Kreativität im Zeitalter der Algorithmen: KI in Werbekampagnen und die ethischen Fallstricke

Von Tim Saint-Jalmes

1946, nur wenige Jahre nach Konrad Zuses Erfindung, äußerte Pablo Picasso: „Computer sind absolut nutzlos. Sie können nur Antworten geben. “ Mit der Entwicklung des Computers entsteht Mitte des letzten Jahrhunderts der Begriff KI (Künstliche Intelligenz) in der Wissenschaft, in den folgenden Jahrzehnten gelangt die KI in die Medizin, findet Anwendung in der Informatik, „spielt“ Schach und erreicht 2011, als Apples Sprachassistent Siri oder Amazons Alexa den Alltag. Seitdem hat die KI Eingang in viele Bereiche der Wirtschaft gefunden: in die Fertigung mit Robotern der Automobilindustrie zum Beispiel, insbesondere aber auch ins Marketing und in die Werbung. Aber werden Text- und Bildgenerierungsmodelle die Kreativen vollständig ersetzen?

Auf etsy.com kann man sie schon kaufen: KI-generierte Kunstwerke, romantische surrealistische Landschaftsgemälde oder Fotoporträts.   

ChatGPT ist ein Sprachverarbeitungsmodell, das darauf trainiert wurde, menschenähnliche Texte zu erzeugen, indem es riesige Mengen von Texten analysierte und daraus Muster erlernte“, schildert Stephanie Meisl, alias s.myselle, das Generieren von Texten und Bildern mit KI. Sie arbeitet in der Filmproduktion, als Trainerin am WIFI und an mehreren Hochschulen, als Chief AI Officer bei der Full Future Consulting GmbH, veranstaltet Workshops zum Thema Künstliche Intelligenz. Daneben baut sie derzeit das Künstlerkollektiv D#AVANTGARDE auf.

Werbung mit KI

Wie die erste gänzlich mit Künstlicher Intelligenz erstellte Tourismus-Werbekampagne in Kärnten entstand, verrät Roland Sint, Geschäftsführer der Wörthersee-Rosental-Tourismus GmbH. „Nachdem wir uns darüber unterhalten haben, wie KI auch auf unseren Bereich Einfluss nehmen wird, nach unserer Diskussion über ChatGPT und was das alles kann, fragte mein Kollege Daniel mich ‚Trauen wir uns das?’ Und da habe ich gesagt: ‚Ja, wir trauen uns das!’“, sagt Sint.  

Bei Daniel handelt es sich um Daniel Gollner von ContentKumpanei, einer Agentur, die projektbezogen visuelle Inhalte für verschiedene Marken erstellt. Er entwickelte Anfang 2023 eine Video-Werbekampagne mit KI-Technologie. Story und Voiceover wurden von ChatGPT generiert, Tools wie DALL-E und MidJourney produzierten die Bilder. Auch die Musik wurde von KI komponiert. „Es war spannend zu sehen, wie leistungsfähig und effizient KI ist, und wie sie am Markt wirkt“, erzählt Sint.   

Die Vorgabe der Auftraggeber lautete lediglich: Erstelle einen Werbespot von sechzig Sekunden für eine wunderschöne Urlaubsregion mit einem See, als Gegenwelt zur Stadt. Was folgte, war enorm effizient: Die KI entwarf ein Skript, Szene für Szene, Bild für Bild. Mit diesem Skript wurde, ein bisschen aufwändiger, die Bildgebung gebrieft, und entsprechend der Spotvorgaben entstanden die Bilder.

Dem grauen Arbeitsstress in einer verregneten Stadt mit durchdringenden Alltagsgeräuschen der Einzelkämpfer, Autohupen, Telefongeklingel, Stimmengewirr folgen Vogelgezwitscher und Entspannungsmusik in der sonnenbeschienenen pastellfarbigen Landschaft des abendlichen Wörthersees, harmonische Begegnungen mit Freizeitmenschen und einladende Ruhe. 

Der Spot wurde – von Menschen – zusammengefügt, die Textpassagen und letztendlich den Pressetext schrieb die KI. Von der ersten Idee über die Erstellung bis zum Go Live der Kampagne dauerte es nur fünf Werktage. Im Vergleich zum Agenturgeschäft ohne den Einsatz von KI ist das wahnsinnig schnell, wo für eine derartige Werbekampagne mit mehreren Wochen gerechnet werden muss.  

