Verdeckt – versteckt – verboten

Wenn verdeckte Recherche nicht in die gewünschte Richtung läuft, warum verdeckte Materialbeschaffung aufflog und welche Regeln der Ehrenkodex des österreichischen Presserats dafür vorsieht, lesen Sie hier.

Anfang des Jahres 2017 ereignete sich eine misslungene verdeckte Recherche der ORF-Reporterin Sonja Sagmeister (1) bei der Sevki-Yilmaz-Konferenz im 16. Wiener Gemeindebezirk (2). Die Journalistin trug, obwohl sie nicht der muslimischen Glaubensgemeinschaft angehört, ein Kopftuch. Das Kopftuch diente als Verkleidung, um nicht aufzufallen. Der Grund ihrerseits war, wie bei jeder verdeckten Recherche, an bessere und objektive Informationen zu gelangen.

Ein Sprecher der türkischen Partei AKP als Veranstalter (3) hinderte die ORF-Reporterin an der Recherche. Er sprach die Journalistin an, die bereits vor Veranstaltungsbeginn in den Räumlichkeiten war, und begleitete sie nach draußen. Eine Diskussion zwischen der Reporterin und dem Veranstaltervertreter entbrannte darob, weshalb verdeckt ermittelt werden sollte, wenngleich diese Veranstaltung öffentlich sei. Die ORF-Reporterin rief aufgrund der Unerwünschtheit in dieser Veranstaltung letztendlich die Polizei an. Das ist die Sachlage der Geschichte.

Das sagt der Ehrenkodex

Im Ehrenkodex des österreichischen Presserats (4) stehen grundsätzliche Verhaltensregeln, die es von JournalistInnen in Österreich bei der Arbeit einzuhalten gilt. Unter Punkt 8, der Materialbeschaffung, findet sich eine Regel zur verdeckten Recherche. Diese lautet wie folgt:

„8.3 In Einzelfällen sind verdeckte Recherchen, einschließlich der zu ihrer Durchführung notwendigen angemessenen Methoden, gerechtfertigt, wenn Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden.“ (5)

Wahlveranstaltungen, die in Österreich stattfinden, wecken das österreichische öffentliche Interesse. Im Fall der ORF-Reporterin Sagmeister war es eine türkische Wahlveranstaltung in Österreich. Da das öffentliche Interesse auch aufgrund des angespannten politischen Verhältnisses beider Staaten (6) daran besteht, ist eine verdeckte Recherche gestattet. Die Methode ein Kopftuch zu verwenden kann gerechtfertigt sein, um bei der Recherche nicht aufzufallen. Selbst wenn sich zum Beispiel eine Person eine blickdichte Sonnenbrille, einen Hut oder eine Kappe und eine für sie/ihn persönlich untypische Kleidung tragen würde, wäre dies schon verdeckte Recherche, weil die Person nicht ohne weiteres identifizierbar ist.

Der Charakter der verdeckten Recherche ist, sich den zu beobachtenden Menschen und/oder Organisationen in einer anderen als transparenten, eventuell verfälschten Art und Weise darzustellen. Die verdeckte Recherche kann im Zusammenhang mit Videoaufnahmen ethische Bedenken und strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Es ist nicht ohne weiteres erlaubt, Personen ohne deren Zustimmung zu filmen oder fotografieren. Das Persönlichkeits- und das Hausrecht schützen an dieser Stelle. Dagegen steht das Recht der Medienfreiheit und der Freiheit der Berichterstattung.

Es gilt also: die verdeckte Recherche ist nicht nur unter bestimmten Bedingungen zulässig, sie bedarf auch einer wirkungsvollen Tarnung. Sonst ist sie keine.

Berichterstattung der Boulevardmedien

Boulevardmedien sind gemeinhin dafür bekannt zu überhöhen und zu verunsichern. Im Fall der ORF-Reporterin, die nun Anfang des Jahres bei ihrer verdeckten Recherche „erwischt“ wurde, hatte ein regelrechtes Drama in der medialen Berichterstattung hervorgerufen. Die Tageszeitung Kurier etwa schrieb „ORF recherchierte, war aber nicht erwünscht“ (7). Die turkishpress (8) verlautbarte, dass sich der ORF mit Kopftuch selbst zu der Veranstaltung einlud. Laut dem ORF-Redakteursrat (9) stellten türkischen Medien die Reporterin als „Agentin“ dar. Infolgedessen sah sich der Redakteursrat genötigt, sämtliche Anschuldigungen zurückzuweisen, da die Journalistin im Vorfeld versucht hatte Kontakt zu den Veranstaltern aufzunehmen. Auch erinnerte der ORF-Redakteursrat daran, dass freie Berichterstattung und Pressefreiheit hohe Güter seien und nicht eingeschränkt werden dürfen. InfoDirekt (10) tat kund, dass sich der ORF bei einer Türken-Wahlveranstaltung blamierte und in die Veranstaltung schlich. Die Heute (11) etwa schrieb, dass ein ORF-Team von „Erdogan-Fans“ attackiert worden sei und berichtete von Beschimpfungen. Die Kronen Zeitung (12) schließlich berichtete, dass die Reporterin trotz Kopftuch(!) nicht an der Veranstaltung teilnehmen durfte.

