Theater ist sowohl ein Medium als auch Thema der Medien und zudem auch noch ein großer österreichischer Wirtschaftssektor.
Am Image als Kulturnation hängt viel mehr als die Kulturbranche selbst, auch Tourismus und Gastronomie sind maßgeblich davon abhängig. Wie krisenfest die Branche ist und worin sich dabei staatliche Institutionen von der freien Szene unterscheiden, diskutierte SUMO mit Esther Holland-Merten, künstlerischer Leiterin des WUK, und Carl Philip von Maldeghem, Intendant des Salzburger Landestheaters.
Vereinfacht gesagt, sind staatliche Theater zu großen Teilen vom Staat finanziert, während die freie Szene sich selbst finanziert oder einzelne Förderungen erhält. De facto ist das Ganze aber viel komplizierter. Ein Beispiel für ein staatliches Theater ist das Landestheater Salzburg: Ein Ensembletheater, das neben dem klassischen Sprechtheater ebenso die Sparten Musiktheater, Tanz und Kinder–Theater abdeckt. Das Theater ist ein Eigenbetrieb des Landes, das nebst Einnahmen zur Hälfte von Stadt und Land finanziert wird. Insofern sind Stadt und Land Salzburg gemeinsam die Rechtsträger des Theaters, aber es wird im Eigenbetrieb des Landes geführt. Das Theater wird geführt von zwei Geschäftsführern, dem Intendanten und künstlerischen Geschäftsführer und dem kaufmännischen Geschäftsführer. Das Landestheater finanziert sich durch 26-28% Einnahmen und zu ca. 70% durch Subventionen. „Wir sind privilegiert,“ betont der Intendant und künstlerische Leiter Maldeghem, „weil wir als Institution eine institutionelle Förderung bekommen“, das bedeutet, dass auch in Krisenzeiten MitarbeiterInnen bezahlt werden können.
Das WUK in Wien ist ein spezielles Konstrukt und streng genommen kein dezidierter Theaterort. Es ist ein Ort, an dem versucht wird, Alltag und Kunst miteinander zu verbinden. Das WUK wurde auch nicht gegründet, sondern hat sich in den 1980ern aus einer freien Kulturbewegung entwickelt, indem der Ort von verschiedenen Kunstschaffenden besetzt wurde. Rechtsträger des WUK ist der „Verein zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser“, der über die grundsätzliche strategische Ausrichtung bestimmt. Ein Grundprinzip ist die Autonomie, heute nutzen in etwa 150 Gruppen und Vereine die Räumlichkeiten. Diese grundsätzliche Ausrichtung lässt sich in drei Säulen einteilen: erstens Sozio-Kulturelles, zweitens Bildung und Beratung und drittens Kultur. Die Ökonomie der dritten Säule hat sich SUMO genauer angeschaut und dabei die künstlerische Leitung der Sparte Performance Art interviewt. Diese Sparte koproduziert im Performance– und interdisziplinären Kunstbereich. Das bedeutet, es existiert kein eigenes Ensemble und es erteilt keine eigenen Produktionsaufträge. Das WUK gibt Künstler*innen aus der freien Szene die Möglichkeit, bei ihnen aufzuführen. Dies beinhaltet Aufführungsraum, Technik, Abendservice, PR–Arbeit, Kartenverkauf sowie Beratung. Für die Produktionen müssen die Künstler*innenkollektive selbstständig Projektförderungen beantragen. Als Sparte „Performing Arts“ finanzieren sie sich primär über die Wiener Konzeptförderung in Höhe von 180.000 € pro Jahr, sekundär über Einnahmen durch den Kartenverkauf. Diese Gelder fließen direkt zurück in die Koproduktion. Gewinnspanne gibt es keine, als gemeinnütziger Verein ist das auch nicht das Ziel, vorrangig ist, möglichst gut mit Vorhandenem zu wirtschaften.
