Whistleblowing: zwischen Heldentum und Verrat

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Eine einfache Recherche zu den Schwierigkeiten der Zusammenarbeit von JournalistInnen und Whistleblowers entwickelte sich zu einem Selbstexperiment. „Ihre Anfrage übersteigt den Rahmen des uns Möglichen.“ „Vielen Dank für die Übermittlung Ihrer Fragebogens. Darf ich Sie ersuchen, sich an das hierfür zuständige Bundesministerium zu wenden.“ „Leider ist mir wegen akuter Arbeitsüberlastung die Beantwortung Ihrer Fragen nicht möglich.“ Vier einfache Fragen – die nicht beantwortet wurden. 

Exil, Verfolgung, Haft, in einigen Ländern vielleicht sogar Tod. Mit diesen Folgen – zwischen Heldentum und Verrat – können Whistleblowers in der Regel rechnen, im Endeffekt handeln sie aber meistens im Sinne der Allgemeinheit. Während sie meist rechtswidrig agieren, müssen sich JournalistInnen berufsgemäß nach Gesetzen richten und in Österreich auch (idealiter) gemäß Ehrenkodex handeln. Genaugenommen sind JournalistInnen verpflichtet, über ihre Quellen zu schweigen, die HinweisgeberInnen hingegen unterliegen keinem rechtlichen Schutz. Diese Whistleblower spielen eine entscheidende Rolle bei der Enthüllung von kriminellen Machenschaften oder Missständen in Politik, Wirtschaft und öffentlichem Interesse. Als Insider sitzen sie oft direkt an der Informationsquelle und können so vertrauliche Details an die Öffentlichkeit bringen. Aus der Zusammenarbeit von JournalistInnen und Whistleblowern sollte eine Win-Win-Situation entstehen. Aber welche Diskrepanzen gibt es aufgrund des rechtlichen Ungleichgewichts?  

EU-Richtlinie 

Am 23. Oktober 2019 beschloss das EU-Parlament die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowers. Sie soll ein höheres Schutzniveau bieten für Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Die Richtlinie gilt für juristische Personen des Privatsektors ab 50 MitarbeiterInnen, juristische Personen des öffentlichen Sektors, Landes-/ Regionalverwaltungen und Gemeinden. Der Schutz der Richtlinie beinhaltet die Meldung von Rechtsverstößen durch HinweisgeberInnen. Dies können sein: ArbeitnehmerInnen, Selbstständige, bereits ausgeschiedene ArbeitnehmerInnen, bezahlte und unbezahlte PraktikantInnen. Mit neuen Vorschriften werden Schutzvorkehrungen getroffen, um HinweisgeberInnen zu schützen, eingeschüchtert oder gekündigt zu werden. Auch muss die Vertraulichkeit für ihre Identität gewahrt bleiben. Die Mitgliedsstaaten haben zwei Jahre Zeit, die Vorschriften national umzusetzen, was beispielsweise in Österreich gewisse Schwierigkeiten hervorrufen kann. Die Richtlinie empfiehlt Whistleblowers zunächst die internen Kanäle ihrer Organisation zu nützen, bevor sie sich an Externe oder an Behörden wenden. Ihr Schutz bleibt auch dann bestehen, wenn sie sich sofort an unternehmensfremde Organisationen wenden. Durch die EU-Empfehlung sich vorerst an die internen Unternehmenskanäle zu wenden, wird von vielen ExpertInnen für Arbeitsrecht die Ansicht vertreten, dass die neue EU-Whistleblower-Richtlinie hohe Risiken für HinweisgeberInnen im Sinne des Arbeitnehmerschutzes birgt. Daher ist es bei der Zusammenarbeit mit HinweisgeberInnen äußerst wichtig, zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen bei der Kommunikation zu treffen. Im digitalen Zeitalter ist es besonders fatal, (versehentlich) den Namen oder andere Identitätsmerkmale preiszugeben. Bei einer Kooperation dieser Art bedarf es besonderen Einfühlvermögens für die Privatsphäre des Whistleblowers. Sie erleben universelle Vergeltungsmaßnahmen, weil sie das Richtige tun. Sie werden von MitarbeiterInnen gemieden, als untreu schikaniert, degradiert oder gar entlassen. Die Karriere ist ruiniert. Viele können nie wieder in ihrer Branche oder ihrem Beruf arbeiten. Nicht unüblich ist es daher, dass HinweisgeberInnen einen Anwalt konsultieren, bevor sie mit JournalistInnen arbeiten.  

