Sebastian Kurz sorgte im Februar dieses Jahres für Aufsehen, als er in einem Hintergrundgespräch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft scharf kritisierte und in diesem Zusammenhang von „roten Netzwerken“ innerhalb dieser Organisation redete. SUMO sprach mit Florian Beißwanger, deutscher Journalist und Autor des Buches „Hintergrundgespräche: Konsensuales Geheimnis-Management im Mediensystem des digitalen Zeitalters“, sowie mit Gernot Bauer, Journalist bei der Wochenzeitung „Profil“, über die Sinnhaftigkeit von Hintergrundgesprächen, die Einhaltung von Regeln und Vertrauen.
Hintergrundgespräche gibt es seit vielen Jahren und sind aus dem heutigen Zusammenspiel zwischen Politik und Medien nicht mehr wegzudenken. Dabei sollen PolitikerInnen in vertrautem Rahmen bestimmte Einschätzungen und Standpunkte näher erläutern. KritikerInnen befürchten jedoch, dass in diesen Gesprächen vertrauliche Geheimnisse ausgetauscht werden. Strenge Regeln, die von allen beteiligten AkteurInnen einzuhalten sind existieren. Was geschieht jedoch, wenn aus einem als vertraulich gekennzeichneten Hintergrundgespräch trotzdem Informationen an die Öffentlichkeit gelangen?
Ohne Vertrauen keine Hintergrundgespräche
„Die wichtigste Grundlage in Hintergrundgesprächen ist das Vertrauen“, sind sich Florian Beißwanger und Gernot Bauer einig. Die TeilnehmerInnen sollten sich stets an die vereinbarten Regeln halten, denn wird gegen diese Regeln der Vertraulichkeit verstoßen, würde das „Instrument“ Hintergrundgespräch beschädigt werden, so Beißwanger. Es käme immer wieder vor, dass eigentlich vertrauliche Informationen aus Hintergrundgesprächen an die Öffentlichkeit gelangen, was dazu führe, dass es für JournalistInnen immer schwieriger würde, wirklich Interessantes in solchen vertraulichen Gesprächen zu erfahren, so Beißwanger weiter. Ähnlich sieht das Bauer, der die Vorteile von Hintergrundgesprächen nennt. Seine persönlichen Erfahrungen seien durchwegs positiv, da PolitikerInnen dadurch „ungezwungen und frisch von der Leber weg“ über bestimmte Themen sprechen könnten. Sobald Notizen gemacht werden oder das Gespräch aufgezeichnet wird, würden sich die meisten PolitikerInnen verschließen.
Keine Staatsgeheimnisse
„Man muss sich davon lösen, dass Hintergrundgespräche streng geheime Treffen sind, bei denen über Staatsgeheimnisse geplaudert wird“, gibt Bauer zu bedenken. Vielmehr würde es um Einschätzungen und genauere Erklärungen zu bestimmten Sachthemen gehen. „Wirklich spannende Informationen erfährt man wenn, dann nur unter vier oder sechs Augen“ und diese Art der Informationsmitteilung sei meistens nicht geplant und würde in einem schnellen, spontanen Telefonat geschehen. Daher seien die meisten Hintergrundgespräche konstruktiv und ohne dass tatsächliche Staatsgeheimnisse ausgeplaudert werden würden. Bießwanger sagt, dass Neid und Missgunst unter KollegInnen in der Politik in der Politik oft stattfänden und ergänzt: „Gelegentlich lästern PolitikerInnen in Hintergrundgesprächen, was sie jedoch nicht tun sollten, da es ein schlechtes Licht auf sie wirft und es meist doch herauskommt.“ Laut Bauer würden Kritikäußerungen gegenüber anderen PolitikerInnen nicht oft vorkommen. Dass „ein/e PolitikerIn eine/n andere/n PolitikerIn so richtig vom Leder zieht, habe ich noch nie erlebt“, das sei eine absolute Ausnahme. Früher konnte es durchaus vorkommen, dass Gespräche zwischen PolitikerInnen und JournalistInnen bei Klausuren an der Bar stattfanden, bei denen es zu Unmutsäußerungen kam. Wobei dann eher über die eigenen „ParteifreundInnen“ geschimpft wurde, und selbst das sei schon lange her. Mittlerweile seien alle PolitikerInnen professionell und würden wissen, worüber sie zu sprechen haben und worüber besser nicht, berichtet Bauer.
