Überheblich, hässlich, dumm – Geschlechtsbezogene Hate Speech in sozialen Medien

In führenden deutschsprachigen Zeitungen wird der Feminismus in letzter Zeit als „Gender-Kampf“ oder „Krieg der Geschlechter“ bezeichnet –  es wird diskutiert, ob es sich um etwas bereits Abgeschlossenes handelt, ein Kampf, der bereits gewonnen sei und in dem nur noch Kleinigkeiten ausgetragen müssten. Genauso fortschrittlich wie die Technologie, sei schließlich auch die Gesellschaft selbst. Doch gerade auf Social Media-Plattformen zeigt sich, dass gewaltvolle Sprache gegenüber Frauen immer noch tief in Verhaltensweisen und Gedanken verankert sind.

von Raphaela Lang

Von gezielten Belästigungen und Drohungen bis hin zu sexistischen und frauenfeindlichen Kommentaren – Frauen sind online oft einer Flut von Hassreden ausgesetzt. Das Phänomen zieht sich dabei durch alle Gesellschaftsschichten. Von Politikerinnen wie Sigrid Maurer oder Laura Sachslehner, bis zu Promis wie Jennifer Lawrence und Influencerinnen wie DariaDaria oder Tara-Louise Wittwer. Und auch die eingesetzten Mittel unterscheiden sich stark: Die Auswahl erstreckt sich von beleidigenden Nachrichten, öffentlichen Kommentaren oder dem gezielten Teilen sehr persönlicher oder intimer Informationen, wie Nacktbildern.

Beispiel von beleidigenden Nachrichten an und kommentiert von der deutschen Influencerin Tara-Louise Wittwer; Quelle: Instagram / wastarasagt

Wer ist betroffen?

Die Statistik zu digitaler Gewalt an Frauen des Forschungszentrums für Menschenrechte untersuchte im Jahr 2018, dass circa ein Drittel aller befragten Frauen und Mädchen im vergangenen Jahr mindestens eine Form von Gewalt im Netz erlebt haben. Zu den häufigsten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zählten dabei Beschimpfungen aufgrund der politischen Weltanschauung, persönlichen Beschimpfungen, sexuell anzüglichen Mitteilungen oder Online-Stalking. Hierbei ist anzumerken, dass 7,8 Prozent der Befragten Beschimpfungen aufgrund ihres Geschlechts erfuhren, 3,9 Prozent aufgrund ihrer Herkunft oder Kultur und 3,1 Prozent aufgrund ihrer Religion.

Eine FORSA-Studie 2021 ergab außerdem, dass der Anteil der Befragten, die Hate Speech (sehr) häufig im Internet begegnet sind von 27 Prozent im Jahr 2017 auf 39 Prozent im Jahr 2021 gestiegen sei. Persönlich betroffen seien, unabhängig vom Geschlecht, in Deutschland mittlerweile 24 Prozent aller Befragten in einer Studie der Universität Leipzig. Auch hier stieg der Anteil innerhalb der letzten zwei Jahre um sechs Prozent.

Die Strukturen dahinter

Hate Speech muss jedoch nicht immer auf einzelne Frauen abzielen. So sorgte dieses Jahr etwa der amerikanisch-britischen Influencer und ehemaligen Kickboxer Andrew Tate mit Frauenhass und radikalem Gedankengut für Schlagzeilen. Trotz seiner kontroversen Aussagen erreichte der mittlerweile wegen Menschenhandels verhaftete Tate auf TikTok 5,7 Millionen Follower. Zu seinen Aussagen zählte etwa der folgende Satz: „Meine Weiber reden nicht mit anderen Männern, mögen nicht andere Männer. Meine Weiber gehen nicht ohne mich in den Club, sie sind zu Hause.“

Belastend sind bei sexistischer Gewalt aber nicht nur die Inhalte selbst, sondern gefährlich auch die Folgen eines derartigen Diskurses. Laut Plan International ziehen sich 19 % der betroffenen Frauen nach Beleidigungen und Beschimpfungen aus dem digitalen Diskurs zurück, ganze 12 % nutzen die Plattform, auf der ihnen sexistische Gewalt begegnet ist, gar nicht mehr. Dies zieht auch gesellschaftliche Folgen nach sich: Frauen werden im Internet unsichtbarer und den Aggressor*innen wird eine größere Fläche geboten.

Screenshots eines Interviews mit Influencer Andrew Tate;
Quelle: TikTok / knowingtate/ attestation / monarchtate

Dahinter stehen Bully-Strukturen, die weiblich gelesene Personen auch im Internet strukturell benachteiligen. „Solche Inhalte in jungen Jahren zu konsumieren kann sehr wohl die Einstellung eines Kindes stark verändern, was etwa in mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen münden kann, sowohl im realen Leben als auch online“, bestätigt auch die Leiterin der britischen Wohltätigkeitsorganisation NSPCC im Interview mit „The Guardian“.

Zwischen freier Meinungsäußerung und Hass  

Digitale Gewalt ist oft schwerer zu verfolgen als analoge. Das Internet bietet den Täter*innen viel mehr Anonymität und Reichweite, wodurch eine erfolgreiche Strafverfolgung schwieriger wird. Auch berichten zahlreiche Frauen davon, dass sie bei der Strafanzeige von sexistischen digitalen Gewaltangriffen nicht ernstgenommen wurden.