Durch die boulevardeske Berichterstattung und Einlassungen auf dieselbige scheint hervorzugehen, dass die verdeckte Recherche als verwerflich, denn als zulässig und erwünscht angesehen wird. Durch Subtexte wie „getarnt“, „fliegt auf“, „ungeschickter Versuch“, „Agentin“ usw. werden die Berichte grundsätzlich in ein negatives Licht gerückt. Journalismus = Misstrauen.

Die verdeckte Recherche als Tool

Die verdeckte Recherche wird von JournalistInnen verwendet, um an Informationen zu gelangen, die sie in Form offener journalistischer Arbeit nicht erhalten würden.

Die Verhaltensregeln zur verdeckten Recherche, die in 8.3 des Ehrenkodex festgehalten sind, geben bewusst einen großen Spielraum. Es könnte darüber nachgedacht werden im Ehrenkodex genauer zu definieren, was unter „notwendigen angemessenen Methoden“ und „besonderem öffentlichem Interesse“ zu verstehen sei.

Viel mehr böte sich angesichts dieses Beispiels jedoch an, der ORF-Reporterin zu empfehlen, sich mit dem Recherche-Mittel „verdeckte Recherche“ intensiver als hier geschehen auseinanderzusetzen und eine bessere Vorbereitung zu treffen. Individuelles Handeln gilt, ebenso wie im Recht, als entscheidend für die Auslegung. Nicht die Verallgemeinerung.

Diskussionen um den Einsatz verdeckter Recherche im Journalismus aus ethischer Perspektive führen in die falsche Richtung. Nicht nur, dass die Medienfreiheit wie üblich für jeden Einzelfall mit Persönlichkeits- und Hausrechten abgeglichen wird macht die Debatte entbehrlich, sondern alleine der Blick auf erfolgreiche verdeckte Recherche in der jüngeren Zeitgeschichte verweist auf die Bedeutung:

Die „Watergate-Affäre“ begann im Jahr 1972 mit einem Einbruch im Gebäudekomplex Watergate, dem Hauptquartier der Demokratischen Partei, und endete 1974 mit dem Rücktritt des ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon (13). Der Republikaner Nixon wollte die Wahl – nicht noch einmal – gegen die Demokraten verlieren. Infolgedessen wurde vor der Wahl im November 1972 im Watergate-Komplex eingebrochen um Abhöreinrichtungen zu montieren und Dokumente zu fotografieren. Nixon gewann die US-Wahl auch ohne seine Spionage-Informationen. Die Reporter Bob Woodward (14) und Carl Bernstein (15) der Washington Post (16) nahmen sich dem Fall an. Sie hatten eine geheime Quelle, die als „Deep Throat“ (17) benannt wurde und ihnen Insider-Informationen lieferte. Der ehemalige Präsident versuchte die Geschehnisse zu vertuschen und missbrauchte sein Amt, war aber – Tonbändern zufolge – in die Affäre verwickelt, weshalb ein Verfahren zur Amtsenthebung eingeleitet wurde. Daraufhin gab er seinen Rücktritt bekannt. Die zwei Reporter deckten viele Ungereimtheiten auf und wurden mit dem Pulitzer-Preis für hervorragende journalistische Leistungen ausgezeichnet. (Ausführlichere Informationen finden Sie in Berichterstattungen von Zeitklicks (18), dem Kurier (19) und der Presse (20).)

Anfang des Jahres 2015 wurden Ueli Haldimann (21), der ehemalige Chefredakteur des Schweizer Fernsehens (22), und Hansjörg Utz (23), der ehemalige „Kassasturz“-Chef (24), vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (25) freigesprochen. In einem Beitrag der Sendung „Kassasturz“ wurden Teile verdeckt recherchiert, da KundInnen in einer Versicherungsagentur schlecht und falsch beraten wurden. Der Versicherungsberater erstattete Strafanzeige und der Fall endete schließlich beim EGMR, nachdem das Zürcher Obergericht und das Bundesgericht „grundsätzlich keinen Rechtfertigungsgrund für den Einsatz von versteckter Kamera“ (26) sahen. Angesichts des Freispruchs meinte Haldimann im Zuge eines Interviews mit der Schweizer Online-Zeitung Watson (27): „Der Einsatz von versteckter Kamera wäre in einer tiefen einstelligen Zahl von Fällen pro Jahr sinnvoll“ (28).

Schlussendlich muss festgehalten werden, dass es unzählige Fälle von verdeckten Recherchen gibt – die einen sinnvoll – manche weniger. Dennoch wurden viele Skandale wie zum Beispiel die Arbeitszustände im Logistiklager von Zalando (29), Tierquälereien in Versuchslaboren (30) oder auch Zustände in AMA-Schweinemastbetrieben (31) aufgedeckt, die ohne die journalistische Methode der verdeckten Recherche wahrscheinlich nie an die Öffentlichkeit gekommen wären. 

 

 

ÜBER DIE AUTORIN

Jacqueline Traunwieser ist ausgebildete Tourismuskauffrau und studiert Medienmanagement (BA) an der Fachhochschule St. Pölten. Ihre gewählten Berufsfelder sind Contentmanagement und Marketing & Sales. Des Weiteren hat sie die Praxislabore Bewegtbild und Online gewählt.
Neben ihrem Studium arbeitet sie im Lebensmittel-Einzelhandel.

Quelle Titelbild: Jacqueline Traunwieser