Wie die Einschaltquote für das Fernsehen, sind Klicks und Traffic das Um und Auf für Erfolg im Online-Bereich. Generell ist Aufmerksamkeit die zentrale Währung der Medienbranche, die Digitalisierung verschärft den Wettkampf um ihren Erwerb maßgeblich.
SUMO sprach mit Axel Maireder, Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsleiter im Institut für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) Österreich, und Lisa Sophie Thoma, Influencerin und Managing Director Influencer & Branded Entertainment bei diego5, über die Bedeutung von sozialen Medien und wie traditionelle Medien auf die wandelnden Bedingungen reagieren.
„Die Aufmerksamkeit, die wir Dingen zuwenden ist dramatisch kürzer geworden. Es geht alles viel schneller.“ Diese Beobachtung stellt Maireder in Bezug auf digitale Medien fest und weist somit auf eine Flüchtigkeit hin, die das aktuelle Rezeptionsverhalten prägt. In endlosen Scrolling-Schleifen schweift der Blick von einem Kurzbericht zur nächsten Schlagzeile, ohne dass der Inhalt richtig verarbeitet werden konnte. Die visuellen Eindrücke überlagern sich und Medien müssen die Aufmerksamkeit der Rezipient*Innen innerhalb von Sekunden einfangen. Im Internet spiele laut Maireder zudem die freie Zugänglichkeit von reichweitenstarken Plattformen wie „YouTube“, „Twitter“ oder „Instagram“ eine tragende Rolle, welche die Markteintrittsbarrieren im Mediensektor erheblich senkten und eine enorme Steigerung der werberelevanten Player bewirkten. Demnach buhlen nicht nur etablierte Medieninstitutionen um Klickzahlen oder Videoaufrufe der Nutzer*Innen, sondern gerade auch Privatpersonen, die Content über solche Plattformen distribuieren, im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit und der Akquise von Werbepartnern mitmischen. In diesem Sinne kam es zu einer Demokratisierung des Öffentlichkeitszugangs, der früher nur journalistischen oder auch politischen Einrichtungen vorbehalten war.
Beruf Influencer*In: öffentliche Privatheit
Solch öffentlich wirksame Personen werden in der heutigen Gesellschaft als Influencer*Innen betitelt. Lisa Sophie Thoma war langjährig selbst in diesem Bereich tätig und konstatiert, dass der Beruf stark von einer Überlagerung des privaten und öffentlichen Lebens bestimmt sei. Dadurch dass das berufliche Schaffen stark personenbezogen sei, herrsche eine stärkere emotionale Bindung zur Zuschauerschaft. Neben der Etablierung einer treuen Community sind diese Umstände auch besonders relevant für die Werbewirtschaft. Influencer*Innen versammeln Follower*innen um ihre Persönlichkeit, die Interesse daran hegen welche Auffassungen sie vertreten. Diesen Vorteil machen sich Unternehmen zu Nutze, indem sie Influencer*Innen als Botschafter*innen für Produkte anwerben, in der Hoffnung, dass Follower*Innen durch die Reichweite sowie Einfluss des*der Influencers*Influencerin zu Kaufentscheidungen verleitet werden. Thoma betont, dass potenzielle Konsument*Innen so das Gefühl einer authentischen Kaufempfehlung vermittelt bekämen und diese Form des Marketings in Zukunft noch häufiger vorzufinden seien werde.
Sponsorenkooperationen sind sehr attraktiv für Influencer*Innen und decken gemeinsam mit plattformintegrierten Werbeplatzierungen wie per Google „AdSense“ ein breites Spektrum ihrer Erlöse ab. Gerade deshalb sieht Thoma es als absolute Notwendigkeit an, Content über alle reichweitenstarken Plattformen zu distribuieren, sodass eine Diversifizierung und Absicherung der Einnahmequellen erzielt wird. Das Credo lautet hier also: So viel Klicks wie möglich! Thoma weist jedoch auch darauf hin, dass Influencer*Innen kreative und wirtschaftlich durchaus nachhaltige Wege gefunden hätten, um ihre Tätigkeit zu finanzieren. Ab einer gewissen Größe könnten sie beispielsweise eigene Produkte oder Merchandising rentabel an ihre Community verkaufen. Außerdem spielen Social-Payment-Service-Anbieter wie „Patreon“ eine zunehmend wichtigere Rolle, die den Nutzer*Innen die Möglichkeit bieten, ihre Lieblings-Influencer*Innen mittels direkter Spende zu unterstützen.
