Das Klimajournalismus-Netzwerk und sein Kodex: Fünf Gebote ohne Wert?

Die Corona-Pandemie brachte das „Netzwerk Klimajournalismus Österreich“ hervor, einen Zusammenschluss heimischer Klimajournalistinnen und -journalisten. Im Frühling 2023 präsentierte das Netzwerk den „Klima-Kodex“ – doch wie sieht der aus? Wie bindend ist er für seine Unterzeichner? Und am wichtigsten: Bringt er überhaupt etwas? Dazu analysierte das SUMO-Magazin die Berichterstattung einzelner Medien, die sich dem Kodex verpflichtet haben, und sprach mit der Netzwerk-Mitgründerin Katharina Kropshofer. Plus: Wie sieht Daniel Lohninger, Chefredakteur der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN), den Kodex, den die NÖN als größtes Medienhaus Niederösterreichs vorerst nicht unterzeichnet hat?

von NIKOLAI DANGL

Wir schreiben den 16. März 2020: Österreichs Bundesregierung verhängt den ersten Lockdown, die Corona-Pandemie hat die Alpenrepublik erreicht. Ein Tag für die Geschichtsbücher – auch für jene des heimischen Klimajournalismus. Warum? Nun, die beispiellose Ausnahmesituation, die der Lockdown nach sich zieht, ist der Startschuss zur Gründung des „Netzwerk Klimajournalismus Österreich“.

„Corona-Baby“ – so treffend bezeichnete auch Katharina Kropshofer, Journalistin bei der Wiener Wochenzeitung „Falter“, das „Netzwerk Klimajournalismus Österreich“. Zwischen Lockdowns und Home Office, Kurz-Affäre und „Querdenker“-Demos gründete sie mit Clara Porák und Veronika Winter den Journalismus-Zusammenschluss. Porák ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des von Kropshofer mitgegründeten Online-Mediums „andererseits.at“, das sich für Journalistinnen und Journalisten mit Behinderungen einsetzt. Winter komplettiert das Trio als Klimabildungs-Expertin.

Seither ist viel passiert: Ein Kernteam hat sich etabliert.

Laut der Netzwerk-Website „klimajournalismus.at“ zählt es zehn bis 30 Menschen, laut Kropshofer aber sind es „nur zehn bis 15“ Personen – im nächsten Atemzug klärt sie den Widerspruch auf: „Das schwankt sehr. Zehn bis 15 Leute sind im Kernteam und dann gibt es noch gut 30, die regelmäßig bei den Events mitarbeiten.“ Apropos Events: Von Ende August bis Anfang Februar veranstaltete das „Netzwerk Klimajournalismus Österreich“ gemeinsam mit dem „Netzwerk Klimajournalismus Deutschland“ einmal pro Woche mittwochs online das „5vor12 Klima-Briefing“. Sechsmal fand es statt, behandelte mit je einem Experten ein spezifisches Thema. Beispielsweise ging’s um „Lobby-Narrative“, „polarisierende Debatten“ oder „soziale Kipppunkte“. Die Zielgruppe: Journalistinnen und Journalisten. Bei so einem verhältnismäßig größeren Event würden dann auch mehr Menschen als die erwähnten 30 mithelfen. Zusätzlich hält das Netzwerk unter anderem Workshops und Pressebriefings ab – meist mit zwei Experten. Seit Herbst gibt’s außerdem am jeweils letzten Dienstag jedes Monats einen „Stammtisch“ zu unterschiedlichsten Themen in kleineren Kreisen. Generell würden die Angebote laut Kropshofer zwar angenommen werden – besonders die Teilnehmerzahl bei Online-Events hätte sich seit dem Ende der Corona-Pandemie aber spürbar reduziert: „Während der Lockdowns war es leichter, Leute für so etwas vor den Bildschirm zu bekommen.“ Dennoch wird’s eine zweite Staffel des „5vor12 Klima-Briefings“ geben.

