Kinderfotos im Netz – Moral vs. Gesetz?

Little girl hiding face behind drawn emoticon on light background
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Nackte Babys, Kleinkinder, die sich beim Essen vollkleckern und Jugendliche, die schräg tanzenEs ist keine Seltenheit, dass Eltern Fotos und Videos, die ihre Kinder in sehr unangenehmen Situationen zeigen, voller Stolz über soziale Netzwerke teilen. Das Problem: Das Internet vergisst nicht. SUMO sprach mit Bloggerin Judith List alias „Stadtmama“ und der medienpädagogischen Leiterin von „Saferinternet.at“, Barbara Buchegger, über die Auswirkungen des Sharenting“.

„Eine Schülerin warf ihrer Mutter vor der gesamten Klasse vor, sie wäre daran schuld, dass sie von ihren MitschülerInnen verspottet wird“, beginnt Barbara Buchegger zu erzählen, als sie sich an einen Vorfall erinnert, der sich während eines Elternabends in einer Schule ereignete. Das 14-jährige Mädchen, das schon seit längerer Zeit versuchte, sich gegen den Upload peinlicher Fotos von sich zu wehren, schien keinen anderen Ausweg mehr zu sehen, als ihr Problem mit der gesamten Klasse und allen Eltern zu teilen. Doch selbst damit drang sie nicht zu ihrer Mutter durch. Die Schülerin hatte es satt, dem Mobbing ihrer MitschülerInnen ausgesetzt zu sein, doch ihre Mama stritt weiterhin ab, der Tochter mit ihrem Verhalten zu schaden. Das könnte einerseits eine natürliche Reaktion darauf gewesen sein, dass ihre Tochter sie gerade vor versammeltem Publikum bloßgestellt hatte, andererseits könnte es aber auch einfach Unwissenheit und fehlendes Bewusstsein über die Folgen sein, mit denen ihr Kind nun zu kämpfen hatte.  

Remember: Sharing is not always caring 

Die 14-jährige Schülerin ist mit ihrem Problem nicht allein. Immer wieder wenden sich junge SchülerInnen an Barbara Buchegger, um sie diesbezüglich um Hilfe zu bitten. Die Medienpädagogin versucht dann zusammen mit ihnen eine Lösung dafür zu finden, wie sie ihre Sorgen am besten an ihre Eltern herantragen können. Die Studie „Kinder. Bilder. Rechte. – Persönlichkeitsrechte von Kindern im Kontext der digitalen Mediennutzung in der Familie“ des Deutschen Kinderhilfswerkes und der Universität Köln (2018), bei der zwölf Familien (Kinder, Eltern, Gesamtfamilien) interviewt wurden, zeigte außerdem, dass ein Viertel aller Eltern den Kindern gar kein Mitentscheidungsrecht beim Teilen von Fotos zugesteht. In sechs von zwölf Familien gehen die Eltern davon aus, dass ihre Kinder etwaige Bedenken ohnehin äußern würden und setzen daher das Einverständnis ihrer Kinder voraus. Nur in zwei Familien haben die Kinder aufgrund ihrer Proteste schlussendlich Mitspracherecht beim Upload ihrer Fotos erhalten. Abgesehen davon fand man heraus, dass die Kinder weitaus mehr Vorstellung und Meinung darüber haben, welche Fotos von ihnen hochgeladen werden sollten und welche nicht, als die Eltern ihnen zutrauen würden. Auch Barbara Buchegger hat das Gefühl, dass die meisten Kinder bereits im Volksschulalter besser wüssten, welche Inhalte für die sozialen Netzwerke geeignet seien, als viele Erwachsene. Einige Eltern würden die Bedürfnisse ihrer Kinder in ihrer Euphorie und ihrem Stolz jedoch nicht wahrnehmen. Außerdem herrsche bei den Eltern weitaus weniger Bewusstsein über die möglichen Konsequenzen ihres Verhaltens. Die deutsche „FIM-Studie 2016“ ergab zwar, dass 78% aller befragten Elternteile davon überzeugt sind, dass sie hauptverantwortlich für den Schutz ihrer Kinder in Bezug auf Medien seien, viele scheinen die möglichen Folgen für ihre Kinder durch die Postings in sozialen Netzwerken jedoch noch zu unterschätzen. Ein mögliches Problem: Die Eltern selbst kommen mit den Auswirkungen der Postings nur selten in Berührung. Es sind ihre Kinder, die aufgrund der peinlichen Fotos sowohl in der Schule als auch via soziale Netzwerke gemobbt werden. Doch Mobbing ist nicht das einzige, womit die Kinder infolgedessen konfrontiert werden. Der „UNICEF-Bericht zur Situation der Kinder in der Welt 2017“ zeigte, dass 81 Prozent aller Kinder in den zehn untersuchten Industrieländern bereits ab dem zweiten Lebensjahr einen digitalen Fußabdruck hinterlassen. Dies ist vor allem auf den heutigen digitalen Lebensstil zurückzuführen, der viele Eltern dazu veranlasse, Bilder und Informationen ihrer Kinder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein Akt, der nicht nur das Ansehen der Kinder schädigen kann, sondern auch Missbrauch fördert. Immer wieder würden die Fotos laut UNICEF in Missbrauchs-Netzwerke gelangen. Dies kann in manchen Fällen jedoch auch Folgen für die Eltern der betroffenen Kinder haben. 

