Von Philip Schuster
Schwierige Terminfindung und lange Wartezeiten. Ein Besuch in einer Ordination oder im Krankenhaus kann schnell zum ungemütlichen Unterfangen werden. Könnte Künstliche Intelligenz Abhilfe schaffen?
Autonomes Fahren, Gesichtserkennung, Bildgenerierung, Verkehrsplanung, Erkennung von Fake-News, Kaufverhaltensanalysen, Vorschlagsalgorithmen in den sozialen Medien: Das alles sind schon jetzt Einsatzgebiete von Künstlicher Intelligenz (KI) im Alltag. Warum sollte demnächst nicht auch die Medizin von dieser Technologie profitieren? Oder gar teilweise ersetzt werden?
SUMO sprach mit Martin Baumgartner, Projektkoordinator und Kontaktperson des Projekts Digital Skills, Knowledge & Communication für Studierende der Medizin an der Medizinischen Universität Wien und Eugen Plas, Facharzt für Urologie und Andrologie und Primar der Urologie im Hanusch-Krankenhaus in Wien, über die digitale Zukunft der Medizin zu diskutieren und die Aussichten auf Einsetzungen von KI und ähnlichen Technologien.
Wie die KI schon jetzt in der Medizin aushilft
Zum jetzigen Zeitpunkt wird KI bereits in einigen Bereichen eingesetzt: Algorithmen können auf Basis von Bildern erkennen, ob die Patient*innen z.B. eine Augenkrankheit oder einen Hautfehler haben. Dabei handelt es sich aber um die Paradedisziplin eines Algorithmus auf Basis des sogenannten maschinellen Lernens. „Finde den Fehler“ heißt das Prinzip dahinter: Aufgrund einer Basis von Tausenden oder Millionen von Ärzt*innen abgesegneter Bilder, vergleicht das Programm die Befunde der Betroffenen und kann feststellen, ob es sich bei dem gezeigten Bild um eine Gefährdung, Krankheit oder sonstiges handeln könnte.
Die KI kann also streuarme Entscheidungen auf Basis von Gelerntem treffen, ganz so, wie es die Mediziner*innen tun würden. Das Risiko dabei? Was die KI noch nie gesehen hat, kennt sie auch nicht, aber anders als bei ihren menschlichen Kolleg*innen, kann sie sich nicht mit anderen austauschen oder in entsprechenden Büchern nachschlagen. Bei seltenen oder neueren Krankheiten stößt die KI auch relativ schnell an ihre Grenzen: „Die Bilder aller wenigen Betroffenen aus ganz Europa zusammenzutragen, um eine entsprechend große und ausreichende Basis-Datenbank zu erstellen, mit der ein Algorithmus trainierbar wäre, ist heute noch eine sehr schwierige Aufgabe“, sagt Baumgartner dazu.
Etwas einfacher scheint sich derzeit der Status quo in Sachen medizinischer Robotik zu gestalten: Plas befindet sich gerade in einer Einlernphase für die Operationsroboter der Marke DaVinci®. Dabei verwendet er ein KI-gestütztes Lernprogramm, das den menschlichen Körper so gut wie möglich abbilden und realisieren soll und dann dank einer Vielzahl an Daten Herangehensweisen und Vorgänge erkennt und auf Fehler hinweist. Geräte der Marke DaVinci® sind aber noch nicht in der Lage, selbst zu operieren, sondern werden von geschulten Chirurg*innen per Joystick bedient.
An vollständig automatisierten Operationsrobotern wird aber bereits weltweit geforscht. Einige dieser Roboter sind bereits in der Lage, einzelne kleine Schritte selbst durchzuführen. Wiederum auf Basis von Bildern, können gewisse Roboter selbstständig den besten Weg finden, um z.B. ein Loch in den Kopf des*r Patient*in zu bohren. Die Hoffnung auf diese teilautomatisierten Systeme ist groß: „Der Arzt ist dabei nicht mehr in der kontrollierenden Funktion, hat aber bei eventuellen Problemen oder Ratlosigkeit des Roboters die Möglichkeit schnell einzugreifen“, sagt Baumgartner zum Sicherheitsaspekt eines vom Computer gesteuerten Eingriffs. Plas verweist aber auch auf die Risiken dieser Technologie und erklärt, dass die Herausforderung dieser Operationsroboter sei, den Unterschied zwischen den einzelnen Patient*innen zu berücksichtigen. „Die Frage ist, ob wir in der Lage sein werden, Systeme so zu programmieren, dass sie in der Lage sind, auf Veränderungen korrekt zu reagieren“, sagt er.
