Wofür sich RezipientInnen in krisenhaften Zeiten entscheiden und warum dies der Fall ist hat SUMO mit Dr. Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclub Concordia, Folker Hanusch, Journalismus-Professor an der Universität Wien, sowie RezipientInnen selbst diskutiert.
Die kostenlose Tageszeitung am Bahnhofseingang übermittelt genug an Information, um den rudimentären Bedarf zu stillen, aber auch Qualitätsmedien stehen (beinahe) kostenfrei zur Verfügung. Plötzlich steht man jedoch vor einer Situation, die herausfordernd und beängstigend ist – einer Krise. Eine Entscheidung zwischen Sensation und Glaubwürdigkeit?
Bleibt Vertrautes gut – und wird es genutzt?
Menschen werden nun von Angst und dem Drang nach Informationen gepackt. Der Weg geht zurück zum Anfang. In Zeiten der Notlage sei ein klarer Trend hin zur Qualität und insbesondere dem ORF zu sehen. Hanusch und Kraus zeigen klar auf, dass die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien an Wichtigkeit steigen würde. Dies sei gerade in Phasen, in denen Menschen nach Rat und Hilfe suchen würden der Fall. Der enorme Zulauf sei durch die gründliche Recherche und fundierte Berichterstattung zu erklären. Hörer- wie SeherInnen und LeserInnen finden Ihre Vertrauensquelle in diesen Qualitätsmedien wieder, wie die befragten RezipientInnen bestätigen konnten. Durch dieses Urvertrauen gewinne beispielsweise der ORF an AdressatInnen jeglicher Altersklassen, so Kraus.
Der starke Anstieg, wie einer aktuellen Studie des Österreichischen Gallup Institutes zu entnehmen ist, sei gerade so bemerkenswert, weil der ORF laut Kraus wiederkehrend an Bedeutung gewinne. Die RezipientInnen wenden sich im Zusammenhang mit Krisen wieder hin zum linearen Fernsehen und zur Tradition, nachdem der Trend eher weg davon und hin zu den Streaming-Diensten gehe. Dass der ORF die relevanteste Anlaufstelle im audiovisuellen, sowie im Online-Nachrichtenbereich ist, sei kein typisch österreichisches Phänomen, wie Hanusch erklärt. In Bezug auf die aktuelle Covid-19 Krise beispielsweise, werde auch im globalen Kontext auf die qualitativ hochwertigeren Medien zurückgegriffen. Der ORF und international äquivalente Medien hätten mehr Ressourcen zur Verfügung, um einer qualitativ hochwertigen und wahrheitsgemäßen Berichterstattung nachzugehen. Weiters spielen die vorhandenen Kapazitäten an Personal und finanziellen Mitteln eine ausschlaggebende Rolle, um mit Krisen richtig umzugehen. Gründliche Berichte in Krisensituationen, wie beispielsweise bei terroristischen Vorkommnissen, lösen gerade in solchen Zeiten viel Wertschätzung bei der Bevölkerung aus. Außerdem würde die gute Reputation der Medien erhöht werden, wohingegen die der weniger gründlichen zu einem verstärkten Empören führe, wie sie oftmals in Boulevardmedien zu finden sei.
Quantität vor Qualität
Die brodelnde Sensationslust im Menschen verleite trotz Qualitätsmangel immer wieder zum Griff zum altgewohnten Boulevardblatt. Kraus erklärt, dass RezipientInnen von Zeitungen wie „Österreich“, „Heute“ oder auch der auflagenstärksten „Kronen
Zeitung“ wissentlich weniger Vertrauen zu ihren gewählten Medien hätten, als jene, die ORF als Hauptquelle nutzen. Es herrsche jedoch ein schmaler Grat, zwischen Sensation und Skandal, der oftmals auch überschritten wird.