Aber ist es denn wirklich fünf vor zwölf? „Ich kann nur wiedergeben, was die Wissenschaft sagt: Da schwanken ja die Aussagen zwischen ‚fünf vor zwölf‘ und ‚fünf nach zwölf‘. Ich persönlich denke, dass es nie zu spät ist, etwas tu tun – aber die Begrenzung der Erderwärmung auf eineinhalb Grad Celsius ist wohl mittlerweile unrealistisch“, sagt Kropshofer, die gerade deswegen, weil es eben „nie zu spät“ sei, das Netzwerk gründete: „Das Thema braucht noch mehr Aufmerksamkeit.“ Tatsächlich drängte die Corona-Pandemie Klima-Themen eine Zeit lang massiv in den Hintergrund – und als die Gesundheitskrise dann endete, überfiel Wladimir Putin die Ukraine und war damit Top-Thema in sämtlichen Medien. Erneut zum Leid der Klimakrise. „Wir haben uns regelmäßig ge-fragt: ‚Wieso schafft es dieses Thema nie auf die Titelseiten?‘“

Wie kam’s zum Kodex?

Um das Netzwerk mitten zwischen Lockdowns und Kontaktbeschränkungen zu gründen, trafen sich Kropshofer, Porák und Winter erst online. Anfangs wuchs es rasant: „Das war auch Corona geschuldet. Wir waren sicher nicht die ersten, die sich damit beschäftigt haben – aber eben die ersten, die sich getraut haben, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.“ Dabei ist Kropshofer aber wichtig zu unterstreichen: „Wir sind keine Super-Expertinnen, sondern mehr eine Selbsthilfegruppe.“

Medial ist das Netzwerk eher Randerscheinung, abseits der Medien-Blase kaum bekannt. Dabei gab’s 2023 einen Meilenstein zu verzeichnen: Am Abend des 23. Mai wurde der „Klima-Kodex für eine angemessene Klimaberichterstattung“ präsentiert. Von Journalistinnen und Journalisten unterschiedlichster Redaktionen wurde er in Zusammenarbeit mit dem „Climate Change Centre Austria“ erarbeitet. Für die Wissenschaft griff Daniel Huppmann vom „International Institute for Applied Systems Analysis“ unter die Arme.

Und was steht da drin? Der Kodex beschreibt die Klimakrise als die „dringlichste Krise“ gemeinsam mit dem Artensterben und hält fest, dass sie „unsere Lebensgrundlage“ gefährde und deshalb „höchste Priorität“ genießen müsse. Weiters sei ein „stabiles Klima“ „Voraussetzung für ein sicheres und friedliches Zusammenleben“. Der Kodex mahnt von den Medien „angemessenen Platz und Ressourcen“ und die Anerkennung der wissenschaftlichen Fakten sowie die „ressort- und themenübergreifende Dimension“ ein. Die Unterzeichner müssten „auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse angemessen“ über die Krise berichten und „neben den Folgen der Erderhitzung auch unterschiedlichste Lösungen und Handlungsmöglichkeiten“ aufzeigen. Außerdem ist festgeschrieben, dass Klimajournalismus „kein Aktivismus“ sei. Im abschließenden Punkt ruft der Kodex dazu auf, auf „eine Bebilderung und Wortwahl, die dem Ausmaß und den Folgen der Klimakrise gerecht wird“, zu achten – und untersagt Verharmlosung. Auf Seite zwei sind dann vier wissenschaftliche Werke zur Untermauerung angeführt.

„Wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen. Die meisten Redaktionen stehen dahinter“, sagte noch am Präsentationsabend Netzwerk-Sprecherin Verena Mischitz. Angelehnt wurde der Kodex an die „Klimacharta“, die in deutsch-österreichischer Zusammenarbeit entstand und sich nicht an Medienhäuser, sondern Journalistinnen und Journalisten als Einzelpersonen richtet – und länderübergreifend mittlerweile über 450 Unterschriften zusammengebracht hat.

