„Alles, was im Fernsehen nicht langweilt, ist schon Unterhaltung“ 

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Es ist ein Zitat von einem, der es wissen muss: Hans Rosenthal war einer der ganz großen deutschen Showmaster.

Er reiht sich in eine Liste mit Peter Alexander, Rudi Carrell, Hans Joachim Kulenkampff & Co. Allesamt waren sie Personen, die das deutschsprachige Fernsehen in den 1960er und 1970er Jahren maßgeblich geprägt haben. Der heutige Blick auf die historischen Samstagabendshows verrät manch überraschende Erkenntnis über die heile TV-Welt der Nachkriegsgesellschaft und wenig überraschende Entwicklungen der Fernsehrezeption. Bei allen medialen Veränderungen: Schöne Erinnerungen an eine „gute alte Zeit“ vor den Bildschirmen bleiben aber. 

 „Ich kann mich noch gut daran erinnern. Der Samstag war der einzige Tag der Woche, an dem wir auch abends fernsehen durften. Darauf haben wir uns vorher schon gefreut“, erinnert sich die heute 55-jährige Andrea Müller. Kurz vor 20.15 Uhr hat sich die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt. Das Abendessen im Bauch, waren alle bereit für das Ereignis der Woche. Und ja, das war es: Ein Ereignis, wenn Rudi Carrells „Am laufenden Band“, Hans Joachim Kulenkampffs „Einer wird gewinnen“, Hans Rosenthals „Dalli Dalli“ oder Peter Frankenfelds „Musik ist Trumpf“ über die Bildschirme flimmerten. Dabei ging es vor allem um eines: Unterhaltung. „Da hat man an keine Schule und auch an sonst nichts gedacht. Wir haben einfach nur gelacht“, erzählt Andrea Müller. Die großen Showmaster habe man einfach gekannt. „Und nie vergessen“, ergänzt sie. 

 Unique Selling Points der historischen Shows 

 Unvergessen sind die großen Showmaster des deutschsprachigen Fernsehens zweifelsohne. Oliver Heidemann ist Leiter der ZDF-Hauptredaktion Show und ehemaliger Leiter der „Wetten, dass…?“-Redaktion. Im SUMO-Interview bezeichnet er die großen Showmaster gar als „gefeierte Super-Stars“. Ähnlich sieht es Monika Bernold, Zeithistorikerin und Kultur- und Medienwissenschafterin. Sie lehrt am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Die Moderatoren der Showformate der 1960er und 1970er Jahre sieht sie als „Gallionsfiguren“ der frühen Fernsehjahre. Das Besondere der historischen Samstagabendshows sei aber auch die Austragung als Eurovisions-Format im Verbund von Deutschland, Österreich und der Schweiz gewesen: „Fernsehen in Österreich war damals Fernsehen aus Österreich oder Eurovisions-Fernsehen“, sagt sie. Noch heute wissen FernsehzuseherInnen, dass sie gute Unterhaltung zu erwarten haben, wenn die Eurovisions-Melodie erklingt. „Die 1960er Jahre waren die Blütezeit der Samstagabend-Shows, das Fernsehen war zudem ein zentrales neues Medium und vor dem Fernseher zu sitzen, war an sich schon ein Ereignis“, erklärt Bernold. Das traf auf eine „fast noch unschuldige Freude an den Inhalten, große Themenbreite und ein konkurrenzloses Umfeld“, betont Oliver Heidemann. Und freilich: „Showmaster, die diese Bezeichnung verdienten.“ 