Die Publikation unsensibler Bilder des Terroranschlags Anfang November 2020 in Wien oder die verhetzenden Aussagen von Stefan Petzner in Bezug auf die asiatische Bevölkerung und die Covid-19 Krise seitens „OE24“ zeigen deutliche Beispiele für den Grund des mangelnden Gefühls an Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit auf. Die von SUMO interviewten RezipientInnen erläuterten, es sei wie ein Verlust der Glaubwürdigkeit, der sich durch vergangene Artikel immer mehr verstärkt hätte und ihren ethischen Grundsätzen widersprechen würden.
Krisen-Cocktail
Qualitativ hochwertige Medien mit einer Prise von sensationslüsternen Bildern der Boulevardmedien ergeben die Kombination an Information, zu der in Zeiten der Krise meist gegriffen werde, so Hanusch. Es ergebe sich eine Form der Stillung der eigenen Sensationslust an skandalisierender Berichterstattung und der Erlangung an seriösem Nachrichteninhalt über das Qualitätsmedium des Vertrauens. Außerdem sei ein richtiger Umschwung von Skandalpresse zu Qualitätsmedien sowie die Fragestellung, ob „entweder versus oder“ nicht gegeben. Die Information werde als Zusatz für Boulevard-LeserInnen gesehen und nicht als Ersatz dessen. Die Gefahr, dass diese Zusatzquelle und der Einsatz
verschiedener Medien bei Ende der Krise keine Notwendigkeit mehr aufweisen, bestehe definitiv, was auch die interviewten RezipientInnen bestätigen. Der Bedarf eines Mediums reiche somit wieder alleinig aus.
Krise in der Krise
Klar ist eines – das Verfallen in alte Gewohnheiten sei zu stark gegeben, als dass es eine dauerhafte Verhaltensveränderung in Bezug auf die Medienwahl gäbe. Ein momentaner Anstieg der Qualitätsmedien sei deutlich zu sehen, dies sei allerdings nicht auf Kosten der Boulevardmedien und schon gar nicht auf die Ewigkeit bezogen, so Hanusch. Eine Krise, die sich für Qualitätsmedien ergebe und die Fragestellung hervorbringe, wie Kraus sagt: „Wie können die Sender bewerkstelligen, dass sie die gewonnenen ZuseherInnen nach der Krise auch behalten und an ihre Marke binden?“ Erfahrungen zeigen, dass es eher seltener der Fall sei, dass RezipientInnen bei Qualitätsmedien bleiben, sobald eine krisenhafte Zeit beendet sei und die Nutzung laut Hanusch nur periodisch begrenzt sei. Sie präferieren den Bezug mehrerer Medien, was die Anbieter vor eine komplexe Aufgabe stellt. Einerseits spielen die Digitalisierung und der Trend hin zu Streaming-Diensten eine große Rolle. Der ORF versuche mit „Zeit im Bild“-Variationen oder „DER STANDARD“ mit neuen Kanälen und Formaten, digital an jüngere Zielgruppen zu kommen und ihr Publikum somit mit krisenrelevanten Informationen zu versorgen. Verbesserungen gebe es definitiv, so Kraus, doch zeigen die bereits veröffentlichten Posts auf Social Media, wie „Instagram“, bereits Früchte.
Andererseits sei laut dem österreichischen Gallup Institut die Krisenmüdigkeit ein großer Mitspieler dieser Zeit. Wie bei der langandauernden Corona-Krise deutlich zu sehen sei, würde das Vertrauen in die Regierung sinken und dies auf die Medien projiziert werden. Nur mehr Übermittler politischer Botschaften, anstatt Klärung von Hintergründen? Eine komplexe Fragestellung, doch wie Andrea Fronaschütz vom Gallup Institut und Prof. Folker Hanusch erklären, sei die Qualität der Berichterstattung in unsicher erlebten Zeiten
durch Glaubwürdigkeit, Transparenz, Seriosität sowie Orientierungshilfe messbar und die Qualitätsmedien gehen als Gewinner hervor, einen wirklichen Verlierer im Medienbereich
gebe es jedoch nicht.
von Anna Isabella Kowatsch