Im Jahre 2011 ereignete sich ein solcher Fall in der Familie der damals dreijährigen Katie Ann Guttridge. Als die Eltern des Mädchens ein Abbild ihrer Tochter hochladen, ahnen sie nicht, was sie damit ausgelöst haben. Das Foto, auf dem die Kleine völlig verstummelt und verletzt abgebildet ist, kursiert bis heute mit dem Untertitel „Like & Teile – wenn du gegen Missbrauch bist“ im Netz. Eine „Facebook“-Userin greift das Foto der Kleinen auf und löst mit ihrem Post eine bis heute nicht endende Kettenreaktion aus. Was die meisten jedoch nicht wissen, ist, dass die Dreijährige damals nicht von ihren Eltern, sondern von einem besonders aggressiven zweijährigen Mädchen im Kindergarten verletzt wurde. Durch den „Diebstahl“ des Fotos konnte diese Falschmeldung jedoch nicht mehr aufgehalten werden. Dass Missbrauch vorkomme, stimmt auch Barbara Buchegger zu. Laut ihr wäre es unter anderem auch möglich, dass die Bilder in Form von Werbung auf Kinderpornoseiten erscheinen. 

Eine Tatsache, mit der sich auch Judith List, die Inhaberin des Blogs „Stadtmama“, bereits beschäftigt hat. Als Familienbloggerin und Mutter empfindet sie es als besonders wichtig, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Nach längerer Recherche habe sie für sich eine akzeptable Lösung gefunden: „Ich poste grundsätzlich keine Bilder mehr, auf denen nur meine Kinder zu sehen sind. In einer Studie habe ich gelesen, dass Fotos, auf denen abgesehen von den Kindern auch deren Eltern abgebildet sind für Pädophile nicht ansprechend sind.“ Ob diese Maßnahme Pädophile wirklich von Missbrauch abhält und inwiefern die Möglichkeit des Bildzuschnitts Einfluss darauf nimmt, bleibt jedoch offen. Dennoch legt die Bloggerin auch grundsätzlich großen Wert darauf, ihre Kinder im Netz nicht bloßzustellen und das Posten von Kinderfotos – sofern dies auf einem „Mama-Blog“ möglich ist – zu vermeiden. Einen Familienblog ganz ohne Kinderfotos könne sie sich jedoch auch nicht vorstellen. Schließlich sieht sie ihre Blogbeiträge auch als Hilfe und Identifikationsmöglichkeit für andere Mütter. Die Bilder, die sie dafür verwendet, seien gut überlegt und nicht einfach darauf losfotografiert. List gibt jedoch auch zu, nicht immer so intensiv auf die Auswahl der Bilder geachtet zu haben. Heute sei dies jedoch gar kein Thema mehr: Sie frage ihre älteste Tochter (neun Jahre) vor dem Upload eines Fotos immer um Erlaubnis. Mit ihren beiden jüngeren Töchtern (zweieinhalb und fünfeinhalb Jahre) könne List darüber jedoch noch nicht sprechen.  

Und das Gesetz?

