die Musikindustrie gehörig auf und steckt voller Potentiale.

Über die Autorin

Copyright: Laura Jonser

Laura Jonser, ursprünglich aus der Steiermark, studiert Medienmanagement mit Schwerpunkt Online an der Fachhochschule St. Pölten. In ihrer Freizeit widmet sie sich ihrem Blog und der Fotografie.

Kontakt: https://www.achtgrammliebe.com/