 Die heutige Fernsehlandschaft ist mit jener der 1960er Jahre kaum mehr zu vergleichen. „Wir sprechen von einer Zeit, in der Fernsehen ein neues Medium war und sich langsam durchzusetzen beginnt“, erklärt Monika Bernold. Auch die Ausstattung der Haushalte mit TV-Geräten sei noch auf einem geringen Level gewesen, von einer Sättigung könne erst in den 1970er Jahren gesprochen werden. Um den Erfolg der historischen Samstagabendshows zu verstehen, müsse man den zeitlichen Kontext sehen, sagt auch Oliver Heidemann: „Diese großen Familienshows trafen auf ein Publikum, das nur ARD und ZDF kannte – keine DVDs, Videotheken und Streamer.“ Selbst die Alternativen Kino oder Theater wurden von der breiten Bevölkerung eher selten genutzt. Spiele, wie es sie bei „Dalli Dalli“ oder „Am laufenden Band“ gab, würden heutige RezipientInnen wohl als „Kindergeburtstag“ bezeichnen, meint er: „Andere Shows, wie die von Peter Alexander, lebten von einem hochtalentierten Entertainer und einem Programm, das vom Operngesang bis zum Klamauk reichte.“ Die Inhalte haben dennoch Generationsgrenzen überschritten, Großeltern und Enkelkinder gleichermaßen erreicht. „Die heutige Fragmentierung war noch Lichtjahre entfernt. All diese Shows begeisterten aber ein Publikum oberhalb der 20 Millionen-Grenze“, weiß Oliver Heidemann. 

„Wir“-Gefühl in mehreren Hinsichten 

 Dafür, dass die früheren Formate trotz ihrer Leichtigkeit so beliebt waren, sieht Oliver Heidemann einen Grund: „Der Wunsch nach ‚einfacher‘ Unterhaltung in einem Deutschland, das sich langsam aus den Nachkriegsjahren herausgeschält hatte, war noch immer immens.“ Vielleicht war die Epoche der Nachkriegszeit gerade die richtige, lieferte den fruchtbarsten Boden für Unterhaltungsshows im noch jungen Medium Fernsehen. Die Nachkriegsgesellschaft im deutschsprachigen Raum wird auch in der Dokumentation „Kulenkampffs Schuhe“ von Regina Schilling aus dem Jahr 2018 gut aufgearbeitet und in einen Kontext mit der Biografie ihres eigenen Vaters und jener der drei Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff, Hans Rosenthal und Peter Alexander gesetzt. Die Samstagabendshows seien ein passendes Format gewesen, um Hoffnung zu vermitteln. Aber auch um eine „heile Welt“ zu erfahren, betont Monika Bernold. Viel mehr noch: „Es hat sowohl auf Seiten der Moderatoren als auch des Publikums mit der Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit als Verdrängung zu tun.“ Kulenkampff und Alexander waren bei der Wehrmacht, Rosenthal hatte den Holocaust als Jude überlebt. „Die Samstagabendshows waren ein Ort, an dem diese unterschiedlichen Erfahrungen öffentlich unbesprochen bleiben mussten und konnten“, sagt Monika Bernold. Ein Wir-Gefühl wurde aber auch durchs Fernsehen an sich erzeugt und wirkte sich auf die nationale Identität aus. „Es war wichtig für das Zugehörigkeitsgefühl zum demokratischen Staat“, erklärt sie. Gleichzeitig sei auch bei den Fernsehanstalten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ein Wir-Gefühl entstanden. 

 Welche Rolle der Showmaster spielte 

Peter Alexander, Rudi Carrell, Hans Rosenthal und ihre Kollegen seien regelrechte Identifikationsfiguren gewesen, meint Oliver Heidemann: „Sie waren Leitfiguren, an denen die Leute hochsahen, die Vorbilder wurden und Werte transportierten.“ Als solche haben sie zum Erfolg ihrer Formate beigetragen. Wie sehr, das verdeutlicht Heidemann an einem Beispiel: der kurze Wechsel bei „Wetten, dass…?“ von Thomas Gottschalk zu Wolfgang Lippert. „Hier sah man, wie wichtig der richtige Kopf für die Show war. Ich glaube, dass diese ganz große Identifikation heute nicht mehr gilt. Es gibt noch ein paar Ikonen wie Jauch, Gottschalk und Elstner. Aber das sind ja auch die, die noch an die gute alte Zeit erinnern.“ Dass einige der großen Showmaster aus dem Schauspiel kamen, sei ein Vorteil gewesen, sagt Monika Bernold. Und was sie noch ausmachte: „Sie trafen einfach den Tonfall der Zeit.“ Bei aller Anerkennung bleibt aus heutiger Sicht aber eine Frage: Können Showmaster auch weiblich sein? Es habe sich einiges verändert, sagt Bernold. Also ja, Showmaster können auch weiblich sein. Aktuelles Beispiel: Arabella Kiesbauer als „Starmania“-Moderatorin. Auch Oliver Heidemann beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja: „In manchen Bereichen wurde in den letzten Jahren aber zu wenig für weibliche Hosts getan, viele haben das mittlerweile erkannt. Bei uns im ZDF haben wir uns bewusst aktuell für neue weibliche Hosts entschieden, die auch in der Primetime präsent sind.“ 