Den größten Unterschied zu staatlichen Institutionen wie dem Burgtheater oder dem Salzburger Landestheater sieht Holland-Merten in den sehr viel geringer gestellten finanziellen Mitteln und den somit beschränkten Möglichkeiten, selbst produzieren und inszenieren zu können. Da es kein eigenes Ensemble gibt, sei es herausfordernder, wiedererkennbare Kontinuitäten im Spielplan herzustellen und das Zielpublikum damit zu erreichen. Das WUK versuche trotzdem, durch sich wiederholende Formate sowie in jeder Spielzeit gleiche auftretende Künstler*innen eine gewisse Kontinuität herzustellen.
Welche Krisen betreffen die Theaterszene?
Maldeghem bemerkt: „Es gibt eine ganz hohe Affinität zwischen Theater und Krise und eigentlich steckt das Theater seit 2.000 Jahren in der Krise, weil es sich schon immer auf der Bühne mit individuellen und gesellschaftlichen Krisen beschäftigt hat“. Zum anderen habe das Theater als Institution in diesen 2.000 Jahren an Existenz schon ganz viele Krisen überlebt, dazu gehören Pandemien ebenso wie Kriege. „Aber es scheint in den Menschen eine Sehnsucht nach dem Spiel angelegt zu sein, um sich in dem Spiel auch selber zu spiegeln und dabei Modelle zu entwickeln über das Verhältnis von Individuen und Gesellschaft oder um über Krisen der Gesellschaft zu erzählen“, so Maldeghem.
Holland-Merten betont, dass die jetzige Situation mit Abstand die größte Krise ist, die sie bisher als Künstlerische Leitung erlebt habe, obgleich es auf die Definition von Krise ankomme: „Für mich ist es auch schon eine Krise, wenn ich mit einem Kollektiv gerne arbeiten möchte, weil ich das Projekt spannend finde oder wir schon immer zusammenarbeiten und dann aber plötzlich die Projektförderung nicht kommt“. Denn: „Ich bin dann zum einen extrem enttäuscht für die KünstlerInnen, und zum andern weiß ich nicht, wie wir den schon lange vorreservierten Platz im Spielplan kurzfristig füllen sollen.“ So frei und flexibel wie vielleicht angenommen, ist die freie Kunstproduktion nicht. Kunstproduktion bedeutet Planung. Freie Kunstproduktion bedeutet noch mehr Planung, da jedes Projekt einzeln finanziert werden muss. Diese lange Vorausplanung mache es auch schwierig, ganz aktuelle Themen in das Programm zu integrieren. Auch die „Flüchtlingskrise“ 2015 sei nicht direkt in die Kunstproduktion mit eingeflossen – bemerkbar habe sie sich im WUK dennoch gemacht: vor allem durch die viel längeren Menschenschlangen vor „Asyl in Not“, einem Verein, der im WUK eine Niederlassung hat. „Das Tolle im WUK ist, dass man quasi beim Kunstmachen mit Menschen konfrontiert ist, die gerade ganz etwas anderes brauchen als Kunst, nämlich bei denen es um die nackte Existenz geht“, stellt Holland-Merten fest. Generell stürzten sich freie Künstler*innenkollektive prinzipiell weniger auf Projekte zu angesagten Themen, sondern versuchten diese in dem Kontext, in dem sie gerade arbeiten, zu verankern. Abgesehen davon sei die freie Szene in Wien ohnehin schon sehr international, was ein signifikanter Unterschied zu großen Sprechtheater-Bühnen wie Volkstheater, Burgtheater oder dem Theater in der Josefstadt darstelle. Dadurch seien Themen wie Identität, das Fremde, die Essenz einer Kultur und der Gedanke von Heimat ohnehin ganz tief in Performance-Kunst verankert.
Auch Intendant Maldeghem sagt, dass die „Flüchtlinkskrise“ 2015 keinen unmittelbaren Einfluss auf den Spielplan hatte. „Ich glaube, dass das Theater nicht immer direkt mit einem Stück auf eine Situation reagieren muss, das ist die Aufgabe der Journalist*innen.“ Auch schon vor dem Sommer 2015 standen Stücke zum Thema Flucht am Spielplan. Insofern sei eine gewisse Erfahrung mit dem Thema und damit einhergehende Haltung im Ensemble zu spüren gewesen. Das Jahr 2015 sei jedoch Thema eines Stückes im Spielplan 2021 und zwar aus der Perspektive der Helfenden.