 Was Judith List regelmäßig macht, ist im Gesetz grundsätzlich auch so vorgesehen. Rechtlich betrachtet, ist es in Österreich seit der Novellierung des Bundesverfassungsgesetzes 2016 gar nicht mehr erlaubt, dass Eltern potenziell schädliche Bilder ihrer Kinder ohne deren Einverständnis ins Netz stellen. Jede und jeder hat außerdem schon von Geburt an bestimmte Persönlichkeitsrechte, von deren Einhaltung auch die Eltern nicht ausgenommen sind. Zu diesen Rechten zählt auch der sogenannte Bildnisschutz (§78 UrhG), der im Urheberrechtsgesetz verankert ist. Hier wird unter anderem festgehalten, dass das Bild einer Person nicht ohne deren Zustimmung veröffentlicht werden darf. Da viele PädagogInnen und auch Rechtskräfte grundsätzlich davon ausgehen, dass Jugendliche erst ab der Erreichung des 14. Lebensjahres in der Lage sind, selbst die richtigen Entscheidungen für sich treffen zu können, bestimmen bis zu diesem Zeitpunkt häufig die Eltern über gewisse Vorgänge, die das Leben ihrer Töchter und Söhne beeinflussen. Im schlimmsten Fall können die Eltern von ihren eigenen Kindern aber sogar verklagt werden, wenn sie die Bilder der Betroffenen nicht aus dem Netz nehmen. Ein solcher Fall ist Barbara Buchegger bisher jedoch noch nicht untergekommen. Sie erlebte nur einmal die Androhung einer Klage mit. In den Medien kursierte vor einiger Zeit zwar das Gerücht, eine junge Kärntnerin habe ihre Eltern wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts verklagt, Beweise gab es dafür aber nicht. Seinerzeit erhielt Buchegger einige Anrufe von ausländischen KollegInnen, die ihre Freude über die Anklage mit ihr teilen wollten. Im SUMO-Interview erzählt Buchegger jedoch, dass sie eigentlich recht froh darüber war, die AnruferInnen enttäuschen zu müssen. Schließlich sollte es im besten Fall bis zur Anklage gar nicht kommen. Sofern doch, drohen den Eltern in Frankreich beispielsweise Geldstrafen in Höhe von bis zu 45.000 Euro. An der Wirksamkeit solcher Strafen zweifelt Judith List jedoch: Diese würden viel zu spät ansetzen. Präventive Maßnahmen wie die Kampagnen des deutschen Kinderhilfswerks und der Bloggerin Toyah Diebel findet List passender. Unter dem Titel „Dein Kind auch nicht“ versucht Diebel auf die Problematik der Kinderfotos im Netz aufmerksam zu machen. Die Fotos, die sie hier einsetzt, sorgen vorerst für Verwechslungsgefahr. Fotos, die Personen in den peinlichsten und unangenehmsten Situationen zeigen – ob am Töpfchen oder nackt beim Nuckeln an der Brust. Sie zeigen jedoch keine Kinder, sondern Erwachsene. Mit dem Untertitel: „So ein Bild von dir würdest du nie posten? Deine Kinder auch nicht“, sorgt sie für Aufsehen. Buchegger klärt die RezipientInnen in einer „YouTube“-Videoserie ebenfalls über die rechtlichen Rahmenbedingungen und Folgen des Uploads von Kinderfotos auf und gibt Tipps zum Umgang mit den Bildern. Auch über vermeintlich private Netzwerke wie „WhatsApp“ könnten Kinderfotos laut ihr in die falschen Hände gelangen. Hierbei spielen oft auch die Großeltern eine Rolle, die das Foto der Enkelkinder als Profilbild einstellen. Wird dabei nicht auf die richtigen Einstellungen der Privatsphäre geachtet, können auch diese Fotos unter Umständen für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Für besonders wichtig halte sie auch, die Fotos nicht nur digital zu speichern, sondern sie in Form von analogen Fotobüchern zu sichern. Selbst digitale Clouds garantieren die Speicherung der Dateien nicht für immer. „Die Kinder sollen später schließlich auch die Möglichkeit haben, ihre peinlichen Fotos gezeigt zu bekommen.“ 

Kinderfotos im Netz – A never-ending Story? 

Das Phänomen „Sharenting“, das vor allem mit dem Aufkommen diverser sozialer Netzwerke an Größe gewann, werde uns laut Buchegger auch in ferner Zukunft noch begleiten. Die Tatsache, dass die heutige Eltern-Generation zu einem großen Teil selbst schon zu den sogenannten „Digital Natives“ zähle, mache die Situation nicht besser. Diese Eltern seien mit den sozialen Netzwerken vertraut und das Posten und Teilen privater Informationen sei für die meisten gang und gäbe. Dadurch würden sie noch mehr dazu neigen, auch private Fotos ihrer Kinder zu veröffentlichen. Anders als bei den jetzigen VolksschülerInnen befürchtet Buchegger, dass die nächste Generation weitaus weniger Bewusstsein über die Auswirkungen des Sharenting haben und somit auch weniger protestieren werde. „Diese Kinder wachsen damit auf, für sie wird das ganz normal sein.“ Ein Ende der unkontrollierten Veröffentlichung von Kinderfotos im Netz sei also nicht vorauszusehen.  

 Von Katharina Samsula