Modern Loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit

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Likes, Klicks, Follower zur Einsamkeitsreduktion? Die sozialen Medien werden immer wieder als Grund für, aber auch gegen die Einsamkeit junger Menschen dargestellt.

Die Validität dieser Aussagen bleibt bis lang unbestätigt. SUMO diskutierte mit der Forscherin Univ.-Prof. Sonja Utz vom Leibniz-Institut für Wissensmedien und Dr. Rebecca Nowland, Psychologin sowie Forscherin an der University of Central Lancashire, über den Zusammenhang von Einsamkeit und Social Media.

„Ich finde es eigentlich interessant, dass diese Frage immer wieder gestellt wird“, beginnt Sonja Utz ihre Antwort hinsichtlich der Assoziation von Einsamkeit mit Social Media. Und auch Psychologin Rebecca Nowland zeigt sich über diese Ansicht „frustriert“. Eine deutliche Aussage über den Einfluss der sozialen Medien auf die Einsamkeit der Menschen könne nicht gemacht werden, zahlreiche Studien seien widersprüchlich und die allfällig gefundenen Effekte dann sehr klein, so Utz. Selbst wenn ein negativer Zusammenhang gefunden werde, handle es sich oft um Querschnittsstudien. Man wisse daher nicht, ob die Nutzung sozialer Medien einsam mache oder ob einsame Menschen eher soziale Medien nutzen. Zudem müsse zwischen bloßem „Alleinsein“ und der „Einsamkeit“ unterschieden werden.

Die Einsamkeit sei ein subjektives Gefühl, das zeigt, deine Beziehungen treffen nicht deine Erwartungen, erläutert Rebecca Nowland. Einsam fühle man sich nicht nur, wenn man auch tatsächlich allein ist, denn auch in einem Raum voller Menschen könne dieses Gefühl aufkommen. Aber auch ältere Menschen, die womöglich wirklich allein sind, fühlen sich mit der Einsamkeit konfrontiert. Alleinsein hingegen sei, so Nowland, ein Zustand.
Laut einer Umfrage der BBC aus dem Jahr 2018, an der rund 55.000 Menschen teilnahmen, sind besonders junge Menschen vom Einsamkeitsgefühl geplagt. Unter den sich in der Alterskohorte 16 bis 24 Jahren befindlichen TeilnehmerInnen gaben knapp 40% an, mit dem Gefühl der Einsamkeit vertraut zu sein. Ob einer der Gründe dafür die sozialen Medien sind, bringt die BBC-Umfrage nicht hervor.

Einsam durch den täglichen Wegbegleiter?

Rebecca Nowland hat eine Antwort auf die Einsamkeit bei jungen Menschen: Sie sehe ein Problem, das in dieser Alterskohorte nicht unüblich sei. Heranwachsende befinden sich in einer Selbstfindungsphase, weshalb viele mit Depressionen und mentalen Problemen konfrontiert sind. Das Einsamkeitsgefühl basiere darüber hinaus auch auf Veränderungen in der Lebenssituation, erklärt Sonja Utz. Als Beispiel nennt sie besonders die StudentInnen, welche in eine neue Stadt ziehen und dort erstmal weniger Kontakte hätten. Hier scheinen soziale Medien eine eher nebensächliche Rolle zu spielen.

Jedoch sei die Einsamkeit mit unseren Beziehungen in Verbindung zu bringen und ein Teil unserer Beziehungen im modernen Leben werden mit Social Media ergänzt, so Nowland. Die sozialen Medien tragen zur vermehrten Einsamkeit bei, seien aber nicht der ultimative Grund dafür, wie es gerne in den klassischen Medien dargestellt werde.
Nowland beschreibt die sozialen Medien daher als „social snacking“, was so viel bedeutet: wir snacken ständig, brauchen aber eigentlich den ganzen Schokokuchen, alias physische Beziehungen. Die sozialen Medien fungieren also tadellos als Snack, aber das Völlegefühl wird nicht erreicht. Vor dem Hintergrund dessen sollte aber besonders auf eine angemessene Nutzung geachtet werden. Zwei Stunden pro Tag auf „Facebook“ und Co. machen uns nicht unbedingt einsam, aber wir verlieren zwei Stunden unseres Tages, sagt Nowland. Dies könne folglich ungesund sein. Demnach ist es unser gesundheitsschädigender Umgang mit den Plattformen, woraus Isolation resultieren könne. Aber auch die unzureichende Kontrolle und Beobachtung der sozialen Medien sowie die mangelhafte Befassung mit diesem Thema seien, laut Nowland, relevante Faktoren. Insofern sollten die sozialen Medien mehr überprüft werden, da sie einem nur das zeigen, was der Mensch davor wirklich sehen möchte (oder eben genau das Gegenteil). Die Folge sei die Sucht, die uns vier Stunden pro Tag davorsitzen lässt.

Die Wirkung der sozialen Medien kann aber auch von Plattform zu Plattform variieren. Die möglichen divergenten Effekte der Plattformen erklärt sich Sonja Utz aus den unterschiedlichen Reaktionen darauf. „Facebook“ und „Instagram“ beispielsweise hätten eine starke Positivitätsnorm: Menschen posten die positiven Ausschnitte ihres Lebens und verwenden dann die Filter, um diese noch schöner zu machen. Das Social Media-Phänomen „TikTok“ gebe stattdessen immer weniger gestylten und attraktiven Menschen eine Bühne. „Twitter“ halte eher den Status des Nachrichten- und Informationstools. „WhatsApp“ schneide in manchen Studien besonders gut als Einsamkeitsbekämpfer ab, welches besonders auf die zweiseitige Kommunikationsform zurückzuführen sei, so Utz.