Der zukünftige Arztbesuch
Doch werden KIs in naher Zukunft auch völlig autonom behandeln oder gar operieren können? Warum nicht eine von ihnen eben damit konfrontieren? Der Chatbot ChatGPT dient momentan als Frage-Antwort-Maschine, die auf Basis von maschinellem Lernen und neuronalen Netzen Inhalte aus dem Internet sucht, aufsaugt, zusammenfasst und in Textform ausgibt. Danach gefragt, wie es um die Zukunft im medizinischen Bereich bestellt ist, respektive, ob sie als Antwortgeber*in für Ärzt*innen zu gebrauchen ist, antwortet der Algorithmus sehr allgemein:
„Als KI-Modell kann ich allgemeine Informationen zum medizinischen Bereich bereitstellen, die auf meinem Wissen bis September 2021 basieren. Ich kann als allgemeine Informationsquelle dienen, aber es ist wichtig zu beachten, dass ich kein Ersatz für professionelle medizinische Beratung oder Diagnose bin. Im medizinischen Bereich entwickelt sich die Technologie jedoch ständig weiter und es kommen immer wieder neue Erkenntnisse und Innovationen hinzu.“
Baumgartner meint dazu: „Der Arztberuf lebt zu einem großen Teil davon, sich mit Kolleg*innen über Themen auszutauschen. Ärzt*innen und Chirurg*innen tauschen sich in eigenen Foren aus und diskutieren über verschiedene Methoden oder Behandlungen.“ Die KI könnte dies in Zukunft zum Teil auch selbst erledigen. Anhand von Datenanalyse kann ein trainierter Algorithmus ähnliche Patient*innen finden und deren Krankheitsverläufe bzw. Behandlungsmethoden lernen und gegebenenfalls auf aktuelle Fälle adaptieren. Dabei würde aber der menschliche Faktor in Form der Diskussion mit anderen oder des Einbringens verschiedener Meinungen fehlen. Baumgartner sieht hier ein generelles Problem im Fakt der Nichtmenschlichkeit eines Computerprogramms. Der menschliche Faktor sei bei einem Algorithmus nie gegeben. Die KI könne in manchen Bereichen zwar besser entscheiden, da alle Entscheidungen auf vielen Datenbanken und Beispielen basieren, die menschliche Empathie und das Vertrauen, das man in das Arztpersonal habe, werde sie aber wohl nie erreichen, so die Vermutung des Experten.
Eine Schwierigkeit für die KI sieht Plas auch in den weltweit verschiedenen ethnischen Unterschieden der Menschen. Gemeint sind verschiedene ethnisch bedingte Erkrankungen, Körperzusammensetzungen und Enzymreaktionen. Sie können nicht einfach verallgemeinert werden und von einem Computerprogramm richtig erkannt und immer berücksichtigt werden. Er ist aber zuversichtlich und glaubt, dass auch dies in näherer Zukunft möglich sei. Wichtig ist hier, welchen Einfluss die Ethnie auf Symptome und Behandlung im Detail hat. Dies kann bis dato nicht eindeutig gesagt werden. Fakt ist aber: Die Wissenschaft hat bisher nicht von allen menschlichen Populationen gleich viele genetische Daten gesammelt. Ein Beispiel: Die britische Biobank, einer der größten öffentlichen Datenbanken der Welt, wies 2020 aus, dass ihre Proben zu 94 Prozent von weißen, nur knapp 1,5 Prozent von schwarzen Menschen stammen.
Zum aktuell in Österreich heiß diskutierten Thema des Fachkräftemangels im medizinischen Sektor gibt es auch verschiedene Überlegungen, wie eine digitale Zukunft mit KIs aussehen könnte. Baumgartner teilt die Meinung einiger Expert*innen, die sagen, dass es keinen Personalmangel gäbe, sondern dieses einfach zu schlecht verteilt sei. Systeme wie ein KI-gestützter Chatbot könnten aber seiner Meinung nach für Menschen in weniger stark bewohnten Gegenden interessant sein. Besonders für einfache Arbeiten wie z.B. das Dokumentieren der Blutzuckerwerte bei chronisch kranken Personen würde sich als leicht ersetzbar anbieten, da es dazu keinen direkten Kontakt mit einem Arzt oder einer Ärztin braucht. Plas denkt, dass die Zukunft sicherlich voll mit Robotern und anderen Systemen sei, die Patient*innen z.B. in Form eines Pflegeroboters unterstützen werden. Weiteres kann er sich zurzeit noch nicht vorstellen, er ist sich aber sicher, dass viel Großes entstehen und passieren wird.
Daten, Daten, Daten …
In der Werbebranche und im Verkauf sind Kund*innendaten schon überaus wertvoll. Wahrscheinlich werden Patient*innen-Datensätze auch in der Medizin das Gold der Zukunft sein. Nicht unbedingt aus kommerziellen Gründen, sondern um die diversen KI-gestützten Algorithmen und Systeme zu füttern, welche den Ärzt*innen der Zukunft assistieren sollen.
Die Herausforderung ist dabei aber, diese Daten zu erheben, zu sortieren, zu strukturieren und zu dokumentieren, ohne auf die Privacy-Rechte der Patient*innen zu vergessen. Die Frage bleibt nun, wie realistisch diese Zukunftsaussichten sind und was davon so auch wirklich umsetzbar ist.
Wir werden wohl abwarten müssen. Im Wartezimmer eines*r menschlichen Mediziner*in.