„Aber Mama, ich bin doch schon alt genug!“ Viele Eltern verweisen dann möglicherweise auf die Altersfreigaben der Selbstregulation. Zurecht, und: Was steckt hinter diesen?
SUMO diskutierte darüber mit Stefan Linz, Geschäftsführer der FSK GmbH, dem Filmjournalisten Daniel Schröckert – sowie einer Mutter.
Laut der Oberösterreichischen Kinder-Medien-Studie 2020 (EduGroup) nutzen Kinder im Volksschulalter im Durchschnitt täglich circa 116 Minuten Fernsehen, „YouTube“ usw., Jugendliche im Alter von elf bis 18 Jahren 173 Minuten laut der Oberösterreichischen Jugend-Medien-Studie 2019 (EduGroup). Welche Inhalte billigen ihnen Eltern zu – wo wäre warum einzugreifen?
Nehmen wir einen x-beliebigen Film, etwa „Loro – Die Verführten“ des Oscar-prämierten Regisseurs Paolo Sorrentino über Silvio Berlusconi: Laut DVD freigegeben ab 12 Jahren enthält er über weite Teile Szenen exzessiver Sexualität und Drogenkonsumation. Die auf einem Jugendbuch basierte Serie „Maze Runner“ erhielt eine Freigabe für 12-Jährige in Deutschland, für 14-Jährige in Österreich. Sind Film und Serie altersgerecht – und wer prüft das? Selbstregulative können dabei Abhilfe schaffen. Doch dringt dies auch in das heimische Wohnzimmer vor? Und was sind Selbstregulative überhaupt?
Selbstregulative in Deutschland und Österreich
In Deutschland existieren unter anderem die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) sowie den jene für den Online-Sektor. Darunter fallen die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM), FSK.online und USK.online. Dabei handle es sich um Organisationen, welche auf Grundlage des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages agieren nach dem „Modell der regulierten Selbstregulierung“, erklärt Stefan Linz. Wobei „die Rechtsaufsicht die Möglichkeit hat, im Nachhinein Entscheidungen zu überprüfen“. Im Gegensatz dazu handle die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) sowie die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) auf Basis des Jugendschutzgesetzes, „nach dem Filme und Spiele eine gesetzliche Altersfreigabe brauchen, damit sie Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden können.“ Die beiden Selbstregulative würden hierbei durch eine Kooperation von staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren handeln, eine sogenannte „Co-Regulierung“, erläutert er. Ein Austausch finde auf Tätigkeitslevel statt, sowie komme es zu einigen Kontaktpunkten zwischen den unterschiedlich regulierten Bereichen, führt Linz weiter aus. Zum Beispiel können Alterseinschätzungen der FSF nach einer Bestätigung durch die Rechtsaufsicht, die auf Grund der gesetzlichen Grundlagen notwendig ist, von der FSK übernommen werden, erzählt Linz.
Stellvertretend für die zahlreichen Selbstregulative in Deutschland wird auf den Prüfvorgang der FSK näher eingegangen. Laut „fsk.de“ werden die Altersbeschränkungen in Prüfauschüssen – u.a. Arbeitsausschuss, Hauptausschuss und Appellationsausschuss –getroffen. Die ehrenamtlichen Mitglieder dieser Gremien bilden unterschiedliche Berufsfelder sowie verschiedene gesellschaftlich relevante Bereiche ab, dürfen hauptberuflich jedoch nicht in der Film- und Videowirtschaft tätig sein, um eine unabhängige Beurteilung sicherzustellen. und es finden laufend Schulungen statt. Die FSK klassifiziert Filme in die Altersstufen: ab 0, 6, 12, 16 und 18 Jahre. Linz führt aus, dass ausschließlich eine Beeinträchtigung von Heranwachsenden begutachtet wird und keine pädagogische Einordnung herausgegeben wird. Als Faktoren für die Entscheidung nennt Linz beispielhaft die Bereiche „Diskriminierung“, „Sexualität“ und „Gewalt“, die Einstufung werde aber für jeden Film individuell getroffen.
