Die Problematik geringer Marktgröße in mehrsprachigen Kleinstaaten und Regionen

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Mehrsprachige Kleinstaaten und Regionen müssen sich in der Medienlandschaft besonderen Herausforderungen stellen. SUMO wollte im Gespräch mit Manuel Puppis, Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen an der Universität Freiburg, und Siegfried Giuliani, redaktioneller Leiter des ORF-Büros Bozen wissen, wie die Schweiz und Südtirol mit der geringen Marktgröße umgehen.

Die Medienlandschaft in der Schweiz

Mehrsprachigkeit in einem Staat wird meist als etwas Positives angesehen, denn mehrere Sprachen bedeuten auch mehrere Kulturen, die versuchen, in Harmonie und Ordnung ein funktionierendes System zu führen. Wenn man sich solch einen Staat aus medienpolitischer Sicht ansieht, fallen bestimmte Muster, Problematiken und Herausforderungen auf. Die Schweiz ist ein solches Beispiel, da mehrere Charakteristika gegeben sind. Sie ist mit 8,6 Millionen EinwohnerInnen ein Kleinstaat, hinzu kommt, dass es in der Schweiz vier Amtssprachen gibt (Französisch, Deutsch, Rätoromanisch, Italienisch). Dies verringert die Anzahl der potenziellen RezipientInnen enorm, denn der bereits kleine Markt wird durch die Sprachbarriere nochmals segmentiert. Ungefähr 63% der SchweizerInnen sprechen Deutsch, somit macht Deutsch den größten Anteil der vier Sprachen aus. Zu den vorhandenen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass deutsche, italienische und französische Sender in der Schweiz empfangen werden können, bezeichnet wird das als Spillover-Effekt. Das erhöht den Konkurrenzdruck auf dem Schweizer Medienmarkt.

Die Auswirkungen der gegebenen Merkmale schlagen sich auf den Preis der Medienprodukte nieder. Die Stückkosten sind höher, da die Produktionskosten auf weniger NutzerInnen aufgeteilt werden können. Hinzu kommt, dass Einnahmen durch kommerzielle Maßnahmen wie Werbung oder Sponsoring kleiner sind. Univ.-Prof. Puppis meint, dass es im Printbereich keine anderen Schwierigkeiten gebe als in großen Ländern, da es meist regionale und lokale Märkte seien, die abgedeckt würden. Im Rundfunk hingegen existierten deutliche Unterschiede zwischen Groß- und Kleinstaaten: „Der Werbemarkt in Kleinstaaten ist sehr viel beschränkter“, stellt Puppis fest. Eine große Rolle für die deutschsprachige Schweiz spiele Deutschland, im französischsprachigen Teil sei es Frankreich. Viele Werbegelder fließen in diese Nachbarländer und so entstehe eine starke Konkurrenz auf dem bereits kleinen Markt. Laut Puppis wird Werbung für das Schweizer Publikum gesendet und entsprechend stehen so nochmals weniger Werbegelder zur Verfügung.

Puppis erklärt, dass bei den Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Unterschiede festgestellt werden könnten: Eine kleinere EinwohnerInnenzahl hieße auch geringere Einnahmen durch die Gebühren. Für Kleinstaaten spielt der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige Rolle. Dies konnte man auch an der Abstimmung in der Schweiz 2018 über die Abschaffung der Rundfunkgebühren feststellen. Mit rund 72% waren die SchweizerInnen gegen die Abschaffung. Ein Grund für diese Entscheidung könnte sein, dass mit einer Senkung der Kosten der Rundfunkgebühr geworben wurde. Puppis meint dazu: „In dieser ganzen Debatte vor der Abstimmung wurde sehr deutlich, dass wenn man diese Gebühren nicht hat, der öffentliche Rundfunk nicht weiter existieren würde und dass der Privatrundfunk in einem Kleinstaat niemals die gleiche Rolle spielen kann. Man war sich bewusst, was man verlieren würde an medialem Angebot im Radio, Fernsehen und auch Online, aber vor allem im audiovisuellen Bereich, wenn man die Gebühren nicht mehr hätte.“

Was macht die Politik?