Die Abstinenz der großen Player

Wie der Kodex wirklich ankommt? Laut der Website des Netzwerks haben ihn „mehr als 25 Medienunternehmen“ unterzeichnet. Zählt man nach, sind es 28 – wobei angemerkt sei, dass die RegionalMedien Austria (RMA) gleich neunmal unterschrieben haben: Für acht Bundesländer (interessanterweise fehlt Vorarlberg) und einmal für ihre Gesundheits-Sparte. Auch Kropshofers eingangs erwähntes Medium andererseits.at unterschrieb. Wertet man die RMA-Varianten also nur als eine Unterschrift und Kropshofers zweites Baby nicht, bleiben von 28 noch 19 – auch kein schlechter Wert, wobei auf den ersten Blick schon klar wird, dass die großen Player der heimischen Medienbranche fehlen. Die „Promis“ auf der Liste sind die „Austria Presse Agentur“ (APA), die „Wiener Zeitung“ (die noch zu Print-Zeiten unterzeichnete und den Kodex auch nach der „Wiedergeburt“ als reines Online-Medium im Juli 2023 unterstützt) und das Boulevard-Blatt „Heute“ sowie das Magazin „DATUM“ und „Moment.at“ – das Onlineportal des „Momentum Institut“. Der Rest bewegt sich in Nischen.

Auch Medienhäuser, die nicht unterzeichnet haben, bekannten sich zum Kodex-Inhalt: Etwa der „ORF“ oder die „Kleine Zeitung“. Letztere will einen eigenen „Code of Conduct“ verfassen. Ebenfalls nicht unterzeichnet wurde der Kodex vom größten Medienunternehmen Niederösterreichs, den „Niederösterreichischen Nachrichten“ – obwohl Chefredakteur Daniel Lohninger bei den anfänglichen Kickoff-Events mit von der Partie war. Anschließend seien keine weiteren Einladungen mehr gefolgt, erzählt er, betont aber: „Das Netzwerk ist auf jeden Fall eine gute Idee, weil bei diesem Thema ein fachlicher und journalistischer Austausch passieren soll. Inwiefern es dafür einen eigenen Kodex braucht, kann man diskutieren. Es gibt ja auch den Ehrenkodex des Journalismus, möglicherweise könnte man die Klimathematikauch dort einbauen.“ Ein Wunschtraum für Kropshofer: „Das wäre schön. Der österreichische Presserat unterstützt uns und war von Anfang an dabei. Manche Aspekte decken sich aber eh, wie zum Beispiel, dass faktenbasierte Berichterstattung passieren soll. Wir sind im regen Austausch, also warum nicht?“

Die Ehrenamtlichkeit als Klotz am Bein

Während des Gesprächs mit Lohninger offenbart sich der Klotz am Bein des Netzwerks: die Ehrenamtlichkeit. Das Netzwerk ist für alle im Kernteam nur „Beiwagerl“ neben dem Brotberuf, auf Kosten der Außenkommunikation. Das räumt auch Kropshofer ein.

Lohninger erfährt erst im Gespräch mit SUMO vom fertigen Kodex – genauso wie der Geschäftsführer der NÖN/BVZ-Gruppe, Michael Ausserer, der sich aufgeschlossen gab: „Auch ganzunabhängig vom ‚Klima-Kodex‘ stehen bei ‚NÖN‘ und ‚BVZ‘ (Burgenländische Volkszeitung, Schwesternblatt der NÖN, Anm.) die Themen christliche Schöpfungsverantwortung, Nachhaltigkeit und bedachter Umgang mit menschlichen und natürlichen Ressourcen ganz zentral im Mittelpunkt.“ Eine Unterzeichnung kann sich Lohninger vorstellen: „Vorher müsste man die Inhalte kennen und noch intern diskutieren, ob sie auch mit der Blattlinie und dem Redaktionsstatut vereinbar sind.“ Kropshofer kündigt an, sich bei der „NÖN“ zu melden.

Aber warum braucht Klimajournalismus überhaupt einen Kodex? Sie führt aus: „Ich trau‘ mich das sagen, es ist die größte Krise im Jahrhundert. Wir wollten keine Meinung, sondern allgemeingültige Grundsätze festlegen. Weil es oft genau Geschichten zu diesem Thema sind, die am ehesten auf nächste Woche verschoben werden – vor allem, wenn man kein Ressort oder Format hat, wo das regelmäßig vorkommt.“ Sie ergänzt bestimmt: „Es geht aber nicht darum, in redaktionelle Linien einzugreifen.“ Konsequenzen hat ein Verstoß gegen die Richtlinien nämlich keine: „Bis jetzt halten sich alle daran.“

Auf die Finger geschaut

Halten sich tatsächlich alle daran? SUMO nahm das unter die Lupe. Das Ergebnis: tatsächlich. Selbst das Boulevard-Blatt „Heute“, eher bekannt durch reißerische Schlagzeilen und Artikel, steigt beim Thema Klima auf die Bremse, gibt sich sachlich. Die Zeitung von Eva Dichand – immerhin jene mit der drittgrößten Leserschaft im Land – hat sogar die Initiative „Heute For Future“ gegründet, angelehnt an „Fridays For Future“.