In Österreich ist die Jugendmedienkommission (JMK) dafür zuständig, die im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung angesiedelt ist. Laut deren Website deckt das Zuständigkeitsgebiet alle Bewegtbildmedien ab, sorgt für eine entsprechende Einteilung in Altersschranken und streicht Filme auch lobend hervor. Die Entscheidungen werden durch Gremien, welche sich aus Personen aus den Bereichen „Soziales“ und der Erziehungswissenschaften zusammensetzen anhand definierter Merkmale, zum Beispiel die Beeinträchtigung von „Körperlicher Gesundheit“ und „Religiösem Empfinden“, getroffen. Im Gegensatz zur FSK werden durch die JMK Einschätzungen ausgesprochen, die tatsächlichen Beschränkungen könnten anschließend von den Bundesländern unabhängig davon definiert werden und die bereits erwähnten Altersschranken starten bei Null und gehen ab sechs in zwei Jahresschritten bis 16 Jahre. Darüber hinaus werden in Österreich etwa bei Computerspielen die PEGI-Altersbeschränkungen verwendet (vgl. SUMO Nr. 34).
Die Alternativen
Doch sind Selbstregulative die einzige Instanz? Laut der Kinder-Medien-Studie (Edugroup, 2020) rezipieren Kinder Videos mit geringer Dauer aus dem Netz öfters ohne Begleitung als TV oder Streaming-Angebote. Dies bietet den Anlass, auch andere Möglichkeiten zu betrachten. Linz sagt zu Plattformen wie „YouTube Kids“, dass unterschiedliche Angebotstypen auch verschiedene Einordnungssysteme notwendig machen würden, da es sich auf „YouTube“ auch um von RezipientInnen erstellte Videos handle, sogenannte „Prosumer“. Hierbei kann der/die ErstellerIn für den Content eine Alterseinstufung vornehmen und der/die BetreiberIn der Plattform greife bei Hinweisen oder Beschwerden ein. Schröckert erläutert hinsichtlich der Erklärungen der FSK über Freigaben, dass es darüber hinaus noch mehrere Sites gebe, die aufklären, wieso bestimmte Filme für eine Altersgruppe zulässig seien. Als Beispiele führt er hier „kinderfilmblog.de“ sowie „kinderfilmwelt.de“ an.
Der Zweck der Selbstregulative
Linz betont hierbei, dass Selbstregulative vor allem in einem dynamischen Medienumfeld sinnvoll sind. Selbstkontrolleinrichtungen können agiler reagieren, da „die Wirtschaft als Träger einer solchen Institution tätig ist“. Wenn nur der Staat als regulativer Akteur beteiligt ist, wäre dies nicht in gleicher Form umsetzbar. Ein nächster großer Pluspunkt mitunter der FSK, der eben durch das Zusammenspiel von staatlichen sowie wirtschaftlichen Akteuren möglich ist, sei das Verhindern einer staatlichen Zensur sowie die „Rechts- und Vertriebssicherheit“, welche den HerstellerInnen in Verbindung mit den FSK-Altersfreigaben gewährt wird, so Linz. Schröckert sieht unter anderem positiv, „dass sich da so gesehen die Branche auch raushält oder beziehungsweise nicht mitinvolviert ist“. Es sei von Vorteil, dass die Altersfreigabe unabhängig vom Vertreiber getroffen werde, da dieser den „Film an ein möglichst breites Publikum bringen“ wolle. Ebenso sieht er es als positiv an, dass Personen von unterschiedlichen Feldern beteiligt sind, da somit etwa auch unterschiedliche religiöse Blickwinkel mitbedacht werden könnten.