Spielregeln festlegen
Um späteren Missverständnissen vorzubeugen, sei es wichtig, die Spielregeln im Vorhinein klar festzulegen, erzählt Bauer. Dabei gelten in Deutschland folgende drei Regeln, wie Beißwanger erklärt: „Unter eins“ heißt, dass der/die Journalist/in über den genannten Inhalt des Gesprächs berichten und auch die Quelle nennen dürfe. Bei der Regel „Unter zwei“ darf die Quelle nicht genannt, sondern lediglich umschrieben werden, wobei der Inhalt des Gesprächs sehr wohl veröffentlicht werden dürfe. Ein Beispiel: Sebastian Kurz äußert sich negativ über seinen grünen Koalitionspartner, da er mit der Regierungsarbeit der grünen MinisterInnen unzufrieden ist. JournalistInnen dürften dann etwa so darüber schreiben: „Aus ÖVP-Regierungskreisen ist zu vernehmen, dass man derzeit nicht sonderlich zufrieden über die Arbeit der grünen MinisterInnen im Kabinett ist.“ Damit ist der/die QuellengeberIn geschützt, der Informationsinhalt erscheint jedoch in den Medien. Die Regelung „Unter drei“ besagt, dass über die besprochenen Inhalte nicht berichtet werden dürfe. Diese Informationen würden lediglich dem näheren Verständnis der JournalistInnen dienen. Laut Bauer sei im Einzelfall festzulegen, welche Regel für welches Hintergrundgespräch gilt. So bald Notizen gemacht werden oder Notizblöcke vor Ort aufliegen, sei es nicht mehr wirklich ein Hintergrundgespräch, sondern „semioffiziell“.
Das Nähe-Distanz-Problem
Dass es bei derart vertraulichen Gesprächen vor allem in kleinerem Rahmen zu einer Annäherung zwischen PolitikerIn und JournalistIn kommt, ist unumgänglich. Laut Florian Beißwanger sollte es zumindest in Deutschland so sein, dass „jede/r PolitikerIn ungefähr sieben so genannte „VertrauensjournalistInnen“ hat, mit denen er/sie in einem engen Austausch steckt.“ Dieses Verhältnis sei wichtig, damit er/sie diese dementsprechend „bedienen“, also mit Informationen versorgen kann. Man könne, wenn man die Medien näher beobachtet, sehr gut erkennen, welche/r JournalistIn über welche/n PolitikerIn berichtet. Ganz anders sieht das Gernot Bauer. „Die Zeit der großen Nähe ist vorbei und ‚Verhaberung‘ im Ausmaß wie früher gibt es nicht mehr.“ Nicht einmal bei JournalistInnen, die bereits lange in der Medienbranche tätig sind. Beide Seiten wären in den letzten Jahren professioneller geworden und hielten mehr Distanz, so Bauer und erläutert weiter: „Vertrauen ist keine Sache der ‚Verhaberung‘. Vertrauen entsteht durch Erfahrung.“
Amsterdamer Frühstücksaffäre
Das wohl berühmteste Beispiel, bei denen Informationen eines Hintergrundgespräches veröffentlicht wurden, war die „Amsterdamer Frühstücksaffäre“ mit dem ehemaligen Außenminister Wolfgang Schüssel. Dabei bezeichnete Schüssel den damaligen deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer bei einem Hintergrundgespräch mit österreichischen JournalistInnen in Amsterdam als „richtige Sau“. „Was genau Schüssel mit dieser Aussage meinte, ist immer noch unklar“, sagt Bauer. Dabei handelte es sich laut ihm um ein tatsächliches Hintergrundgespräch, bei dem Schüssel seine persönliche Sicht der Dinge offenbarte. Über Umwege seien diese Informationen schließlich an die Öffentlichkeit gelangt.
Hintergrundcharakter wird verlorengehen
Auf die weitere Entwicklung von Hintergrundgesprächen angesprochen, erzählt Bauer, dass sie „in der jetzigen institutionalisierten und formalisierten Form“ weiter bestehen werden. Womöglich wird der Hintergrundcharakter verlorengehen und mehr in Richtung einer Pressekonferenz wandern. Wie sich Hintergrundgespräche in Zukunft entwickeln, würde aber auch an den politischen AkteurInnen selbst liegen. Ob diese Art von Gesprächen dann überhaupt von MedienvertreterInnen angenommen wird, sei eine andere Frage, gibt Bauer an, der sich ebenso gut vorstellen könnte, dass in Zukunft auch BloggerInnen zu Hintergrundgesprächen eingeladen werden.
Von David Pokes