CNN, „n-tv“, Onlinenachrichten und Social Media 24/7. Welche Folgen hat die ständige Informationsflut auf uns und wie gewährleisten Medien qualitative Berichterstattung, wenn jede Meldung sofort an eine breite Öffentlichkeit weitergegeben wird? Im Interview mit SUMO diskutieren darüber „PULS 24“-Newsanchor Werner Sejka und Michael Babl, Pressesprecher der Landespolizeidirektion Oberösterreich.
24/7 – Nachrichten rund um die Uhr
Immer schneller und immer öfter werden wichtige (oder je nach Standpunkt auch weniger wichtige) Informationen an die Öffentlichkeit lanciert, um Aktuelles auch wirklich aktuell erfahren zu können. Sogenannte „Breaking News“ sind kurze wie kompakte Berichte über gegenwärtige Entwicklungen, die durch die heutige Schnelllebigkeit im Minutentakt von aktuellen Nachrichten zu veralteten Informationen werden. Hauptgrund für den permanenten Drang nach Neuigkeiten sei laut „PULS 24“-Newsanchor Werner Sejka vor allem die globale Anbindung an das Internet und der ständige Austausch: „Der Auslöser hat sicher viel mit Social Media zu tun, auch mit Smartphones. Das Angebot ist so vielfältig und der Zugang ist viel leichter geworden, weil Nachrichten nicht mehr nur einmal am Tag in der Zeitung erscheinen.“ Durch die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung und den vielfältigen Anbietern im Wettbewerb würde der Druck weiterwachsen, möglichst schnell und über möglichst alles berichten zu können. Neben beliebten Echtzeit-Newstickern auf den Onlineplattformen der Tageszeitungen hat sich seit einiger Zeit auch am heimischen TV-Markt eine neue Art der Nachrichtenübertragung etabliert. 24 Stunden-Nachrichtensender, die in den USA schon seit Jahrzehnten rund um die Uhr berichten, laufen seit der Inbetriebnahme von „PULS 24“ und davor „OE24“-TV nun auch pausenlos über die österreichischen Empfangsgeräte, Satellit, Kabel, oder per App.
Der Bedarf an gesicherten Informationen sei auf Grund der vielen ungeschützten Meldungen im Netz rasant angestiegen und erfordere neue, vertrauensstärkende Formate, so Sejka. Die Wichtigkeit dieser zeigte sich nicht zuletzt bei einem der größten innenpolitischen Skandale. Der geplante Startschuss für „PULS 24“ war ursprünglich für Anfang 2020 angesetzt. Nachdem im Frühsommer 2019 die „Ibizia-Affäre“ an die Öffentlichkeit geriet, wurde der Launch um vier Monate auf den 1. September 2019 vorgezogen.
Zum selbsterklärten Programmauftrag von News Networks gehören neben Meldungen rund um die Uhr vor allem ausführlichere Hintergrundberichte, die unterschiedlichste Perspektiven zu einem Thema zulassen sollen. Wichtige Merkmale in einer Demokratie, die ob der heutigen Schnelllebigkeit leichter auf der Strecke bleiben würden, so Michael Babl, Sprecher der oberösterreichischen Landespolizeidirektion: „Früher gab es eine gewisse ‚Cool down-Phase‘, dadurch, dass Nachrichten erst am nächsten Tag in der Zeitung standen. Informationen wurden so öfter überprüft. Heutzutage zählt das schnelle Onlinestellen, wodurch leichter Unklarheiten entstehen können.“ Ein Kritikpunkt, den sich auch professionelle Medien immer öfter vorwerfen lassen müssen.
Kollektives Gatekeeping – wie Social Media die Aufmerksamkeit schwächt
Bei permanenter Berichterstattung durch Liveticker oder News Networks bestehe aber weniger das Risiko von gänzlich falsch publizierten Meldungen, sondern eher das Problem, wie diese Informationen aufgenommen werden. „Wir als Gesellschaft sind heutzutage ‚overnewsed‘, aber ‚underinformed‘“, gibt Werner Sejka zu bedenken. „Oft lesen wir aufgrund der Schnelligkeit nur die Überschrift und glauben zu wissen, um was es geht. Durch die digitalen Medien nimmt vor allem unsere Aufmerksamkeitsspanne enorm ab.“ Diese Mischung aus Informationsflut und Aufmerksamkeitsdefizit sorgt demnach immer wieder für Gefahr, mit der vor allem professionelle Medien besonders vorsichtig umgehen müssten. Wie auch wissenschaftliche Studien zeigen, bestehe heutzutage viel mehr das Risiko der gesellschaftlichen Vorverurteilung oder der überhasteten, oftmals falschen Meinungsbildung.
