Antrainierte Ungeduld

Die unangenehme Wartezeit produktiv gestalten | Copyright: Melanie Galle

Warten und Pause – eigentlich gleich, aber doch ganz verschieden. In beiden Fällen handelt es sich um Auszeiten, doch das Warten wird mit einer negativen Emotion verbunden, während die Pause positiv konnotiert ist.

Dieses Phänomen findet seinen Ursprung vor einigen Jahrzehnten. Im Zuge der Digitalisierung findet jedoch kein Stillstand mehr statt und das Warten wird als unangenehm empfunden. „Dem Wartenden erscheint die Zeit deshalb unerträglich, weil das Ergebnis, das der gegenwärtigen Situation den Sinn gibt, noch in der Zukunft liegt. Wessen Gedanken in der Zukunft und beim nächsten Termin hängen, ist nicht gut darin, die Gegenwart zu schätzen“, so Laura Erler.

Das moderne Zeitverständnis

 Die negative Bedeutungszuweisung von Warten ist ein kulturell erzeugter Zustand. In der „Zeit ist Geld-Gesellschaft“ basiert eine Wartezeit auf einer Unfreiwilligkeit, die mit „Nichtstun“ in Verbindung gebracht werden kann. Straffe Zeitpläne lassen keine Verspätung in irgendeiner Art zu, so der Eindruck – Wartezeit ist nicht planbar und Unplanbares findet keinen Platz im zeitlich getakteten Terminkalender. Leere Zeit. Unnütz. Das Ich. In der Welt.

Mit Blick bis ins 19. Jahrhundert waren Uhren eine Seltenheit der Eliten, Pünktlichkeit daher weitgehend unbekannt. Für Eisenbahnen und Kutschen wurden ungefähre Zeitangaben angegeben. Das Warten war zu diesem Zeitpunkt noch kein Problem. Mit der Einführung von Fahrplänen und großen Uhren auf Bahnhöfen war die Ungeduld geboren, genauso geboren wie der heute unvermeidliche Tweet an die ÖBB. Von nun an setzte man Pünktlichkeit voraus. Somit wird die Effizienz im Zuge der Industrialisierung in den Vordergrund gerückt.

Der Umgang mit Wartezeiten wird dem Individuum nicht leichtgemacht. Minutenanzeigen auf Bahnhöfen oder Downloadbalken im Internet veranlassen ein ständiges vor Augen führen der noch verbleibenden Zeit – eine Zeitspanne die noch zu überbrücken ist. Vor allem Ambient Media – interaktive Werbeformate im öffentlichen Raum, Hintergrundmusik, Infotainment-Clips – leisten einen großen Beitrag dazu, sich im gebotenen Ablenkungsmanagement zu verlieren, anstatt aktiv daran zu arbeiten den Umgang zu erlernen. Ungeduld und Frustration nehmen an dieser Stelle rasant Fahrt auf.

Im Hinblick auf die Generation Y und Z ist ein klarer Zusammenhang zwischen der Geduld bzw. Ungeduld und der sofortigen Bedürfnisbefriedung zu erkennen. Allein ein kleiner Tipp auf den „Bestellen-Button“ ist ausreichend, um das gewünschte Produkt binnen kürzester Zeit zu erwarten. Bei Video-on-Demand-Plattformen stehen große Mengen an Filmen und Serien zu Verfügung. Sogar Dates werden mit einem nach links oder rechts Wischen ausgesucht. Jedoch Zeit für die wichtigen Dinge im Leben, wie Zufriedenheit, Freundschaft, Liebe und Beruf, wird nicht gefunden. Das Motto der heranwachsenden Generation lautet „Instant Satisfaction“.

Allein, allein…

Warten und sich fragen „Was jetzt?“. Früher der Griff zur Zeitung, zum Buch oder zum MP3-Player, jetzt ein Griff zum Universalgerät – dem Smartphone. Der Grund dafür ist weniger die Informationsbefriedigungen, stattdessen das Überbrücken der Einsamkeit im öffentlichen Raum. Der Versuch das Warten ein Stück angenehmer zu gestalten wird auch Lazaruszeit genannt. Medien bringen den Charakter mit sich, die Wartezeit so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Obwohl das Warten die Chance der Entspannung und Auszeit vom Alltag bietet, verführen die mobilen Medien dazu, dies nicht zu tun.