Virtuelle oder reale Freundschaften

Die BBC-Umfrage wirft überdies auf, dass einsame Menschen eher auf Online-Freundschaften zurückgreifen. SUMO stellte sich nun die Frage, ob online überhaupt reale Freundschaften geschlossen werden können. Sonja Utz zeigt sich hierbei bedenklich. Die Standard-Nutzung umfasse eher den Kontakt mit Menschen, die einem bereits bekannt sind. Dennoch merkt sie an, dass „Facebook“-Gruppen, beispielsweise Gruppen für Mütter, zu einem themenfokussierten Austausch führen können. In Bezug auf Online-Freundschaften wird oftmals der Terminus „Fake Friends“ aufgeworfen. Rebecca Nowland beschmunzelt diesen Begriff. Er implementiere bereits, dass junge Menschen sich der Unechtheit mancher Freundschaften und Personen im World Wide Web sowie der Gefahren bewusst seien. Unter Gefahren verstehe sie hier keinesfalls die Einsamkeit, sondern eher den Promi-Status mancher Adoleszenten, die sich mit der Fülle an Aufmerksamkeit sichtlich überfordert fühlen.

Hinsichtlich des Freundschaften-Schließens erwähnt Utz auch eher ältere Theorien, und zwar die „Social Compensation“- und die „Rich get Richer“-Idee. Letztere bezieht sich auf die ohnehin schon an Freundschaften „reichen“ Menschen, die soziale Medien zur Gewinnung neuer FreundInnen benutzen. Das Konzept „Social Compensation“ bezieht sich in diesem Zusammenhang eher auf diejenigen, die Schwierigkeiten haben offline Freunde zu finden. Sie können diesen Mangel mittels Online-Freundschaften kompensieren. 

#KeinerBleibtAllein

Aber zurück zum Kuchen. Für viele ist die Verwendung von Social Media-Plattformen der einzige Weg vom Schokokuchen zu snacken. So kann man auch mit einer Freundin in Amerika sprechen, auch wenn man nicht den ganzen Schokokuchen für sich beanspruchen vermag. Hier stehen die sozialen Plattformen eher als Klatsch- und Tratsch-Tool zur Verwendung, aber auch wenn es um ernstere Themen geht, kann das Netzwerk hilfreich sein. Obendrein ermöglicht das Mitmach-Web auch zu inspirieren, sprich Ideen zu sammeln und zu unterhalten, wenn es stressig ist. Jedoch sei dieser Erholungseffekt nur gegeben, wenn man sich nicht zu lange im Web bewege, konstatiert Utz. Die sozialen Medien etablieren außerdem eine neue Form der Informationsaufnahme, und zwar die der „Ambient Awareness“. Man liest demnach Dinge nicht mehr so genau, sondern überfliegt sie nur oberflächlich, weshalb man so ungefähr über das Tagesgeschehen in seinem Netzwerk Bescheid weiß, merkt Utz an. Auch der berühmt-berüchtigte Hashtag hat sich in der Etablierung eines Gemeinsamkeitsgefühl bewährt. Auf „Instagram“ oder „Twitter“ kann man nach Hashtags sortieren, welche oftmals mit Aktionen verbunden sind, durch die man sich mit Menschen in Verbindung setzen kann.

Unsere soziale Gesundheit als Schlüssel  

Nun stellt sich die Frage, ob wir gegen das vorkommende Isolationsgefühl präventiv vorgehen können. Sonja Utz rät Social Media aktiv zu nutzen, sprich selbst Fotos zu posten oder zu kommentieren, anstelle rein passiv auf Postings oder Stories zu reagieren. Rebecca Nowland blickt hier noch etwas weiter und appelliert auf das Achten unserer sozialen Gesundheit, wie wir es mit unserer mentalen und physischen Gesundheit auch tun würden. Wenn unsere soziale Gesundheit schwach sei, habe dies auch Effekte auf unsere physische und mentale Gesundheit und in weitere Folge sei dies auch ein Grund für frühe Sterblichkeit. Um dem gekonnt aus dem Weg zu gehen, gibt sie einen simplen Tipp: „Get balanced!“ Sie erwähnt hier wieder die Wichtigkeit, die sozialen Medien schlicht als Ergänzung der physischen Beziehungen zu nutzen. Obwohl Social Media seine Tragweite besonders dann zeige, wenn man voneinander entfernt ist, könnten sie nie der Schokokuchen sein, den man brauche, stellt Nowland fest. Ferner müssten wir uns deutlich machen, dass wir alle verschiedene Persönlichkeiten haben. Nowland unterscheidet hier einerseits zwischen „Social Butterfly“, sprich derjenige/diejenige, der/die sich inmitten des Geschehens am wohlsten fühlt und deshalb viele Interaktionen benötigt. Andererseits und konträr zum „Social Butterfly“ erwähnt sie den/die „bei Partys in der Küche Sitzende/n“, der/die bedeutsame und tiefgreifende Unterhaltungen braucht. Dies seien Dinge, die wir nicht genug ansprechen, so Nowland. Man zeige mit den Fingern der Einfachheit halber auf „Instagram“, „Facebook“ und Co. Ob die sozialen Medien nun zu positiven oder negativen Effekten tendieren, sieht Sonja Utz als schwierig zu beantworten an, jedoch sieht sie eher die positiven Wirkungen deutlicher.

Von Lisa Schinagl