Beethoven versus Einaudi: Wie populär darf Klassik sein?

6,6 Millionen monatliche Spotify Hörer*innen, 1,6 Millionen YouTube-Abonnent*innen, unzählige ausverkaufte Konzerte. Ludovico Einaudi ist wohl einer der berühmtesten Vertreter der sogenannten „New Classics“. Er und seine Kolleg*innen wie Lang Lang, Yiruma oder Hania Rani scheinen zwar beim Publikum gut anzukommen, sind in Fachkreisen allerdings umstritten. Die große Frage der Diskussion zwischen Vertreter*innen der Szene und Feuilletonist*innen: Ist das noch Klassik? 

Von Mavie Berghofer

Fans der klassischen Musik sind alt und elitär – so die allgemeine Wahrnehmung. Zumindest der erste Punkt spiegelt sich auch in diversen Studien wider. Ein Consumer Panel der deutschen „GfK“ (Growth from Knowledge) fand heraus, dass der*die typische Klassik Hörer*in über 50 Jahre alt ist. Es ist also Zeit für frischen Wind und der wird vor allem gestreamt. Im Jahr 2021 wurden 117,4 Millionen Euro, also etwas mehr als 60 Prozent des Gesamtumsatzes der Musikwirtschaft in Österreich, durch Streaming eingenommen. Die „New Classics“ hat das verstanden. Spotify bietet einige Entspannungs- oder Lern-Playlists an, die mit Werken der „New Classics“ bestückt sind. Und das sehr erfolgreich: „Atmospheric Piano“ mit Werken von Einaudi, Richter und Co. wurde beispielsweise über 360.000-mal geliked. Damit schaffen diese Komponist*innen etwas, das die angesehene Klassik bislang scheitern ließ: die Eroberung der Alltagstauglichkeit. Kritiker*innen werden sich damit abfinden müssen, dass die jungen Hörer*innen in Zukunft den Begriff Klassik definieren und solche Stücke zur Norm dieses Begriffes gehören werden. Warum sträuben sie sich also so dagegen? Ljubisa Tosic nannte den Musik-Stil in einer Publikation im „Standard“ „banal“ und „Schlummermusik-Trend“. Den Expert*innen der Feuilletons zufolge seien die melodischen Muster und Abfolgen nicht komplex genug. Die Musik sei zu seicht, um zur Klassik zu gehören, zu einfach. Klassik müsse so sein, wie die Werke von Mozart, Hayden oder Beethoven: tiefgründig, kompliziert und langwierig. Dabei sagte bereits der französische Komponist Darius Milhaud: „Komponisten sollten nur Musik schreiben, in der man wohnen kann.“ Und wer will heutzutage schon im 18. Jahrhundert wohnen? Es braucht also neue Komponist*innen. Neue Ausprägungen. Neue Sichtweisen. Die „traditionelle“ Klassik muss aufhören, die „New Classics“ als Bedrohung oder Beleidigung anzusehen. Wirft man einen Blick zurück in die 1910er-Jahre bietet die Geschichte einen Eindruck wie aus einem Paralleluniversum. Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Richard Strauss wurden vom Publikum für ihre theoretische und komplexe Vorgehensweise kritisiert. Die Gesellschaft verlangte nach leichter, unterhaltender Musik. Man erinnere sich nur an das „Watschenkonzert“ unter der Leitung von Arnold Schöneberg. Sein damals neuartiger Musik-Stil sorgte für einen solchen Tumult, dass seine Anhänger*innen ihn gegen Kritiker*innen verteidigten mussten – und das nicht nur mit Worten. Reibungen bei musikalischem Wandel sind also älter als die heutige Gesellschaft selbst. Doch wie so oft hat die Menschheit auch hier nicht aus ihrer Vergangenheit gelernt. Die „New Classics“ werden von alteingesessenen Klassik-Fans und Feuilletonist*innen bekämpft – und zwar zu Unrecht. Vielmehr sollte dieser Wandel als Ergänzung und Chance erkannt werden. Eine Chance eine ganz neue Zielgruppe zu erreichen. Eine Chance einen erleichterten Einstieg in die Klassik zu ermöglichen. Eine Chance auf Alltagstauglichkeit. Es wird also Zeit das alte verstaubte Image abzulegen und mehr Raum für moderne Komponist*innen zu schaffen. Ein Weg weg vom elitären Klassik-Image und scharfer Trennung von E-Musik und U-Musik. Hin zu einer Mischung mit den besten Attributen beider Welten und einem Abriss von Eintrittsbarrieren für eine neue Generation der Klassik-Liebhaber*innen.