Leaking vs. Whistleblowing 

Leaking kann über das Whistleblowing hinausgehen. Häufig geht es um die unbefugte Freigabe sensibler Materialien, von denen einige für die Öffentlichkeit wertvoll sind. Bundesbehörden haben spezifische Büros, die rechtmäßig Whistleblower-Informationen akzeptieren können und sind verpflichtet, diese zu untersuchen. Wenn jedoch ein/e Informant/in vertrauliche Informationen oder anderes sensibles Material an die Nachrichtenmedien weiterleitet, kann er oder sie wegen eines Verbrechens angeklagt werden.  Der Hauptunterschied zwischen geschützter Whistleblowing-Aktivität und Leaking besteht also darin, dass beim Whistleblowing die Informationen an Bundesbeamte bzw. -beamtinnen gemeldet werden, die gesetzlich dazu bestimmt sind, sie zu erhalten, während beim Leaking die Information an jemanden weitergegeben wird, der nicht berechtigt ist, sie zu erhalten. Die beliebtesten Anlaufstellen sind natürlich die Medien.  

Internationaler Vergleich 

Für mehrere Staaten ergeben sich aus der neuen EU-Richtlinie Probleme mit der Umsetzung. In den Niederlanden gibt es eine externe Whistleblower-Institution, die gemeinsam mit HinweisgeberInnen den geeignetsten Meldeweg sucht. In Schweden haben BeamtInnen die Möglichkeit ohne Hindernis Kontakt mit den Medien aufzunehmen. Irland hat das fortschrittlichste Whistleblower-Gesetz: Der irische Protected Disclosures Act von 2014 gewährt jedem/r ArbeitnehmerIn das Recht, sich persönlich an die Regierungsbehörde zu wenden. Der Verdacht, dass die Information „im Wesentlichen wahr“ ist genügt. Der/Die ArbeitgeberIn muss nicht informiert werden. Für Österreich ergibt sich aus dem EU-Recht das Problem, dass der Betriebsrat die Einführung von Meldekanälen oder Verfahren für Meldungen als „menschenunwürdig“ bezeichnen und diese dauerhaft verhindern kann. Damit wären die von der Richtlinie geforderten Sicherheiten für Whistleblowers nicht gewährleistet. Das bestehende Experiment der Whistleblower-Hotline bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft könnte jedoch nun (Anm.: Die Anfragen an alle Behörden wurden zwischen Oktober 2019 und Januar 2020 vorgenommen) per Gesetz zur Dauereinrichtung werden. Auskünfte dazu gibt die WKSta jedoch nicht gerne, wie SUMO feststellen musste. Auch die vorgeschlagene Weiterleitung an das Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz führte zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Als alternative Anlaufstelle wurde die Finanzmarktaufsicht angegeben, deren Kontaktaufnahme verlief jedoch vorerst ebenso im Sand. Schließlich erbarmte sich Klaus Grubelnik, Sprecher bei der Finanzaufsichtsbehörde, und beantwortet SUMO einige Fragen. Whistleblowing gab es schon immer, jedoch als anonyme Anrufe oder Briefe ohne Absender/in. „Neu ist, dass dies als unternehmensinternes Informationssystem oder als Informationssystem gegenüber Behörden institutionalisiert wurde“, so Grubelnik. 

Im Jahr 2018 bestätigte Oberstaatsanwältin Täubl von der WKSta gegenüber dem „KURIER“ 6.378 vertrauliche Hinweise in den letzten Jahren. Bei der Hälfte der Fälle war kein Verdacht festzustellen, bei einem Drittel handelte es sich Finanzvergehen, für den Rest waren andere Staatsanwaltschaften zuständig. Dass Whistleblowing in Österreich im internationalen Vergleich relativ spät kommt, entspricht ganz einem österreichischen Klischee, was bereits 2012 die an der Universität Graz tätige Juristin Paula Aschauer in ihrem Buch „Whistleblowing im Arbeitsrecht“ bestätigt. Auch die 2018 erschienene Studie des Fachhochschulcampus Wien und der Verwaltungsakademie Bremen zeigt, dass in Deutschland 80% der Top-Unternehmen klaren Whistleblowing-Regeln folgen, in der Schweiz 75%, in Österreich hingegen nicht einmal 54%. Klaus Grubelnik von der FMA berichtet, dass die Whistleblower-Meldungen von 140 im Jahr 2015 auf 232 im Jahr 2018 gestiegen seien. Rund die Hälfte aller Whistleblowing-Hinweise betrifft heute Anlagenbetrug, 2015 erst 20%. 

Vielleicht liegt die Schwierigkeit dieser Thematik nicht in der Zusammenarbeit allein, sondern bereits in der Kontaktaufnahme. Ist es JournalistInnen möglich, Whistleblowers zu suchen oder müssen sie sich gedulden, bis gezielt auf sie zugegangen wird? C. Fred Alford schrieb in seinem 2001 veröffentlichtem Werk „Whistleblowers: Broken Lives and Organizational Power“ Folgendes: „Whistleblowing ist nicht nur ein Akt des Aussprechens. […] Es erweist sich als überraschend schwierig für Whistleblower, ihren internen Dialog mit anderen in der Organisation zu teilen. Nicht nur will niemand zuhören, sondern niemand will über Nicht zuhören sprechen.“ 

Von Elena Weissengruber