Die kritischen Stimmen
Altersfreigaben erzeugen unterschiedliche Meinungen. Bei Kritiken abseits von möglichen Falscheinschätzungen, nennt Filmjournalist Schröckert die nicht mehr der heutigen Zeit entsprechenden deutschen Altersstufen: gewisse Abstände seien zu weit, andere zu klein. Kritik hinsichtlich der Festlegung der Schranken kann FSK-Geschäftsführer Linz nachvollziehen, setzt dem allerdings mehrere Argumente entgegen. Unter anderem seien die Freigabestufen in den Köpfen der Bevölkerung verankert, sowie durch die größeren Spannen etwa bei der Beurteilung des Alters im Kino von Vorteil. Schröckert jedoch wendet ein, möglicherweise noch eine darüberliegende Altersklasse zum Beispiel „ab 25“ einzuführen, da unter anderem manche Inhalte vielleicht erst mit reiferem Alter verstanden werden können. Als zweiten Punkt nannte Schröckert eine fehlende Klarheit bei der Urteilsfindung der FSK: Einige RezipientInnen würden sich Informationen über die Arbeitsweise der FSK anhand von Interviews wünschen. Ebenso, dass sich diese heute Wissen gerne ohne viel Aufwand aneignen würden, vor allem aus sozialen Netzwerken und dass gerade da noch nicht viel an Informationsvermittlung geschehe. Linz betont jedoch, dass in der kostenlosen FSK-App oder auf der Website Kurzbegründungen zu den Freigaben aller aktuellen Filme im Kino veröffentlicht würden und darüber hinaus, dass Beschwerden und Kritik immer gewissenhaft bearbeitet und beantwortet werden.
Die Sichtweise der Eltern
Doch was sagen Eltern dazu: Beachten sie Altersfreigaben und können so Selbstregulative Kindern helfen? Um die Frage zu beantworten, sprach SUMO mit einer Mutter von zwei Kindern im Alter von zwei und sieben Jahren. Sie gab an, bei der Auswahl von Filmen und Serien die Einschätzungen grundsätzlich zu beachten. Zusätzlich bevorzuge sie es, die Filme vorab anzusehen oder auf ihre Intuition zu vertrauen. Dabei achte sie auf Kriterien, ob etwa Kriminalität vorkomme oder wie die Figuren in Filmen oder Serien dargestellt würden. Auch im Bereich der Spiele für Konsolen sei es ihr wichtig, jene auszuwählen, die im Inhalt sowie in der Aufbereitung für Kinder geeignet seien. Auch Schröckert, Vater von zwei Kindern, gibt an, bei der Auswahl die FSK-Einschränkungen zu achten. Ebenso sollte man aber trotzdem ein Auge auf den gezeigten Inhalt haben und welchen Lerneffekt die Kinder haben könnten, so Schröckert.
Ein Blick in die Zukunft
Die FSK plane in Zukunft auf vordefinierte inhaltliche Kriterien zu setzen, die auf bisherigen Erfahrungen beruhen. Im Zuge dessen wurde ein sogenanntes „Klassifizierungs-Tool“ kreiert. Stefan Linz ist im SUMO-Interview näher darauf eingegangen. Dieses Tool bildet sogenannte „Risikodimensionen“ ab, welche sich in „Gewalt und Bedrohung, Verletzung und Leiden, Sexualität und Nacktheit, Drogenkonsum, Sprache und schädigendem Verhalten“ gliedern. Pro Risikodimension würden zahlreiche Unterkategorien ausgemacht, „und auch dort werden auch verstärkende und relativierende Faktoren berücksichtigt.“ Er betont ebenso, dass nur geschulte Personen mit dem Tool arbeiten und Ergebnisse in Prüfausschüssen überprüft und die Spruchpraxis auch angepasst werden kann, da es sich beim Jugendschutz um „kein starres Konstrukt“ handle. Daniel Schröckert äußert sich kritisch gegenüber einer alleinigen Einschätzung durch ein System. Er stellt fest, dass Technologie bislang nicht in der Lage wäre, die emotionale Komplexität von Bewegtbild aufzufassen. Ebenso würden viel mehr Aspekte einen Einfluss darauf haben, wie Kinder einen Film wahrnehmen – etwa die Stärke des Einsatzes von Musik. Er bezweifelt, ob das Tool dies aufgreifen könnte. Ein Tool könne als ein Anhaltspunkt verwendet werden, welcher nach bestimmten Aspekten eine Einschätzung abgeben kann, dennoch sollten die endgültigen Freigaben von einer Person getroffen werden, so Schröckert.
Abseits der Tricks zur Umgehung der Freigabe werden sich Kinder wohl weiterhin Filme ansehen wie…. (ohne Empfehlung).
Von Simone Poik