Die Nachbarländer profitieren von dem mehrsprachigen Kleinstaat sowohl durch die Werbeeinnahmen als auch durch den Spillover-Effekt. „In der Politik wird das durchaus als Problem gesehen, es ist in parlamentarischen Debatten immer wieder ein Thema. Ausländische Sender, die keine inhaltliche Leistung für die Schweiz erbringen, die Werbegelder einnehmen, wie geht man damit um?“, fragt Puppis. Es sei klar, dass man den ausländischen Sendern nicht verbieten könne, in die Schweiz zu senden oder Werbung zu schalten, das würde dem bilateralen Abkommen mit der EU wiedersprechen. „Deshalb war die Strategie über Jahrzehnte wirklich einen starken öffentlichen Rundfunk zu erhalten“. So ist es der Schweiz möglich, eine inhaltliche Leistung für all ihre Regionen zu erbringen.

„Südtirol Heute“

Südtirol bildet eine mehrsprachige Region: Rund 62% der Bevölkerung sind deutscher Muttersprache, 23% italienischer Muttersprache und 5% ladinischer Muttersprache. Um den deutschsprachigen SüdtirolerInnen Informationen zu ihrer Heimat auf Deutsch bieten zu können, startete am im Mai 2000 der ORF die Sendung „Südtirol Heute“. Die Sendung wurde nach der Philosophie von „Bundesland Heute“ ausgerichtet, der einzige Unterschied ist, dass im zweiten Teil der Sendung ein Fokus auf Lifestyle und Boulevard gesetzt wird. Redaktionsleiter Siegfried Giuliani konstatiert: „Es war von Anfang an ein großer Erfolg.“ Die Sendung habe rund 106.000 ZuseherInnen pro Tag in Südtirol (Stand 2019) und einen 30% Marktanteil in Tirol, so Giuliani. Um das Programm gewährleisten zu können, gebe es eine Zusammenarbeit zwischen Tirol und Südtirol. Laut Giuliani seien die Regiestrukturen kostspielig und „Südtirol Heute“ verfügt in Bozen über kein Sendestudio. Deshalb werden die produzierten Inhalte aus Bozen an das Studio in Tirol übermittelt und von dort aus von den „Südtirol Heute“-ModeratorInnen moderiert und gesendet. Auch während der Corona-Krise war Zusammenhalt gefragt: Da die ModeratorInnen nicht nach Tirol fahren durften, sprangen die „Tirol Heute“-ModeratorInnen ein, um Informationen und Nachrichten senden zu können.

Die Finanzierung

„Wir sind ein nicht-kommerzielles Programm, wir sind öffentlich-rechtlich, und der weitaus größte Teil wird aus den Kulturfonds der Südtiroler Landesregierung finanziert“, erläutert Giuliani. Zum anderen wird die Sendung auch vom ORF gefördert. Laut Giuliani würden jedoch die italienischen öffentlich-rechtlichen Sender „um ein Vielfaches“ stärker gefördert, dagegen sei die Förderung von „Südtirol Heute“ sehr niedrig. Aus politischer Sicht hätte es keinen Gegenwind gegen die deutschsprachige Nachrichtensendung gegeben, es müssten jedoch die italienischen rundfunk-rechtlichen Grundlagen eingehalten werden. Jedoch gab es Anmerkungen von Privatunternehmen, die darauf reagierten, dass ein ausländisch finanziertes Programm finanzielle Unterstützung bekommt: „Einige privatrechtliche Unternehmern, hauptsächlich in Trentino, wollten von der Regionalregierung dann auch etwas aus diesem regionalen Kulturfond haben“, diese würden nun auch seit Jahren mit öffentlichen Mitteln unterstützt, so Giuliani.

Kleine Regionen und Kleinstaaten, die mehrsprachig sind, haben zusätzliche Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Dennoch sieht man an Südtirol und der Schweiz, durch finanzielle Förderungen und eine gut geplante Struktur kann auch Kleines groß werden.

Von Anja Stojanovic