Auch die „APA“ setzt auf fundierte und faktenbasierte Berichterstattung – ebenso wie das Traditionsmedium „Wiener Zeitung“. Je regionaler und nischiger die Unterzeichner werden, desto weniger berührt einige im Tagesgeschäft die Thematik klarerweise. Abgesehen von Ausnahmesituationen, wie jenen im Spätsommer des vergangenen Jahres in Kärnten. Ist das Thema für den Lokaljournalismus in Österreich derzeit noch etwas unnahbar? Lohninger, selbst Waldviertler und damit unweigerlich durch das Jahrhunderthochwasser in seiner Heimat 2002 geprägt, verneint: „Der Klimawandel ist für alle Medien von Bedeutung, gerade für uns als Lokalmedium.“

Fakt ist, dass der Klimawandel und die ihn flankierende Klimakrise spätestens mit den Hochwassern in Kärnten auch Österreich endgültig aufgezeigt hat, wo’s hingehen könnte – wenn nicht schleunigst Maßnahmen zur Eindämmung der Erderhitzung getroffen werden. Die Medienwelt trägt eine Verantwortung, der Journalismus besonders: Er soll informieren, darf aber nicht Partei ergreifen. „Wir müssen aufpassen, dass wir unserem Objektivitätsgebot nicht widersprechen und schon die komplette Bandbreite der Meinungen zu diesem Thema abdecken – und zum Beispiel nicht nach einer möglichen Unterzeichnung des Kodex nur mehr Stimmen in eine Richtung publizieren“, meint Lohninger. Kropshofer verweist auf die Schwierigkeit, objektiv zu bleiben: „Die Linie zwischen Parteilichkeit und einer auf den wissenschaftlichen Fakten basierten Berichterstattung ist bei diesem Thema halt sehr knapp. Uns wird auch immer Aktivismus vorgeworfen. Wir wollen uns mit einer faktenbasierten Berichterstattung der Wahrheit annähern.“

Mittel ohne Wert?

Bringt das „Netzwerk Klimajournalismus Österreich“ und dessen Kodex also nun etwas oder nicht? „Hilft’s nichts, schadet’s nichts“ lautet ein heimisches Sprichwort, das es wohl gut auf den Punkt bringt. Beide Dinge sind Schritte in die richtige Richtung – der Weg aber weit. Die österreichische Medienwelt ist eben mehr, die Unterzeichner – mit Ausnahme einzelner – aber wohl zu klein. Zu wenige Medien haben ein Ressort für diese historische Krise installiert, teils gibt’s gerade eine zuständige Person – oder niemanden.

Ressortübergreifend behandelt wird das Thema dann auch zu selten. „Information über die Klimakrise ist die zentrale Aufgabe im Jahrzehnt, das über die Zukunft der Menschheit entscheidet. Das muss zu einem Leitsatz der Medienwelt werden“, schrieb Aktivist Manuel Grebenjak schon Anfang Februar 2021 im „Standard“. Leitsatz der Medienwelt ist diese Forderung bis heute keiner geworden. Das Netzwerk und sein Kodex – beides Bausteine in diese Richtung. Für deren Erreichung aber die ganze Branche an einem Strang ziehen müsste, um die Bevölkerung in breiten Teilen besser aufzuklären und auch jene wieder mit ins Boot zu holen, die schon vor Jahren abgesprungen sind. Jüngste antisemitische Eskapaden Greta Thunbergs im Konflikt Israels mit den radikal-islamischen „Hamas“ halfen der gesamten Bewegung nicht. Und Österreichs Medienwelt – sie zieht für die Klimakrise eben nicht an einem Strang.

Nikolai Dangl | Copyright: Julius Nagel