Politik und Publikum
Jeder Regierungswechsel ist eine heikle Angelegenheit für die Kulturbranche, da in diesen Momenten nicht klar ist, wie die Fördermittelvergabe aussehen wird. „Was und wie in der Kunst gefördert wird, ist eine höchst politische Entscheidung“, so Holland-Merten. „Als die Türkis-Blaue-Regierung plötzlich Förderungen für Frauen-Initiativen gekürzt hat, war die Sorge groß“. Man wisse nicht, was weiter passiert wäre, wenn die Regierung weiter bestanden hätte.
Vor allem bürgerlichen Ensemble-Theatern wird vorgeworfen, dass ihr Publikum ausstirbt. Dem entgegnet Maldeghem überzeugt: „Gerade jetzt habe ich den Eindruck, dass die Sehnsucht nach Theater groß ist.“ Dies liege nicht nur daran, dass ein großer Fokus des Betriebes auf der Jugend liege, auch bei den mittleren Altersklassen gebe es ein gleichbleibendes Interesse an der Kunstform. „Ob es dann immer der einzelnen Institution vor Ort gelingt, dieses Interesse zu wecken, dass die Leute Vertrauen bekommen und sagen, da will ich jetzt hin, ist eine andere Sache.“ Da käme es viel auf den Spielplan an, dass man nicht ein Theater im „Elfenbeinturm“ mache, sondern ein Theater, das alle Altersgruppen und alle sozialen Schichten anspreche, dass egal, ob sie vorher Theater rezipiert hätten oder nicht, nach 20 Minuten einer Aufführung für sie evident sei, dass dies was mit ihrem Leben zu tun habe, dass sie schon ähnliche Situationen erlebt hätten und sich fragen, wie sie jetzt handeln würden. Maldeghem tippt eher darauf, dass die großen Filmgesellschaften und Kinoketten Probleme bekämen, weil sich das Medium ändert. So habe etwa Netflix stark von der Pandemie profitiert. „Und man muss sagen, Netflix erzählt ziemlich gute Geschichten. Solange das Theater das auch tut und dazu die Unmittelbarkeit kommt, ist glaube ich, alles gut.“
Um Überalterung sorgt sich Holland-Merten keineswegs, im Gegenteil: „Das Publikum, das wir haben, ist ein sehr junges. Ich freue mich sogar, wenn Ältere kommen“. Das Krisenpotential sei im experimentellen Bereich ein ganz anderes als im bürgerlichen Sprechtheater: „Wir müssen uns noch viel mehr erklären“, das nimmt sich Holland-Merten fest vor, da der Zugang der Inhalte sehr viel schwieriger sei, auch durch ungewohnte, abstrakte Kunstformen. Es ginge ihr darum, „nicht nur Leuten Dinge vorzusetzen und zu sagen: ‚Wenn du es nicht verstehst, dann sind wir nicht die richtige Institution für dich‘.“ Denn Menschen betrieben immerhin den Aufwand zu kommen; die Interaktion abbrechen zu lassen, wäre zu schade. Dies sei – aus ihrer eigenen Erfahrung als Dramaturgin heraus beschrieben – bei Stadttheatern oft das Problem, dass sich Zuschauer*innen oft nicht trauen nachzufragen, weil sie glauben, im Gegensatz zu allen anderen nichts verstanden zu haben. „Aber es gibt in der Kunst kein Richtig und Falsch.“
Internes Krisenmanagement
Das interne Krisenmanagement bei WUK performing arts funktioniere sehr gut, da die zwei Hauptverantwortlichen Holland-Merten und ihre Kollegin Koch sehr eng zusammenarbeiten. In erster Instanz werde untereinander abgesprochen, was genau vorliegt und anschließend werden die KünstlerInnen kontaktiert. Kein fixes Ensemble bedeutet, alle einzeln zu kontaktieren. Lösungen werden gemeinsam mit betroffenen Künstler*innen gesucht – neuerdings auch gemeinsam mit anderen Abteilungen. Das WUK als gesamte Institution mit allen Abteilungsleiter*innen habe erst seit dem 1. Lockdown regelmäßige gemeinsame Sitzungen. Da sich diese als äußert förderlich erwiesen haben, wurden sie beibehalten.