Der von Gasparini eingeführte Begriff „Equipped Waiting“ – übersetzt mit dem Smartphone ausgerüstetes Warten – unterstreicht nochmals die Lazaruszeit. Um erneut die Effizienz in den Mittelpunkt zu rücken: das Equipped Waiting sei eine willkommene Gelegenheit, um den Aktivitäten, die normalerweise eine Präsenz aufweisen und durch die sogenannten Zwischenräume getrennt sind, nachgehen zu können. Ein Telefonat am Heimweg kann beispielsweise den Weg ins Büro ersparen – die Grenzen verschwimmen.

Dieses Phänomen wird durch eine 2019 durchgeführten Studie im Auftrag von Telefónica Deutschland untermauert. Die Ergebnisse zeigen, dass 77% der 18- bis 29-Jährigen ihr Smartphone für die Überbrücken der Wartezeiten nutzen, sowie 67% der 30- bis 49-Jährigen. Ebenso geben vier von fünf der jüngeren und jeder Zweite der älteren ProbandInnen* an, das Gerät in Bus und Bahn zu nutzen. Laut einer Consumer Study zum Thema mobile Kommunikation des GfK Vereins 2018, weist auch die 50plus Generations einen rasanten Anstieg bei der Nutzung eines Smartphones auf. 85% der ProbandInnen* nutzen das Universalgerät, auch im öffentlichen Raum, um im Internet zu surfen oder für Freunde und Familie über z.B. WhatsApp erreichbar zu sein.

Langeweile ist wichtig

In der Stadt auf der Bushaltestelle warten, die Wolken hoch im Himmel beobachten und den Vögeln beim Zwitschern zuhören – eine Seltenheit. Der Langeweile wird jedoch eine wichtige Rolle zugewiesen. Denn sie veranlasse uns, sich in Kreativität und Geduld zu üben. Erlauben wir uns diesen „Luxus“ nicht, drohe ein Kulturverlust, so Stefan Gosepath. Das Warten erfordere Selbstdisziplin, eine Eigenschaft, die heute schwer anzutreffen sei. Schon bei der kleinsten Wartezeit werde das Smartphone gezückt, um die unangenehme Wartezeit „sinnvoll“ zu überbrücken zu können.

Die Welt auf sich wirken zu lassen trägt maßgeblich zum kreativen Denken bei. Kommt dies zu kurz, ändere sich in weiterer Folge unser Denken, das wiederum den Menschen nachhaltig zu verändern imstande sein könnte. Studienergebnissen zur Folge unterbinde ein durchgeplanter Tagesablauf von Kindern die Möglichkeit kreativ sein zu können.

Warten fördert die Kreativität | Copyright: Melanie Galle

Blind durch die Welt schreiten ist ein weiteres häufig vorkommendes Phänomen. Einer Vermutung zur Folge kann dies mit der verstärkten Bild- und Videokommunikation zusammenhängen. Die junge Generation ist einen ständigen Wechsel von Bildern gewohnt und läuft Gefahr die Fähigkeit des genauen Hinsehens zu verlieren. Der Third-Person-Effekt lässt den medialen Einfluss andere Personen stärker wahrnehmen, als ihn bei sich selbst zu erkennen. An dieser Stelle ist Vorsicht geboten. Langeweile hingegen schärft den Blick fürs Detail. Man übt seine Umgebung wachsamer wahrzunehmen.

Nichtsdestotrotz hofft man auf ein Comeback des Wartens – Warten muss neu gelernt werden.

 

Über die Autorin

Copyright: Anna Galle

Melanie Galle wurde am 21. Dezember 1997 in Wien geboren. Sie absolviert seit 2018 ein Medienmanagement Studium an der Fachhochschule St.Pölten mit den Schwerpunkten Marketing und Sales, sowie Contentmanagement. Ihre Freizeit verbringt sie mit abwechslungsreichem Sport und Produktion von journalistischen Arbeiten. Kontaktmöglichkeit unter mm181008@fhstp.ac.at.