 Zentrales Element der Unterhaltungsshow sei der testierende Blick des Publikums auf die Kompetenzen der Mitwirkenden, betont Monika Bernold. Eine Show, die genau das angesprochen hat, war sicher auch „Wetten, dass…?“. Der frühere Redaktionsleiter Oliver Heidemann spricht von „immensen“ Vorbereitungsarbeiten inklusive Recherche und Tests der Wetten. „Nicht jede Bewerbung, die sich gut anhörte, schaffte es auch in die Show“, erinnert er sich. Wichtige Schritte waren auch technische Umsetzung und Inszenierung: „Jemand, der treffsicher Gegenstände in kleine Löcher wirft, was kann das sein? Am Ende wurde es ein Getränkeautomat und Flaschen, die aus großer Entfernung eingeworfen wurden. Besonders aufwändig waren auch Stadt- und Außenwetten.“ Dazu noch die Vorbereitung auf die Stars – etwa die richtige Bühne für Miley Cyrus oder Herbert Grönemeyer. Und die Frage aller Fragen: „Welche Superstars kommen auf die Couch?“, erzählt er: „Viele Gespräche, viel Abstimmung und viel Nervosität bis kurz vor der Live-Show. Ist Silvester Stallone pünktlich? Gefällt den Stars ihre Wetteinlösung? Spoiler: nicht immer. Dazu viel Pressearbeit und Kommunikation, ‚Wetten, dass…?‘ war wohl die Show mit dem größtmöglichen öffentlichen Interesse. Für uns war es Stress pur, aber auch die geilste Show ever.“ 

„Es war eine tolle Zeit, auf Wiedersehen“ 

 Auch dieses Zitat stammt von einem der ganz großen Showmaster – nämlich Thomas Gottschalk. Er hat sie anlässlich seines Abschiedes von „Wetten, dass…?“ im Jahr 2011 gesagt. Drei Jahre später nahmen die deutschsprachigen Fernsehnationen ganz Abschied von der beliebten Show. Für manche galt sie als die „letzte große Samstagabendshow“. Jedes der bisher genannten Formate hatte seinen Erfolg. Auch jedes der bisher genannten Formate kam irgendwann zu einem Ende. Warum musste es kommen? Als Hauptgrund nennt Zeithistorikerin und Medienwissenschafterin Monika Bernold die veränderte Medienkonstellation mit vielen neuen Angeboten und starker Konkurrenz. Ganz verschwunden sei die Samstagabendshow aber nicht, Elemente hätten sich vielmehr verändert und wurden adaptiert. „Der Unterhaltungsaspekt des Testens hat sich auch in Richtung Social Media verschoben“, sagt sie. Der Fernsehmarkt hat sich im Laufe der Jahrzehnte freilich verändert, das öffentlich-rechtliche Fernsehen konkurriert nun mit globalen Playern. Gerade im politischen und sportlichen Bereich bleibe dem TV ein gewisses Ereignisformat. Den heutigen Fernsehmarkt sieht Oliver Heidemann fragmentiert. Prägendes Element ist das Non-lineare. „Die ganz große Zeit dieser Shows ist vorbei. Hin und wieder gelingen große Publikumserfolge – der‘ Eurovision Song Contest‘, der 80. Geburtstag von Udo Jürgens oder unser einmaliges ‚Wetten, dass…?‘ im Herbst können es schaffen. Das sind aber Ausnahmen“, fasst er zusammen. 

 Noch einmal zurück zu Andrea Müller. Woran sie sich erinnert, wenn sie an die Samstagabendshows ihrer Kindheit denkt, sind nicht die genauen Inhalte der Shows. Es ist das eine ganz bestimmte Gefühl, das bis heute geblieben sein muss. Obwohl, ein Detail fällt ihr dann doch ein: „Hans Joachim Kulenkampff hat bei ‚Einer wird gewinnen‘ zum Schluss immer Mantel und Schal überreicht bekommen.“ 

Von Anna Hohenbichler