„Es gibt im Theater viele Mechanismen, öffentliche Fehler zu vermeiden. Wir sind Meister der Optimierung“, betont Intendant Maldeghem. So gebe es etwa klare Szenarien, wer was mache, um eine Aufführung zu retten, wenn ein*e Schaupieler*in krank werde. Jetzt sei die Situation erstmals ganz anders, da man durch das Nicht-zur–Arbeit gehen bei Corona-Symptomen die Partner*innen mehr beschütze als anders. Diese Mechanismen müssten neu erlernt werden. Für die aktuellen Probleme sei ein Handlungsstab, bestehend aus den beiden Geschäftsführern, einem*r Corona-Beauftragten und der Betriebsärztin gegründet worden.
Theater mehr als ein Freizeitvergnügen?
Das Theater wurde in älteren Verordnungen zwischen Bordellen und Indoor-Spielplätzen abgehandelt, das hat sich mit den neuen Verordnungen geändert (Anm.: Dezember 2020). „Große Kunstinstitutionen haben wahnsinnig laut geschrien, dass sie sich schlecht behandelt fühlen. Dass sie viel relevanter sind als das, was die Politik ihnen zuspricht“ so Holland-Merten. Maldeghem erwähnte in diesem Zusammenhang den Offenen Brief der Intendanten. Diese Aufschreie habe Holland-Merten in der freien Szene kaum gehört. „Ich glaube, das liegt daran, dass diese schon immer am Rotieren ist und daher mehr gewöhnt daran, um ihre Relevanz und um ihr Publikum zu kämpfen“. Den großen Theatern sei dies durch die Krise ganz plötzlich passiert. Holland-Merten nahm eine große Bereitschaft in der freien Szene wahr, zum Schutze der Gesellschaft zurückzustecken.
Was haben Krisen für Möglichkeiten oder Auswege geschaffen?
Aus dieser Bereitschaft sich an die Situation anzupassen, haben sich laut Holland-Merten spannende neue Projekte entwickelt. Es ging darum, Formate umzustellen, nicht einfach alte „abzufilmen“. Am Salzburger Landestheater habe es am Anfang den Eindruck erweckt, als würde eine Entspannung entstehen, weniger Druck, dauernd zu produzieren, es habe sich aber gezeigt: „Online-Theater ist zwar eine gute Möglichkeit, alle zu beschäftigen, ist aber nicht vergleichbar mit dem Original“, so Maldeghem. Er begrüßt auch das Bekenntnis der Regierung zur Kulturförderung – auch für die freie Szene, betont aber, dass es von einem Bekenntnis zum Geld auf dem Konto noch einen weiten Weg gebe. Doch die zur Verfügung gestellte institutionelle Förderung sei sicher und daher fühle sich das Landestheater „privilegiert“. Auch dem WUK wurden bisher keine Förderungen entzogen, so könne es seine laufenden Kosten decken.
Was passiert, wenn dann doch etwas passiert – können Institutionen untergehen?
Trotz genereller finanzieller Schwierigkeiten des WUK macht sich Holland-Merten keine Sorgen. Sie ist sich sicher, dass das WUK als Institution noch lange bestehen wird. Maldeghelm konstatiert dagegen: „Eine Krise kann eine Institution zerstören“ und erinnert dabei an die Brutalität, mit der die staatlichen Schauspielbühnen Berlin „weggekegelt“ worden seien. Mehrspartentheater seien hochkomplexe Institutionen und wenn da einer der Partner plötzlich wackelt, könne es schlimme Konsequenzen haben. Maldeghem folgert daraus: „Ich glaube, man muss auf diese gemeinsamen Felder, die unsere Gesellschaft zusammenhalten wie soziale Einrichtungen, aber eben auch das Theater, gut achtgeben. Es mag vielleicht nicht gesellschaftlich relevant wie Strom oder Wasser sein, aber es ist – wie unsere Chefdramaturgin es formuliert hat – seelenrelevant.“
von Raphaela Kordovsky