Die Sinnhaftigkeit von E-Voting

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Wird die Stimmabgabe im Internet den physischen Gang zur Wahlurne bald ablösen? SUMO interviewte Alexander Prosser, Universitätsprofessor für Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien, und Werner T. Bauer von der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung (ÖGPP) zu Herausforderungen, Chancen und Risiken von E-Voting.

Wenn von E-Voting gesprochen wird, meint man den Einsatz von elektronischen Hilfsmitteln für Abstimmungen oder Wahlen. Mit Hilfe von E-Voting-Systemen kann also die Stimmabgabe online am heimischen Rechner oder auch unterwegs via Smartphone oder Tablet erfolgen. Streng genommen zählen Scanner für die Stimmzettelauswertung auch darunter, ebenso wie die elektronischen Wahlmaschinen, die in vielen Ländern in Wahlkabinen zum Einsatz kommen. Das Thema wird in Politik und Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert. Viele sehen die elektronische Stimmabgabe als Fortschritt der Digitalisierung, andere bleiben aufgrund von vergangenen Sicherheitslücken skeptisch oder sehen keinen Mehrwert darin.

Werner T. Bauer, wissenschaftlicher Autor bei der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung, hat sich bereits vor vielen Jahren mit dem Thema E-Voting beschäftigt und den Hype Anfang der 2000er Jahre mitverfolgt. 

Dem Hype folgte jahrelange Stagnation

2004 hat sich eine Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Inneres (BMI) mit rechtlichen, technischen und ökonomischen Erfordernissen zur Implementierung eines E-Voting-Konzeptes in Österreich auseinandergesetzt. Aus dem Abschlussbericht geht hervor, dass im Falle einer Adaptierung der gesetzlichen Grundlagen eine Durchführung einer E-Voting-unterstützten Wahl in Österreich prinzipiell machbar erscheint. Trotzdem haben sich die Diskussionen über eine mögliche Umsetzung in den letzten Jahren wieder abgeflacht. Warum ist das so? Bauer: „Nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern hat sich seitdem wenig getan. Es gab einige Versuche in verschiedenen Ländern auf unterschiedlichen Ebenen, diese wurde allerdings oft aus Sicherheitsbedenken wieder abgedreht.“

„Bauchfleck“ nach ÖH-Wahlen

An dieser Stelle sind die Wahlen zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) zu nennen. 2009 war es möglich, die Stimme per E-Voting abzugeben. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob die Verordnung zum E-Voting bei ÖH-Wahlen allerdings später als gesetzeswidrig auf, da sie zu unpräzise geregelt waren. Das System war intransparent und für die Wahlbehörde nicht ausreichend nachprüfbar. Seit 2011 stimmen Universitäten wieder in Wahlkabinen ab. Bauer äußert sich skeptisch: „Seit diesem Fall haben sich die Technologien in den vergangenen Jahren sicherlich weiterentwickelt, dementsprechend steigt aber auch das Gefahrenpotential, dass diese Wahlen manipuliert oder gehackt werden können. Es gibt allgemein eine große Skepsis.“

Alexander Prosser, Betreuer der Forschungsgruppe E-Voting.at und Universitätsprofessor für Wirtschaftsinformatik, vergleicht den Fall aus 2009 mit einem „Bauchfleck“. „Es war ein Fehler, weil man ein sehr großes komplexes Wahlsystem abgebildet hat. Es gab über 200.000 Wahlberechtigte und eine komplexe Wahlordnung.“ Das Thema E-Voting sei seitdem stark beschädigt. Mit seiner Forschungsgruppe hat er selbst bereits eine Software-Infrastruktur entwickelt, welche in Österreich bisher bei drei Wahltests zum Einsatz kam und weiß, dass man klein beginnen sollte. „Man sollte nicht mit Wahlen starten, sondern mit kleinen Abstimmungen, die auch wichtig sind. Diese schaffen Vertrauen und die Menschen gewöhnen sich daran. Nicht nur die WählerInnen, auch PolitikerInnen und WahladministratorInnen müssen sich langsam daran gewöhnen.“

Anforderungen an ein E-Voting-System

Der Europarat hat 2017 eine neue Empfehlung zu internationalen Standards für E-Voting abgegeben. Es handelt sich um eine Neuauflage der ursprünglichen Empfehlung aus 2004. „Insbesondere die Nachvollziehbarkeit und eine wesentlich strengere Absicherung des Wahlgeheimnisses sind gefordert. Das sind die zwei zentralen Verbesserungen gegenüber der früheren Version“, betont Prosser.