Der Werbespot für den Wörthersee war ein Experiment, das gut funktioniert hat; der Werbefilm erlangte als Pre-Roll Werbung auf YouTube eine Completion-Rate von über 50 Prozent. Ein Wert, der gleich gut, in Teilbereichen sogar besser als bisherigen Kampagne der Wörthersee-Rosental Tourismus GmbH ist. Das Ergebnis wurde von Sint und Gollner kritisch betrachtet, aber akzeptiert. Wichtig war ihnen, zu erwähnen, dass der Film mit KI erstellt wurde. Im Spot wird per Einblendung permanent dieser Hinweis gegeben und auch textlich wird im Prompt darauf hingewiesen.

Kreativindustrie in Zukunft menschenleer? 

Laut Sint wird es in der Werbebranche einen Riesenumbruch geben. Das Schreiben von Text geschieht schon heute in unglaublich hoher Qualität, und andere Programme entwickeln sich sehr schnell weiter. Die Möglichkeiten sind riesig, aber auch die Skepsis ist groß. Ist Künstliche Intelligenz eine Bedrohung oder eine Chance? Bekannte Berufe verschwinden, aber auch neue Berufe entstehen. Prompt Designer werden die KI so briefen, dass das Ergebnis dem entspricht, was sich der Auftraggeber wünscht.  

Meisl sieht im zunehmenden Einsatz von KI im kreativen Bereich jedoch nicht nur Vorteile: das Instrument sei noch nicht ausgereift genug, um eine gewisse Ästhetik zu treffen, wie sie in Projekten genau erwartet wird. Wichtige Grundlagen sind das Briefing, Kenntnisse der kreativen Arbeitsprozesse, und die Richtige Auswahl der Werkezuge im Umgang mit diesen neuen Technologien.

Ihrer Meinung nach wäre man immer gut beraten, die gängigen Kreativ Tools zu beherrschen (z.B. Adobe Suite). Letztendlich hängt das Ergebnis von der menschlichen Kreativität und vom Konzept ab: Wenn das Konzept schlecht ist, wird die KI-generierte Arbeit ein Manko nur oberflächlich ausgleichen können. Dasselbe gilt für Emotionalität: Wenn Konzept oder Projekt von einem Menschen zusammengestellt werden, der Emotionen versteht und Emotionen kreativ umsetzen kann, dann wird das auch in den Sujets transportiert.

Aber könnte die KI nicht menschliche Kreativprofis sogar vollständig ersetzen? Hierzu räumt Meisl ein, dass KI sicher den kreativen Arbeitsbereich verändern wird. Wer und ob überhaupt jemand ersetzt werden kann, wird sich erst mit der Zeit herausstellen.  

Während der Corona-Pandemie konnten keine Präsenzbesprechungen, sondern nur Online-Meetings stattfinden, was zwar die Kommunikation aufrechterhielt; diese Art der Kommunikation über Videokonferenzen schaltet jedoch die emotionale Komponente aus, sagt Sint. Die persönliche soziale Interaktion von Menschen bleibt ein hohes und wichtiges Gut, auch in der Werbebranche.  

Digitale Ethik 

Die Frage ist nur, ob die Werbeagenturen versuchen, das Ergebnis der KI als ihren eigenen Kreativprozess zu verkaufen oder, ob sie offen sagen werden, dass sie mit KI gearbeitet haben. Das ist eine ethische Frage nicht nur für die Agenturbranche. Auch mit Hinblick auf datenschutzrechtlichen Bestimmungen werden neue Berufe und Aufgaben entstehen, von der Datenfreigabe bis zum Training der KI. 

Bei der Bildgenerierung bedient sich KI an bereits vorhandenen, von Menschen erstellten Werken. Dadurch entsteht die Frage, ob es überhaupt moralisch vertretbar sei, durch KI erstellte Kunstwerke für Werbekampagnen zu benutzen.    

Seit jeher kopiert die Werbung Kunstwerke von Menschen und macht sie sich in Kampagnen zu eigen, sagt Meisl. In Berlin gäbe es einige Künstler, die ihre Werke daher nicht mehr digital herzeigten, weil diese ungefragt von der Werbung adaptiert würden. Sie selbst habe sehr oft mitbekommen, dass man zum Beispiel auf Behance ein Moodboard zusammenstellt, und dann einen Illustrator oder Grafiker bittet, den einen oder anderen Stil an die Kampagne anzupassen.    

KI – enorme Chancen, enorme Risiken    

„Die Zukunft hat längst begonnen! In zehn Jahren wird es keinen Bereich mehr geben, der nicht mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat“, sagt Christian Sievers in der ZDF-Sendung heute journal vom 30. April 2023. Deshalb müssen schon heute ethische Grundsätze aufgestellt und Regeln vereinbart werden, der Markt muss reguliert und ein moralischer Wertekodex muss respektiert werden. Derzeit wird daher über eine EU-Kennzeichnungspflicht von mit KI entstandenen Werken diskutiert.

 

Tim Saint-Jalmes | Copyright: Nikolas Rode