In Österreich wurde am 01. Jänner 2021 zur Verbesserung der Lage für betroffene Personen das „Hass im Netz“ Gesetzespaket beschlossen.. Justizministerin Alma Zadić kommentierte das Gesetzespaket wie folgt:

„Wir sind unserem Ziel einen großen Schritt näher, dass Betroffene von Gewalt und Hass im Netz künftig schneller und kostengünstiger zu ihrem Recht kommen. Gleichzeitig schützen wir die Meinungsfreiheit für alle in Österreich lebenden Menschen.“

Konkret müssen Kommunikationsplattformen, die in Österreich tätig sind, nun Systeme zur Meldung und Löschung rechtswidriger Inhalte implementieren und regelmäßig Berichte darüber veröffentlichen. Außerdem müssen sie sicherstellen, dass offenkundig rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden gelöscht werden. Zusätzlich ist Verhetzung nicht mehr nur dann strafrechtlich relevant, wenn sie sich gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe richtet, sondern auch, wenn gegen einzelne Personen gehetzt wird, die dieser Gruppe angehören. Außerdem zu erwähnen sind die Einführung des Tatbestands „Upskirting“, also das heimliche Fotografieren des Intimbereichs und die erleichterte Ausforschung von Tätern durch das Gericht.

Von Beratungsstellen, etwa ZARA wird die Gesetzesänderung als „wichtigen Schritt in Richtung Ausweitung und Stärkung des Schutzes von Betroffenen“ gesehen. Jedoch betont man ähnlich wie auch Amnesty International, dass die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werden dürfe. Es sei strikt darauf zu achten, dass die Entscheidung über rechtswidrige Inhalte nicht an private Unternehmen ausgelagert werden dürfe. Einen weiteren Kritikpunkt stellt die fehlende EU-rechtliche Zugehörigkeit Österreichs dar, die nötig wäre, um das neue Gesetz auch für internationale Unternehmen mit Sitz in anderen EU-Staaten (z.B. Irland) geltend zu machen.

Die EU-Grundrechteagentur FRA wiederum lobt das Gesetzespaket. Für eine EU-weite Umsetzung trat außerdem im November 2022 der sogenannte „Digital Services Act“ in Kraft. Dieser beinhaltet ähnlich wie im österreichischen Modell das konsequentere Löschen illegaler Inhalte, sowie mehr Transparenz bei Werbung und höhere Strafen für Verstöße. Inwiefern diese rechtlichen Veränderungen die Lage, der von Hassrede betroffenen Frauen tatsächlich verändert, ist trotzdem noch unklar.

Eine parlamentarische Anfrage von Justizministerin Alma Zadić ergab, dass die entsprechenden Rechtsmittel des Gesetzespaket gegen Hass im Netz weit weniger genutzt wurden als ursprünglich erwartet. Die Möglichkeit anonyme Täter von Behörden ausforschen zu lassen wurde beispielsweise bis April 2022 nur von 65 Personen in Anspruch genommen. Auch aus dem Budget für psychosoziale Prozessbegleitung wurden zu diesem Zeitpunkt nur knapp 11.500 von drei Millionen Euro genutzt. Frauen waren davon nur knapp die Hälfte.

Die Verdrängung der Thematik von Hass im Netz scheitere weniger an der vermeintlichen Anonymität im gefühlt „rechtsfreien Raum“, als an der Mischung aus wehrlosen Opfern, die nicht die Energie haben, sich zu wehren, und einem insgesamt verrohten Umgangston mit vielen Grenzfällen, die auszustreiten in vielen Fällen schlichtweg zu aufwendig erscheint, erklärt Nikolaus Forgó vom Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien gegenüber dem Standard. Zusätzlich dazu fehle die Fachexpertise und Awareness im Rechtssystem selbst, etwa wenn es darum gehe Bewusstsein für Grenzüberschreitungen bei Richter*innen zu schaffen.

Insgesamt ist ein klar definierter und verständlicher rechtlicher Rahmen also durchaus wichtig, um geschlechtsbezogener Hassrede entgegenzutreten. Für Betroffene muss es entsprechende Strukturen und Anlaufstellen geben, um ein rasches Vorgehen zu ermöglichen und internationale Konzerne stärker in die Pflicht zu nehmen. Gleichzeitig ist dieser Schritt aber nicht genug. Die Gesellschaft wird sich nicht aufgrund eines rechtlichen Rahmens ändern, dieser Schritt muss aus der Gesellschaft selbst kommen. Es braucht also dringend mehr Information und Aufklärung und das nicht nur in der Bevölkerung selbst, sondern besonders bei den involvierten Instanzen. Denn nur mit einem übergreifenden und überprüfbaren Konzept, dass jeden von der Privatperson bis zum Millionenkonzern umfasst, wird sich in der Realität tatsächlich etwas verändern.

Über die Autorin

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Raphaela Lang

Raphaela Lang studiert Medienmanagement an der FH St. Pölten und arbeitet im Social Media-Management. Sie interessiert sich für Politik, Literatur und alles, das auf Instagram passiert.

E-Mail: rl@zackzack.at

Instagram: raphaela.lang