Es gibt grundsätzlich zwei Arten, das Stimmgeheimnis zu sichern. Ein Beispiel für die erste Möglichkeit ist etwa das estnische System. Hier wird das Stimmgeheimnis gesichert, nachdem sie in die Urne eingebracht wurde, d.h. die Information, wer wie gewählt hat, liegt in der digitalen Urne und man trennt es erst danach – das ist bei digitalen Daten allerdings nicht einfach. Bei der zweiten Variante wird die Anonymisierung vor dem Einbringen der Stimme in die Wahlurne. Der Vorteil bei diesem System ist, dass BürgerInnen selber kontrollieren können, ob die Stimme richtig und unverändert in der virtuellen Wahlurne gelandet ist. Prosser: „Das ist also ein Maß der Verifizierbarkeit, das man nicht einmal im normalen Papierwahlsystem in der Wahlzelle hat. Natürlich bleibt wie bei jeder Wahl ein Restrisiko für Manipulationen, aber man kann es zumindest erkennen. Es ist ein transparentes System. “

Die Bedeutung der persönlichen Teilnahme ist wichtig

Bei der Frage, ob der Gang zur Wahlurne noch zeitgemäß ist, betont Bauer die erforderliche gesellschaftliche Konstanz. „Es muss bestimmte Rituale geben, die eine bestimmte Beständigkeit haben und die nicht einfach aufgrund des technischen Fortschritts geopfert werden sollten. Außerdem funktionieren die Wahlen in Österreich nahezu perfekt.“ Das Recht zur Teilnahme an politischen Wahlen ist nicht selbstverständlich, es wurde erst in den Jahren 1907 (für Männer) und 1918 (für Frauen) eingeführt. „Die persönliche Teilnahme hat eine gewisse Feierlichkeit, schließlich nimmt man einer wichtigen Entscheidung teil. Das Wahlrecht ist ein fundamentales und hart erkämpftes Recht.“ Mit E-Voting kann man bequem per Klick seine Stimme abgeben. Das birgt aber auch das Risiko, dass die Reflexion für den Wahlakt in Zeiten von Social Media und Online-Shopping abnehmen könnte. „Sowohl für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft könnte die Bedeutung dadurch entwertet, kurzfristig und unüberlegt werden“, sagt Bauer. „Die zeitlichen Argumente, die dagegen sprechen sind lächerlich, weil Menschen sich auch für andere, viel banalere Dinge, viel Zeit nehmen. BürgerInnen können sich durchaus alle vier bzw. fünf Jahre für eine halbe Stunde wohin bewegen, um an diesem wichtigen staatsbürgerlichen Akt teilzunehmen. Ich denke, das ist wichtig für den Menschen generell, aber auch für die Gemeinschaft.“

Wahlbeteiligung bei Vorreiter Estland

Sieht man sich die österreichische Wahlbeteiligung der letzten Jahre an, erkennt man einen abnehmenden Trend. Der Ibiza-Skandal und die kurz vorher publizierte mutmaßliche Spesenaffäre um Heinz-Christian Strache hat viele WählerInnen kurzfristig von ihrer Stimmenwahl abgehalten, somit sank die Wahlbeteiligung bei der Nationalratswahl im vergangenen Jahr auf das zweitniedrigste Niveau seit der Zweiten Republik auf 76%. Auffällig hoch bei dieser Wahl war die Zahl der ausgestellten Wahlkarten. Diese nahmen im Vergleich zur vorherigen Nationalratswahl 2017 mit 1,07 Mio. Wahlkarten um rund 20% zu. Es zeigt sich also, ÖsterreicherInnen wollen Flexibilität. Sie wollen zeit- und ortsunabhängig ihre Stimme – etwa bei Ortsabwesenheit, gesundheitlichen Gründen oder Auslandsaufenthalten – abgeben. Gibt es hier Potential für Online-Wahlen? Wer glaubt, dass E-Voting die Wahlbeteiligung steigern könne, wird leider enttäuscht. Estland gilt als Pionier des E-Votings. Als erstes Land weltweit hat es 2005 die Stimmabgabe im Internet flächendeckend für Kommunalwahlen eingeführt. Wissenschaftliche Untersuchungen aus diesem Land zeigen, dass kein signifikanter Anstieg der Wahlbeteiligung durch die elektronische Wahlmöglichkeit festgestellt wurde. Es scheint, als wurden dadurch in erster Linie andere Stimmkanäle ersetzt. Diese Bedingung wird auch auf der Website des BMI festgehalten. E-Voting darf auf lange Sicht nur eine zusätzliche Möglichkeit neben einer traditionellen Stimmabgabe sein. Es müsse weiterhin eine Stimmabgabe mittels Wahlkarte in Papierform oder im Wahllokal geben. Ansonsten besteht die Gefahr, Menschen ohne Internetzugang oder ohne entsprechende digitale Kenntnisse zu benachteiligen. Nichtsdestotrotz besteht in der österreichischen Bundesverfassung derzeit keine geeignete Rechtsgrundlage für Wahlen auf elektronischem Weg. Ob und wann E-Voting in Österreich Einzug hält, bleibt abzuwarten. Im BMI wird die Entwicklung und der Erfolg auf diesem Gebiet im In- und im Ausland weiterhin beobachtet.

Von Melanie Gruber