Können klassische Medien auch digital?
Die Frage, die sich nun stellt: Was bedeutet all dies für klassische Medienanbieter? Auch sie adaptierten sich in puncto wandelnder Bedingungen der Digitalisierung und bedienen sich dabei unterschiedlicher Techniken, um im Rennen der Aufmerksamkeit nicht ins Hinterfeld zu geraten. Schlagworte wie „Click-Bait“ oder „Fake News“ ringen dabei am „Lautesten“ und Maireder meint einen Wandel im redaktionellen Prozess zu erkennen. Dabei spricht er von einer „Zuspitzung des Contents“. Gerade journalistische Medien im Online-Sektor würden sich eines griffigeren Sprachstils bedienen, der stark mit Extremen und Cliffhangern arbeitet und die flüchtige Neugier der Leser*Innen erwecken soll. Diese Darstellungsform hat eine lange Tradition in Boulevard-Bereich, fand jedoch durch die Digitalisierung und Verknappung der Aufmerksamkeitsspanne zunehmend Einkehr in die Qualitätsmedien. Reißerische Überschriften oder skandalisierende Wortwahlen avancierten so zum Status Quo und prägen den Online-Journalismus.
Klassische Medien entdecken des Weiteren auch immer mehr Plattformen für sich, die ihre herkömmlichen Distributionskanäle komplementieren sollen. Erst vor kurzen schlug die „Tik Tok“-Site des ORF hohe Wellen und zeigt die Bemühung des öffentlich-rechtlichen Senders digitale Trends in ihre Strategie zu implementieren. Thoma unterstreicht diesbezüglich, dass gerade jüngere Zielgruppen nur über solche Wege erreicht werden könnten. 25% der „Tik Tok“- Nutzer*Innen seien weder auf ‚Instagram“ noch „Facebook“ aktiv und verbringen ihre Freizeit schon gar nicht mit dem Rezipieren von linearen Fernsehprogrammen. Damit wird deutlich, dass auch klassische Medien eine Diversifizierung ihrer Kanäle erzielen müssen, wenn sie die Aufmerksamkeit aller Demographien für sich gewinnen wollen.
„Meta“ & „Google“: Content ohne Grenzen
„Je mehr Likes und extreme Reaktionen ein Inhalt auslöst, desto eher wird er nach vorne gespült.“ Dieses Resümee zieht Maireder und macht darauf aufmerksam, wie die großen Internetkonzerne über den Onlinemarkt thronen. Die algorithmische Grundlage dieser Seiten bestimmt, was in die Feeds der Nutzer*Innen geschleust wird und wo sich der Großteil ihrer Klicks versammelt. Qualitätskriterien nehmen hier oftmals nur eine mindere Rolle ein und in Anbetracht der Vorwürfe der Whistleblowerin Frances Haugen gegenüber „Facebook“ scheint die Situation noch kritischer zu sein, als vorerst gedacht. Profitinteresse übertrumpft in der Unternehmensphilosophie das allgemeine gesellschaftliche Wohl und sorgt dafür, dass Verschwörungstheorien und unseriöser Content in sozialen Medien zirkulieren. Im Gegenzug konstatiert Maireder jedoch, dass es sich bei jeglichen Regulierungsinitiativen des Internet um eine schmale Gratwanderung handelt. Die großen Player erfüllen nämlich auch eine relevante Funktion und seien gerade durch ihre enorme Reichweite besonders zugänglich für Informations- sowie Meinungsaustausch. Nichtsdestotrotz steigen die Anforderungen an die Konzerne und die Politik, verfolgt mit zunehmendem Interesse der Abläufe ihrer Unternehmungen. Im europäischen Raum wird der Digital Service Act weisen, welche Regelungen die Internetökonomie zukünftig formieren. Eines ist jedoch gewiss: Die Jagd nach der Aufmerksamkeit wird auch das digitalisierte Mediensystem und seine diversen Akteure weiter begleiten. Koste es, was es wolle.
von Wanja Lang
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