Auch bei der Arbeit der Einsatzkräfte Rettung, Feuerwehr und Polizei treten durch das vorzeitige Veröffentlichen von Erstinformationen in manchen Fällen Schwierigkeiten auf: „Es passiert leider ab und zu, dass auch durch Medien Unwahrheiten verbreitet werden. Oftmals werden Dinge übertrieben dargestellt und es entsteht Panik“, warnt Babl. Besonders heikel sei es etwa dann, wenn Ermittlungsfälle noch nicht abgeschlossen sind und Informationen nach außen dringen, die nicht nach außen dringen sollten. In Erinnerung kommt hierbei beispielsweise das Kitzbühel-Attentat im Oktober 2019. Unterschiedliche Berichte über das Verhältnis der Opfer zueinander bedeutenden für die Hinterbliebenen eine zusätzliche emotionale Belastung, abseits der eigentlichen Tragödie.
Kritisch hinterfragen statt leichtgläubig beantworten
Abgesehen von solchen Ausnahmefällen sei laut Babl die Zusammenarbeit zwischen der Exekutive und MedienvertreterInnen aber eine äußerst positive, auch dann, wenn es schnell gehen müsse. Besonders im Zuge öffentlicher Fahndungen und bei der Kriminalprävention würden Medien eine wichtige Rolle einnehmen, um die Bevölkerung in breitem Ausmaß informieren zu können: eine beiderseitig viel respektierte Zusammenarbeit, die nicht wie in anderen Ländern zu bedingungslos agiere. Gemeint sind dabei die USA, die ein Beispiel für zu extreme Transparenz liefern. Im Land der auch diesbezüglich unbegrenzten Möglichkeiten werden von den größten Fernsehstationen regelmäßig ganze Einsätze der Blaulichtorganisationen live im nationalen Fernsehen übertragen (vgl. SUMO-Ausgabe 34). So sieht das ganze Land etwa bei Verfolgungsjagden oder Banküberfällen den BeamtInnen bei jeder Bewegung in Echtzeit über die Schulter. In Europa und vor allem in Österreich sei diese grenzenlose Freiheit laut Babl undenkbar, denn sie hätte „lediglich einen Unterhaltungswert und würde nicht zur Informationsbildung beitragen.“
Die heimische Mischung aus festgelegter Pressefreiheit und gleichzeitiger Achtung des Persönlichkeitsrechts würde trotz weniger negativer Ausnahmen stimmen. Überlegungen zu strengeren gesetzlichen Einschränkungen, zum Beispiel durch das Einholen einer Bestätigung vor der Veröffentlichung eines Berichts von offizieller Seite, seien nicht zielführend, wie beide Interviewpartner betonen: „Vielfalt sollte in einer Demokratie das oberste Ziel sein. Dabei muss man dann auch zulassen, dass manche Dinge unterschiedlich dargestellt werden“, so Sejka, der dabei Zuspruch seitens der Polizei erhält: „Medien müssen trotz allem einen freien Handlungsspielraum haben, das ist in einer Demokratie wichtig und richtig.“ Auf dieses Vertrauen dürfe die „Vierte Gewalt im Staat“ auch in einem hartumkämpften wirtschaftlichen Wettbewerb nie vergessen. Mehr denn je zähle in der schnelllebigen Welt von heute der gesellschaftliche Auftrag des kritischen Hinterfragens und nicht die gewinnbringende Ausbeutung von „Breaking News“: „Wenn man sprichwörtlich das Dorf immer vor dem bösen Wolf warnt, er aber nie kommt, glaubt einem niemand mehr, wenn er dann wirklich da steht“, richtet Sejka mahnende Worte in Richtung des Geschäfts mit Panikmache.
Auch im Zuge der globalen Corona- Pandemie wurden nach dem Start der „neuen Normalität“ – ein Ausdruck, den der Wiener Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits ursprünglich gegenteilig aufgeladen intendierte als Kanzler Kurz – die Kernaufgaben von korrektem Journalismus sichtbar. Nachdem sich wochenlang die Meldungen überschlugen, führte die vielzitierte Entschleunigung der Gesellschaft auch bei vielen InformationsträgerInnen zu Veränderungen. Denn auch wenn evolutionär bedingt negative Nachrichten für mehr Aufmerksamkeit bei RezipientInnen sorgen, sind es gerade die positiven Dinge, die einen Seltenheitswert darstellen. So bekommen die sogenannten „Good News“ wieder einen bedeutsameren Stellenwert in der Berichterstattung. Ein Trend, der auch auf den offiziellen Informationskanälen der Polizei Anklang findet: „Ein direkter Draht zur Bevölkerung ist für alle wichtig. Dazu gehören gerade auch lustige Geschichten und schöne Fotos der KollegInnen.“
Nichtsdestotrotz werden auch in Zukunft pausenlos weiter unendlich viele Meldungen auf uns zukommen. Schlussendlich liegt es an der Eigenverantwortung, die wichtigsten Informationen aus der Nachrichtenflut zu erkennen. Denn nicht alle „Breaking News“ sind tatsächlich auch wertvolle Nachrichten, die wir sofort erfahren müssen.
von Michael Geltner